Der Meeresbambus (Isidella elongata) galt im Mittelmeerraum als ausgestorben. Ein einziger Auswurf eines Schleppnetzes auf den Meeresboden kann die hoch sensiblen Korallenbänke verschwinden lassen. So war es für die Wissenschaftler der Meeresschutzorganisation Oceana eine große Überraschung, als sie bei der Erforschung der Unterwasserberge zwischen Mallorca und Formentera in rund 500 Meter Tiefe auf Meeresbambus stießen. Er ist Lebensraum für Krustentiere, Haie, Rochen und kleine wirbellose Tiere. „Wir konnten kaum glauben, dass die Korallen dort großflächig überlebt haben", erzählt Biologin Silvia García.

Dabei ist der Meeresbambus nur ein Beispiel von vielen für die reiche Artenvielfalt in den balearischen Unterwasserbergen. In den von Überfischung, intensivem Schiffsverkehr und Verschmutzung gefährdeten Ökosystemen im Mittelmeer sind die zum Teil mehr als 1.000 Meter hohen Erhebungen Oasen des Lebens. Die Unterwasserberge ziehen zahlreiche Fische – unter ihnen auch Thunfische und Haie –, Meeressäuger, Meeresschildkröten und Weichtiere an.

„Es gibt viele Arten, die wegen ihrem Bedarf an Licht und Wassertemperatur nur bis zu einer bestimmten Tiefe leben können. Auf den Bergen haben sie die Möglichkeit dazu. Außerdem treiben die dort aufeinander treffenden Strömungen Nahrung nach oben", erklärt García.

Mit mehreren Kollegen hat sie die bergige Unterwasserwelt in den vergangenen Jahren in insgesamt drei Expeditionen untersucht. Taucher erreichen die Gipfel unter Wasser nicht mehr. Der knapp 800 Meter hohe „Emile Baudot", im Gebiet der Balearen der Unterwasserberg, der der Wasseroberfläche am nächsten kommt, ist an seiner höchsten Stelle immerhin noch rund 100 Meter unter Wasser. Von ihrem Katamaran aus ließen die Forscher daher einen von einer Spezialfirma angemieteten Roboter mit einer hochauflösenden Kamera auf den Meeresgrund hinab. „Wir erhielten die Bilder live an Bord und steuerten den Roboter von oben an die Stellen, die uns weiter interessierten."

Insgesamt rund 100 Stunden Material sammelten die Forscher auf diese Weise und dokumentierten mehr als 300 Arten, von denen mindestens 30 geschützt sind. Bei seinen Wanderungen unter Wasser blieb der Roboter allerdings auch öfter unterwegs stecken, weil er sich etwa in Fischernetzen verhedderte. Mit seinem eigenen Greifarm, der vom Schiff aus gesteuert wurde, konnte er sich schließlich wieder befreien. „Das dauerte zum Teil ein bis zwei Stunden."

Von den weltweit mehr als 100.000 Erhebungen mit mehr als 500 Metern Höhe auf dem Grund der Ozeane sind im Mittelmeerraum mehr als 150 identifiziert. Davon erreichen 59 über 1.000 Meter Höhe. Der „Emile Baudot" entstand aus einem Vulkan und weist 118 einzelne Zinnen auf. Der 300 Meter hohe „Ausias March" und der 500 bis 600 Meter hohe „Ses Olives" sind dagegen kontinentalen Ursprungs. Sie sind die drei bekanntesten von insgesamt 10 bislang benannten Erhebungen der Balearen.

Geologische Studien zu den Bergen wurden bereits in der Vergangenheit gemacht, doch abgesehen von einigen mit Netzen nach oben beförderten Proben des Ozeanographischen Instituts (IEO) gab es bislang keine biologische Untersuchung der Berge. Besonders freuten sich die Forscher etwa über die Entdeckung von maërl, verkalkte Strukturen roter Algen in ungewöhnlicher Tiefe, die ein wertvoller Lebens- und Schutzraum für viele kleine wirbellose Lebewesen sind, und beispielsweise eines fleischfressenden Schwamms, dessen Vorkommen bislang noch nie an einem Unterwasserberg belegt worden war.

Oceana hat beim spanischen Umwelt- und Meeresschutzministeriums bereits erfolgreich auf die Einrichtung eines Schutzgebiets für die Berge gedrängt. Das Ministerium hat sich im März dazu verpflichtet, mit dem Ozeanographischen Institut Bestimmungen dafür auszuarbeiten. Auch die Balearen-Regierung unterstützt das Vorhaben. Oceana fordert eine insgesamt rund 2.800 Kilometer (das entspricht in etwa der Größe Mallorcas) große reserva, in der Schleppnetz-Fischerei komplett verboten wird. Zum Glück für die Artenvielfalt am „Emile Baudot" ist die Schleppnetzfischerei dort bereits wegen bestehender Einschränkungen eingedämmt. „Der Berg ist so weit weg von der Küste, dass ihn die Boote in der erlaubten Fangzeit nicht erreichen."

In der Printausgabe vom 19. Mai (Nummer 576) lesen Sie außerdem:

- Geschichte: Als Mallorquiner für Hitler in den Krieg zogen

- Wegweiser: Wanderung beim Kloster Lluc auf den Puig de Ses Covasses

- Kindermenü: Elionor und ihr Großvater Pedro

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