Die Idee kam Gori Vicens vor 13 Jahren, als er in New York lebte und in seinem Heimatdorf Felanitx den Sommerurlaub verbrachte. Mit dem geschärften Blick des Rückkehrers warf sich der ­Mallorquiner ins Getümmel des Dorffestes und erstellte eine Fotoreportage, mit der er das von Tradition geprägte Ereignis als zeitgenössischer Künstler zu einem „anderen" Buch über Mallorca verarbeitete.

Im vergangenen Jahr wandte er dasselbe Rezept auf das Schlachtfest an, die matances, und vermengte seine Fotos mit Gemälden des jungen Künstlers Albert Pinya und Texten des Journalisten und „El País"-Korrespondenten Andreu Manresa.

Nun hat Vicens erneut zugeschlagen: Mit „al trot" liefert er die Vision des Außenseiters, der sich dem Trabrennsport annähert und somit einer Szene, die auf der Insel enorme Bedeutung hat, aber auch „sehr verschlossen ist".

„Mallorca ist ein Mekka des Trabrennsports in Europa", sagt Vicens. Und obwohl es viel zu erzählen gäbe über all die hervorragenden Pferde, die bekannten Züchter, die großen Rennen, die lange Geschichte dieses Sports und die ausgeprägte Pferdeverrücktheit der Mallorquiner, hat ihn die Dokumentation nur als Einstimmung interessiert, nicht für das Buch selbst. Im Gegenteil: „Für die acht Texte habe ich acht spanienweit bekannte Autoren ausgesucht, von denen die meisten keinen blassen Schimmer vom Trabrennsport haben, und ihnen überlassen, wie sie ihre Aufgabe erfüllen und ihre Seite füllen."

Dank bester persönlicher Kontakte konnte Vicens Edelfedern wie etwa Agustín Fernández Mallo für das Projekt gewinnen. Mallo hat mit seinen „Nocilla" (Nutella)-Romanen Furore gemacht und eine neue Gattung zeitgenössischer Literatur mitbegründet. Der in Palma lebende Galicier lieferte als einziger ein Gedicht ab. Darin besingt er den Pferdesport als Zeitmaschine zu den Ursprüngen der Zivilisation.

Auf ein ganz anderes Genre griff Bárbara Celis zurück, „El País"-Korrespondentin in New York: Sie entwickelt die sarkastische Fiktion eines korrupten mallorquinischen Politikers, der – um vom Skandal abzulenken und sein Image aufzupeppen – Inseltraber in die USA fliegen und ein Trabrennen auf der glamourösen Fifth Avenue organisieren lässt. Ein Unternehmen, das in die Hose geht, wie auch schon der Titel ahnen lässt: „Die Pferde leiden unter Jetlag".

Die Frage liegt nahe, wie diese ungewöhnliche Perspektive bei den Trabrenn-Enthusiasten der Insel angekommen ist. „Vielen hat das Buch gut gefallen, andere haben es überhaupt nicht verstanden." Zum Beispiel verstörten jene verwischten Fotos, mit denen Vicens die Bewegung wiederzugeben versucht. „Die Trabrennfreunde wollen das Pferd und den Fahrer erkennen. Einer sagte zu mir: ´He, deine Bilder sind unscharf!´"

Zur Präsentation des Werks im privaten Kulturzentrum Pelaires in Palma seien denn auch nur Leute der Kulturszene gekommen, „aber praktisch niemand aus der Trabrennszene, obwohl wir die Veranstaltung extra so gelegt haben, dass diese Leute von einem Rennen in Son Pardo direkt zur Präsentation hätten kommen können".

Das war insofern keine Überraschung, als er bei seinen Besuchen der Rennstrecke Son Pardo in Palma und des Hipódromo Municipal de Manacor ein Kollektiv kennengelernt habe, „das sich einzig und allein für Pferde interessiert und für absolut nichts anderes". Eine faszinierende, sehr ländliche und durchaus archaische Welt. „Das sind Menschen, die nur in ihrem Dorf leben, und wenn sie ausnahmsweise mal in die Stadt fahren, dann direkt zur Trabrennbahn."

Manchmal hätte er, obwohl selbst Mallorquiner mit ländlichen Wurzeln, Schwierigkeiten gehabt, die zufällig mitgehörten Dialoge der Zuschauer auf der Trabrennbahn zu verstehen. „Da waren Akzente dabei, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte."

Vicens unterscheidet drei ­Mallorcas: Jenes der modernen, aufgeschlossenen – oder dies zumindest vortäuschenden – Insulaner, das der „Normalen", und das Archaische wie das der Pferdenarren, deren Vorstellungswelt fest in der Vergangenheit verankert sei, worüber auch der moderne Mercedes nicht hinwegtäuschen sollte.

Den distanzierten Blick auf die Traditionen der eigenen Heimat hat sich der 42-Jährige mit langen Aufenthalten fern der Insel erworben. Jahrelang lebte er in Barcelona, London, Los Angeles und New York. Auch in Berlin verbrachte er viele Monate, „ohne Deutsch zu lernen, weil ich das so machen wollte wie viele Deutsche, die nach Mallorca kommen".

Vicens arbeitete als Fotoreporter für Magazine wie „Cover", „Stern", „Paris Match" und Zeitungen wie „The New York Times" und „El País". Das Thema eines seiner letzten Foto-Jobs als US-Resident waren die Folgen der Anschläge vom 11. September. Vicens wohnte damals in New York, befand sich aber zu Besuch auf Mallorca. Mit einem der ersten Flugzeuge, die von Spanien nach New York gingen, reiste er über den Atlantik, beschloss aber kurze Zeit später, seine Zelte dort abzubrechen und in Spanien eine Kulturzeitschrift zu gründen.

Die nennt sich „dpalma", erscheint alle zwei Monate, feiert bereits ihr zehnjähriges Bestehen und wird auch in Berlin verteilt. „Aus ideologischen Gründen, weil sich dort Kultur abspielt und weil ich die balearische Kultur bewerben will." Darum sind in jeder Ausgabe mehrere Artikel ins Deutsche übersetzt.

Die großformatige Zeitschrift mit dem Untertitel „Progressive Stadtkultur" ist auch Herausgeber des Buchs „al trot", dessen erste und voraussichtlich einzige Auflage von 1.000 Stück laut Vicens nahezu komplett verkauft ist, vor allem an Großabnehmer.

Nun will er jedes Jahr ein neues Buch nach demselben Strickmuster herausbringen: eine Inseltradition, zeitgenössisch abgehandelt. Was er sich für 2011 vornimmt, weiß er noch nicht definitiv. Aber Vicens hat eine Wette laufen, dass er sogar in der Lage sei, ein hippes Konzept für ein Buch über Petanca (Pétanque) zu erstellen.

„al trot", Hrsg. dpalma, Fotos von Gori Vicens, Texte (Katalanisch, Spanisch, Englisch) von Bárbara Celis, Lourdes Durán, Agustín Fernández Mallo, Andreu Manresa, Philip Meridian, Román Piña, Francesca Pujol, Llucia Ramis, 40 Euro.

In der Printausgabe vom 26. Mai (Nummer 577) lesen Sie außerdem:

- Bionorica-Chef Michael Popp setzt sich ein denkmal

- Wegweiser: Wanderung auf den Puig de sa Bombarda

- Kindermenü: Klein und rund - na und?

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