Ein anonymer Chronist hielt ­exakt fest, wann sich für Mallorca der Horizont verdunkelte: Am 6. ­August 1113 stach von Italien eine gewaltige Flotte in See. Das Ziel: die Hauptinsel der Balearen. Hier herrschten seit 902 arabische Statthalter, wurden tausende Christen als Sklaven gehalten, liefen immer wieder Schiffe oder ganze Flottillen aus, um fremde Küsten oder Handelsschiffe zu überfallen. Allerdings war auch Mallorca schon zum Ziel von Angriffen geworden, weswegen Madina Mayurqa – das heutige Palma – zu einer beeindruckenden Festung ausgebaut worden war.

Dass die Strafexpedition in Italien ihren Ausgang nahm, war kein Zufall. Die Stadt Pisa war mehrmals Ziel muslimischer Attacken geworden, die Insel Sardinien wurde zeitweise sogar von den Arabern besetzt. „Das alte mare nostrum war ab dem 9. Jahrhundert ein muslimischer See", sagt Palmas Stadtchronist Bartomeu Bestard. Kein christliches Schiff war darin sicher, zumal Piraten auf Mallorca einen sicheren Hafen fanden, solange sie nur Christen überfielen.

Im 11. Jahrhundert gingen die Italiener also zur Gegenoffensive über, eroberten Sardinien zurück und richteten ihren Blick auf Mallorca. Zunächst wurden die wackeren Krieger allerdings erst einmal von einem Sturm kräftig verblasen. Statt an der mallorquinischen Küste gingen sie in Katalonien an Land. Der dort herrschende „Pyrenäen-Graf" ­Ramon Berenguer III. war von dem Vorhaben der Italiener entzückt und berief sofort eine Konferenz von Feudalherren aus der Umgebung ein. Das Ergebnis: Alle wollten dabei sein, wenn das Piratennest Mallorca ausgeräuchert würde, mussten sich aber erst vorbereiten.

So schlichen die Monate dahin. Zeit genug, um der Diplomatie eine Chance zu geben. Ein Unterhändler reiste nach Palma und unterbreitete dem mallorquinischen Emir ein Angebot: Ihr lasst die Sklaven frei und bezahlt unseren Flottenaufmarsch, wir greifen dafür nicht an.

Beinahe kam es zu einem ­Deal. Denn die Einzigen, die den Emir unterstützen konnten, waren die Almoraviden, gefürchtete Krieger und Fanatiker, eine frühe Version der Talibane – auf diese Hilfe hätte der Emir gerne verzichtet. Dann schon lieber mit den Christen paktieren. Doch die Verhandlungen scheiterten aus unbekannten

Grün

Im Frühjahr 1114 sondierte die Flotte das Terrain und spielte sich mit lokalen Überfällen auf Formentera, Ibiza und Mallorca warm. So verheerte eine christliche Streitmacht Pollentia (beim heutigen Alcúdia), worauf die Überlebenden sich an einem landeinwärts gelegenen Ort ansiedelten, an dem sie sich geschützter fühlten: dem heutigen Pollença.

Erst im Sommer 1114 setzte sich die ganze Flotte in Bewegung. Was für eine Flotte! Von 500 Schiffen berichtet die historische Chronik. Trotz dieser gewaltigen Seemacht waren die Ziele eher bescheiden: Man wollte die christlichen Sklaven befreien, die Hauptstadt in Schutt und Asche legen, dann plündern und sich vor allem rasch wieder aus dem Staub machen. Der Grund: Sollten trotz allem die Almoraviden eingreifen, wollte man weit, weit weg sein.

Doch zunächst galt es, Palma zu knacken. Der anonyme Chronist schreibt mit Bewunderung über die Pracht der Stadt und ihre mächtige Verteidigungsanlage, die trotz Einsatz modernster Geräte wie mobiler Gefechtstürme unüberwindlich schien. Monatelang zog sich die Belagerung hin. Die Moral der christlichen Recken geriet ins Wanken, und Nervosität machte sich breit, denn natürlich hatte der Emir mittlerweile die Almoraviden um Hilfe gebeten.

Auf diese wollte die Streitmacht aus Pisa und Katalonien dann doch nicht warten. Am 2. Februar 1115 gelang es endlich, eine Bresche in die Stadtmauer zu schlagen. Nach acht Monaten Belagerung wurde Madina Mayurqa eingenommen und geplündert, tausende Sklaven befreit. Dann suchten die Christen wieder das Weite.

Mehr als 100 Jahre sollten vergehen, bis Mallorca endgültig in ihre Hände fiel. Die große Zeit der ­Piraterie im Mittelmeer sollte danach erst richtig beginnen. Fortan sollten es befreite muslimische Sklaven sein, die ihre Ortskenntnisse maurischen Freibeutern zur Verfügung stellten.

Nächste Woche: Der Piratenstaat in Nordafrika