Die Ruhe ist trügerisch am Cap Blanc. Das Meer liegt wie ein Teppich da, blau und beinahe still. Zu hören ist nur das leise Plätschern des Wassers, wenn es auf die zerklüftete Steilküste trifft. Ein Postkarten-Ausblick, wären da nicht die völlig zerstörten Überreste von vier Autos, die nach einem 120-Meter-Flug abwärts auf die Felsen zerquetscht wie kaputtes Spielzeug auf den Steinen liegen und vor sich hin rotten. Die Insassen hatten keine Überlebenschance.

Hier beginnt die Geschichte der Sondereinsatztruppe GREIM der Guardia Civil auf Mallorca. GREIM steht für Grupo Rescate Especial de Intervención en Montaña und soll in Not geratene Menschen in unzugänglichen Gebieten, vor allem in den Bergen, retten. Oder, wie am Cap Blanc meist der Fall, was von ihnen übrig blieb. Elf Mann stark ist die Truppe auf Mallorca. Seit zehn Jahren gibt es sie. Ihr Sitz befindet sich im Keller des Hauptsitzes der Guardia Civil in der Carrer ­Manuel Azaña in Palma.

Nur zwei Mitglieder der GREIM sind Mallorquiner, alle anderen kommen vom Festland, auch Sargento Joaquín Torres, der Chef. Er stammt aus Málaga und ist vor zwei Jahren von einer anderen Einheit aus Huesca in den Pyrenäen auf die Insel gekommen. „Jahr für Jahr steigt mit der Zahl der Wanderer auch die Zahl der Einsätze auf Mallorca. Allein 2011 sind es schon 31", sagt er, während seine Männer mit Seilen und Winden hantieren. Im vergangenen Jahr waren es 51 Einsätze, 2009 sogar 65. Meist geht es in die Serra de Tramuntana, oft müssen die Männer am Torrent de Pareis bei Sa Calobra den Wanderern helfen.

Am Cap Blanc wird heute die Bergung einer simulierten Leiche mit dem Hubschrauber trainiert. Es geht darum, immer schneller zu werden. Jeder Handgriff muss sitzen. Die GREIM ist eine Eliteeinheit. An die neunmonatige Grundausbildung bei der Guardia Civil schließt sich eine einjährige Spezialisierung an. „Die Schulung ist hart. Von den anfänglich 30 Kandidaten bleiben pro Kurs am Ende vielleicht noch zehn oder zwölf übrig. Wenn einer der Auszubildenden Schwächen zeigt, fliegt er sofort", berichtet Joaquín Torres.

Dieser Küstenabschnitt südlich von Llucmajor ist berüchtigt. Wie steil es hinunter geht, bekommt der Redakteur am eigenen Leib zu spüren. Nachdem eine kurze Übung an einem etwa zehn Meter tiefen Abhang erfolgreich gemeistert ist, wird es ernst. Der Hubschrauber der Guardia Civil, der die GREIM-Einheit bei Notfällen unterstützt, kreist über der Küste. Die vorbeikommenden Radfahrer und Fußgänger halten an, wollen wissen, was passiert ist.

Fran und Jacobo, zwei der Männer, befestigen mehrere Seile an der Felswand. Weil die Einheit am Cap Blanc immer wieder an der gleichen Stelle trainiert, haben sich die Mitglieder bereits einen Weg zurechtgelegt. Bei jedem Einsatz gibt es einen Strick, der die Helfer in die Tiefe lässt, und ein weiteres Sicherungsseil. „Falls eine Leine durch einen spitzen Stein aufgerieben wird und reißt, haben wir dann zumindest noch eine zweite", erklärt Fran. Sicherheit für die Helfer geht auf jeden Fall vor, auch wenn das Risiko, dass eines der Seile reißt, gleich null sei. „Sie können eine Belastung von 3.000 Kilo aushalten. Ich habe schon gesehen, dass damit Autos geborgen wurden", sagt der junge Polizist.

Ein 120 Meter hoher senkrechter Abhang liegt vor den Männern der Einheit und auch vor dem Redakteur, der sich mit abseilen wird. Als blutiger Anfänger vorsichtshalber dreifach gesichert, die Hände fest am Seil, geht es Stück für Stück an der senkrechten Wand hinab. Nur nicht in die Tiefe schauen, ganz unten liegen ein paar Felsen und sonst nur das Blau des Meeres. Der Puls schlägt heftiger, die Hände krallen sich immer stärker an das Seil. Jetzt bloß nicht loslassen. Die Handflächen schmerzen.

Nur noch wenige Meter, dann ist wieder fester Boden unter den Füßen. Erleichterung stellt sich ein, die Finger verlangen nach einer Massage. Angenehm war das nicht. Auch Joaquín Torres hat sich bei der Übung an mehreren Stellen die Hand aufgerissen, vereinzelt sind blutige Stellen zu sehen. Das alles zählt im Ernstfall nicht. Dann geht es nur darum, Menschen zu retten.

Inzwischen befindet sich der Hubschrauber im Anflug auf die Steilküste. Mit großem Getöse und dem Wind, der von den Rotorblättern erzeugt wird, nähert sich uns die Maschine. Als der Helikopter Greifhöhe erreicht hat, nehmen Torres und Jacobo von einem Kollegen im Helikopter eine Liege entgegen und stellen sie auf einen Felsen. Das Manöver ist nicht ungefährlich. „Das Problem ist, dass wir noch keinen Hubschrauber mit Kran haben. Der ist zu teuer. Wir müssen deshalb immer sehr nahe an den Felsen fliegen, die Kufen des Hubschraubers setzen oft schon auf." Der Redakteur klammert sich an einen Stein, um im Sturm, den die Rotorblätter verursachen, nicht ins Meer zu stürzen.

Der Hubschrauber hebt wieder ab und kommt dann nach einer Runde wieder zurück. Nun muss die Liege an Bord befördert werden. Langsam und vorsichtig lässt der Pilot eine Leine herab, die die beiden GREIM-Polizisten an der Liege befestigen. Der Vorgang dauert nur zehn Sekunden, dann ist die Liege befestigt und schwebt am Seil davon.

Die Übung ist geglückt, Joaquín Torres ist glücklich. „Das war Routine, aber trotzdem bin ich immer froh, wenn alles klappt. Es ist jedes Mal auch ein Stück weit gefährlich." Der Hubschrauber verschwindet am Horizont. Sollte jetzt ein Notfall einlaufen, würde die Besatzung des Hubschraubers die Leine durchtrennen, die Liege würde ins Meer fallen und der Helikopter wäre für den neuen Einsatz bereit.

„Im Extremfall würden wir auch eine Leiche opfern. Leben retten geht in diesem Fall vor", sagt Joaquín Torres, während sich die Retter zu Fuß wieder auf den steinigen Weg nach oben machen. Gazellengleich bewegen sie sich im zerklüfteten Fels vorwärts. Der Redakteur kommt kaum hinterher.

„Das Traurige ist, dass ich im Lauf der Jahre wohl mehr Tote geborgen als Verletzten geholfen habe", sagt Joaquín Torres. Und berichtet über einen besonders spektakulären Fall, der seine Männer und ihn noch heute beschäftigt. Am 1. Dezember 2009 wurde die GREIM-Einheit um 22 Uhr darüber informiert, dass in einem Brunnenschacht nahe der Playa de Mago bei Magaluf eine Leiche gefunden worden war. Starker Verwesungsgeruch drang aus 25 Metern Tiefe durch den kaum einen Meter breiten Schacht nach oben. Zwei Mitglieder der Einheit seilten sich ab und bargen die Überreste eines Jägers. Später kamen die Details ans Licht: Der Mann war auf der Jagd versehentlich in den Brunnen gefallen und hatte sich dabei zahlreiche Knochenbrüche zugezogen. Weil in dieser Gegend niemand unterwegs war, rief er vergeblich um Hilfe. Tage später nahm er sich mit seiner Waffe das Leben.

Trotz solch drastischer Einsätze: Psychologische Betreuung bekommt niemand in der Einheit. Mit der Zeit stumpfe man ab, sagt Torres, als er den Rand des Abhangs erreicht hat und wieder auf der Ebene über der Steilküste steht. Die elf Männer sind inzwischen zu einer verschworenen Truppe geworden. Es habe sich eine enge Freundschaft entwickelt. Jeder weiß genau, was der andere macht. Wenn ein Einsatz erfolgreich verläuft und die Geretteten sich bedanken, sei das ein großer Ansporn. „Letztens haben wir zwei Deutschen in Bergnot geholfen. Da hat uns die Frau zum Abschied zwei Küsse auf die Wangen gedrückt", erzählt Fran. Und ein andermal sei ein junges Pärchen gerettet worden, das der Einheit dann eine Packung Energieriegel und Sobrassada vorbeigebracht habe. Geld dürfe die Einheit nicht annehmen, auch wenn ihnen das oft angeboten werde. Dabei wundern sich viele, dass ihnen die Rettung nicht in Rechnung gestellt wird. „Das stößt immer wieder auf grenzenlose Erleichterung, vor allem bei den Deutschen", berichtet Fran. Allein jeder Hubschraubereinsatz koste den spanischen Steuerzahler mindestens 2.000 Euro.

Umgekehrt sind sich die Männer darüber einig, worüber sie sich am meisten ärgern: Wenn von den Geretteten kein Dank kommt. „Wir riskieren ja oft auch unser eigenes Leben, um etwa Wanderer aus Felsspalten zu retten. Wenn dann nicht einmal ein Dankeschön kommt, ist das enttäuschend", sagt Joaquín Torres. Die Anspruchshaltung der in Not Geratenen sei mitunter extrem hoch. „Die Leute glauben, wir müssten alles riskieren, um sie zu retten. Da irren sie sich aber."

Zumindest dieses Problem hat die Einheit an diesem Tag nicht: Es war ja nur eine Übung, da muss sich niemand bedanken. Außer dem Redakteur.

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