Felix N´deye (*) kommt aus dem Senegal und lebt seit fast drei Jahren auf Mallorca. Auch wenn der 41-Jährige, wie die meisten seiner Landsleute in Palma, Straßenhändler ist, verkauft er im Winter nicht. Dafür gibt es zu wenig Touristen. N´deye lebt dann von dem Geld, das er sich im Sommer verdient hat.

Um sich die Zeit zu vertreiben, schaut er trotzdem häufig bei seinen Kollegen vorbei. Zum Beispiel auf dem Wochenmarkt in Palmas Stadtviertel Pere Garau. Schon auf den umliegenden Straßen trifft er bekannte Gesichter. Diese Händler stehen wie zufällig dort. Tatsächlich haben sie sich jedoch strategisch auf den Zugangsstraßen zum Markt verteilt: „Du wirst schon sehen, welche Rolle sie spielen", sagt Felix N´deye.

Der Wochenmarkt ist dicht bevölkert. Er ist klein, aber voller Stände: Gemüse, Obst, Kleidung, Schuhe. Dazwischen drängen sich Schwarzafrikaner, und breiten auf Tüchern ihre Ware aus. Tafa Diallo* bietet kopierte CDs und DVDs an. „Die verkaufen sich im Winter ziemlich gut: Es ist kalt, die Leute bleiben zu Hause, sie brauchen Unterhaltung", erklärt er. Wie auch alle anderen hier sagt Tafa Diallo, er sei dem Elend im Senegal entflohen, um in ­Spanien an Geld zu kommen.

Jede Saison hat ihre Waren. Derzeit werden neben CDs und DVDs auch Mützen, Schals oder Aufziehspielzeuge verkauft. Im Sommer, in der Touristenzeit, werden gute Geschäfte mit Sonnenbrillen, Hüten, glitzernden Ringen und Mikrofonen gemacht. Mikrofonen? „Claro, die jungen Engländer kaufen sie gerne, um damit in Discos auf sich aufmerksam zu machen", ruft ein Händler im Französisch-Wolof-Jargon.

Ein Kunde tritt auf Tafa Diallo zu. Er will DVDs umtauschen, die er bei ihm gekauft hat. Die Qualität sei ­miserabel. Für Diallo ist das kein Problem. Er hat andere Kopien derselben DVD in der Tasche. „Es ist trotzdem rentabel. Eine DVD kriege ich für 50 Cent und verkaufe sie für 4 oder 5 Euro wieder, das ist doch gut, oder?"

Natürlich ist das gut, aber woher hat Tafa Diallo seine Waren? Da ist er vorsichtig. Er will seine Händlergeheimnisse nicht verraten. Aber er lässt sich überzeugen – einem afrikanischen Bruder kann er sich anvertrauen. Die meisten Produkte wie Gürtel, Uhren, Brillen kauft er bei Großhändlern chinesischer Billigware. Die kopierten CDs und DVDs bekommt er von einzelnen Landsleuten geliefert. Auch sie waren früher Straßenverkäufer, haben sich aber zu Produktpiraten weiterentwickelt. Mit ihren Verkaufserlösen konnten sie sich Ausrüstung verschaffen, um Raubkopien herzustellen, und dank ihres Bildungsniveaus können sie damit auch umgehen. „Auch wenn der Film heute zum ersten Mal ins Kino kommt, können sie am nächsten Tag schon eine Kopie davon machen", wundert sich Tafa Diallo.

Auf Fahrrädern besuchen die „Piraten" regelmäßig die Verkaufspunkte, um ihre Produkte anzubieten. Sollten die Händler spontan eine Lieferung brauchen, können sie sich auch telefonisch bei den Brennern melden. Die Kunden sind sich darüber bewusst, dass die Produkte der Straßenhändler zumeist kopiert oder gefälscht sind. Sie kaufen sie dennoch, manch einer sogar aus Solidarität. „Mit meinem Kauf will ich den Straßenhändlern in ihrer prekären Situation helfen", sagt ein Spanier mittleren Alters.

Anders als häufig angenommen, gehören weder Straßenverkäufer noch Produktpiraten kriminellen Organisationen an. Sie treiben einfach nur Handel, etwas wofür die Menschen aus dem Senegal ohnehin bekannt sind. Die Straßenhändler in Palma kommen überwiegend aus den Küstenstädten des westafrikanischen Landes, aus Louga, Zinguinchor, Dakar oder Saint Louis.

„Diejenigen, die schon in Spa­nien leben, lassen ihre Freunde oder ihre Verwandten nachkommen", erzählt Felix N´deye, nachdem er seine Runde über den Wochenmarkt abgeschlossen hat. Viele von ihnen sind mit Booten auf die Kanarischen Inseln übergesetzt. Da die meisten seit ihrer Kindheit in der Fischerei gearbeitet haben, war ihnen das Meer durchaus vertraut. Gefährlich war die Überfahrt trotzdem. Wer sie überlebte und, einmal angekommen auf den Kanaren, nicht wieder abgeschoben wurde, kam von dort aufs Festland und schlug sich schließlich nach Mallorca durch.

Die Neuankömmlinge werden von den Alteingesessenen finanziell unterstützt, damit auch sie ein Geschäft starten können. YAPO, der größte senegalesische Verein auf der Insel, schätzt, dass es allein in Palma 250 fliegende Händler gibt. Das ist eine Menge. Können da alle vom Straßenhandel leben? „Kommt darauf an", sagt ein anderer Händler. „Im Sommer verdiene ich ungefähr 50 bis 100 Euro am Tag. Im Winter sind es kaum 30 Euro."

Leben müssen sie davon trotzdem, und auch Geld an ihre Familien in der Heimat schicken. Wenn die Summe 3.000 Euro nicht übersteigt, überweisen sie das Geld über Transferbüros wie RIA. Höhere Summen gehen einen anderen Weg. Reiche Senegalesen auf der Insel bekommen sie auf Kommission und lassen die Summe dann zu Hause durch einen Verwandten an den Empfänger weitergeben.

Viele, aber nicht alle Afrikaner reisen illegal nach Europa ein. Felix N´deye etwa hat einen Universitätsabschluss in Mathe und Physik und arbeitete im Senegal zehn Jahre bei einer Firma als Fischerei-Fachmann. Das Unternehmen schickte ihn auf eine Messe nach Spanien, und Felix N´deye kehrte nicht zurück. Er dachte, er könne hier besser und schneller Vermögen erwerben und dann heimkehren. Ein folgenschwerer Irrtum. Auf Mallorca muss er, trotz seiner Ausbildung, mit Straßenhandel überleben. „Das ist immer noch besser als Diebstahl", tröstet er sich.

Inzwischen haben die fliegenden Händler angefangen, ihre Waren einzupacken. Sie wurden alarmiert, dass die Polizei bald auftauchen wird. Keiner will festgenommen werden. Schnell falten sie die vier Ecken des Tuchs zusammen, auf dem die Waren ausgebreitet sind, und verschwinden. Felix N´deye erinnert an seine Worte: „Ich hatte doch gesagt, dass die Händler auf den Zugangsstraßen eine strategische Rolle spielen."

Wer festgenommen wird, muss seine Ware abgeben, wird erkennungsdienstlich behandelt und kommt dann aber meist schnell wieder frei – Straßenhandel sowie der Verkauf von Raubkopien werden gewöhnlich nur als Ordnungsvergehen geahndet. Die Straßenhändler riskieren jedoch einen Abschiebungsbescheid. Der wird zwar nur in den seltensten Fällen vollstreckt, hat aber zur Folge, dass es schwerer wird, eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Dafür muss man mindestens drei Jahre ununterbrochen auf spanischem Boden verbracht haben und einen gültigen Arbeitsvertrag vorweisen können. Sollte man bei illegalen Aktivitäten wie dem Straßenhandel oder mit einem falschen Arbeitsvertrag ertappt werden, verlängert sich die Wartezeit.

„On ne veut pas de problème", sagen die Schwarzafrikaner. Übersetzt heißt das: „Wir wollen keine Probleme." Die meisten haben genaue Vorstellungen von dem, was sie auf der Insel erreichen wollen: eine Aufenthaltsgenehmigung erwerben, Geld verdienen und in die Heimat zurückkehren. Deswegen achten sie auch darauf, nichts zu tun, was das erschweren könnte. Eines ihrer größten Probleme ist, an die Arbeitsverträge ranzukommen. Immer wieder kommt es vor, dass gewissenlose Geschäftemacher ihnen gefälschte Verträge verkaufen.

Wie vor ein paar Wochen, als 31 Ausländer wegen falscher Arbeitsverträge festgenommen wurden. Mehr als die Hälfte davon waren Senegalesen. Hereingelegt wurden sie von einem anderen Senegalesen, wie Felix N´deye zu berichten weiß. Der Betrüger hätte sich das Vertrauen seiner Landsleute mit einem Trick erschlichen. Über 90 Prozent der senegalesischen Bevölkerung sind muslimisch, ihr Vertrauen in die religiöse Führung ist traditionell groß. „Auch vom Ausland aus ziehen viele marabouts zurate", sagt Felix N´deye. Das sind religiöse Gelehrte und Führer. Die senegalesischen marabouts haben bestimmte Namen, je nach ihrem religiösen Bekenntnis. Sie heißen Guisse, M´Bate Bate, Sy oder auch Yassem. Diese Namen machte sich der Betrüger zunutze. Er gab sich als Guisse aus und lud aus dem Senegal einen weiteren marabout ein. Dank dessen Anwesenheit gelang es dem Mann, sich bei seinen Landsleuten Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Er verkaufte ihnen über 20 falsche Arbeitsverträge, jeden für 1.000 bis 1.500 Euro. „Guisse" hat sich inzwischen, Felix N´deye zufolge, nach Frankreich abgesetzt.

Und dann sind sie auch noch Schwarze. Wie seine Kollegen weiß Felix N´deye von rassistischen Anfeindungen zu berichten: „Im Supermarkt schreit man uns an, wenn wir – wie die anderen – die Baguettes anfassen wollen, um die weichen barras auszuwählen. Die Weißen tun das, ohne sich Ärger einzuhandeln." Wohlfühlen in Palma kann man sich so nicht: „Viele scheinen zu denken, dass wir schmutzig sind und Krankheiten übertragen."

Auch die Wohnsituation ist kritisch. Die Männer wohnen zusammen, vorwiegend in Arenal und Son Gotleu. Die Vermögenderen können sich ein eigenes Zimmer leisten. Alle anderen teilen sich zu zweit oder zu dritt einen Raum. Felix N´deye etwa lebt in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit zwei anderen Senegalesen: der Vermieter in dem einen Schlafzimmer, Felix und ein Freund in dem anderen. Das Wohnzimmer ist kaum möbliert: Hier und da ein paar Stühle, ein Tisch und ein Schrank. Überall liegt Ware herum.

Für die Haushaltskasse wird Geld zusammengelegt, der Reihe nach ist jeder mal fürs Kochen zuständig. Diejenigen, die sich durch das Rathaus oder Caritas empfehlen lassen konnten, essen mittags in einer Suppenküche in der Carrer Patronat Obrer. Freizeit gibt es kaum, nach dem Markt wird am Nachmittag gemeinsam gekocht und gegessen, bevor auf den Straßen und in den Kneipen weiter verkauft wird.

„So also sieht unser Leben aus", rundet Felix N´deye seine Erzählung ab. Er ist verheiratet. Seine Frau und seine beiden Kinder hat er im Senegal zurückgelassen. Er denkt häufig an sie. Auch an die Arbeit, die er zurückgelassen hat: „Hätte ich gewusst, wie schwer das Leben hier sein würde, hätte ich meinen Job nicht aufgegeben." Wenn er jetzt zurückkehrt, würde es dauern, bis er einen guten Job bekommt. Deswegen bliebt er lieber noch in Palma, bis er einen Aufenthaltsgenehmigung erhält. Danach weiß Felix N´deye, was zu tun ist: seine Zeugnisse genehmigen lassen und sich um Arbeitsstellen in Spanien sowie in seiner Heimat bewerben.

* Namen von der Red. geändert.

Eric Segueda ist Journalist und Germanist. Er stammt aus Burkina Faso und macht gerade ein Praktikum bei der MZ.

In der Printausgabe vom 24. Februar (Nummer 564) lesen Sie außerdem:

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