Trendmuster Ikat - seit Jahren unter den Lieblingen der Modedesigner, sieht man die geometrischen Muster in satten Farben auch in der aktuellen Saison auf Kleidung, Taschen, Gürteln und sogar Schmuck prangen. Doch die Modewelt zwischen Paris und New York macht sich für den Ikat-Stil meist nur einfache Drucktechniken zunutze. Mit Ikats, wie sowohl die Stoffe als auch die komplizierte Technik heißt, mit der die besonderen Muster entstehen, hat das nur noch am Rande etwas zu tun.

Dabei hätten gerade europäische Designer echte Ikats längst für sich entdecken und daraus eine exklusive Kollektion kreieren können. Denn auf Mallorca, dem einzigen Ort in Europa, werden die Stoffe mit doppelseitigem Muster noch nach uralter Technik hergestellt. Und jetzt entwarfen die Mallorquiner selbst ihre erste Mode­kollektion aus Ikats.

Die Idee dazu hatte die Textilfirma Teixits Vicens vergangenen Sommer. Die Manufaktur in ­Pollença ist zusammen mit Bujosa in Santa Maria del Cami und Teixits Riera in Lloseta inselweit die Letzte, die in Handarbeit ihre Garne färbt und sie zu Stoffen mit Ikat-Mustern verwebt. Die Technik entstand weltweit an verschiedenen Orten unabhängig voneinander, seit Hunderten von Jahren fertigen Menschen in Afghanistan, Indonesien, Kolumbien, Mexiko und Südindonesien Ikats und nähen daraus Kleidung, in Südostasien zum Beispiel Kimonos und Sarongs. Vermutlich fanden Ikats ihren Weg vor rund 500 Jahren über Frankreich und Italien nach Mallorca.

Die Mallorquiner entwickelten eigene Designs, wie die typischen vertikalen Streifen, und gaben dem Stoff einen eigenen Namen: roba de llengües, Zungenstoff, abgeleitet von dem Muster, das mit seinen verschwommenen, zackigen Rändern an Flammen oder Flammenzungen erinnert.

Bis heute sind Zungenstoffe auf Mallorca sehr beliebt, vor allem als Kissen- und Stuhlbezüge, Gardinen, Tischdecken und Platzsets. Als Kleidung sieht man sie höchstens noch auf einem der traditionellen Dorffeste. Das könnte sich nun ändern, mit der Sommerkollektion „Made With Tongues" von Teixits Vicens mit Hosen, Bermudas, Jacketts, Kleidern und Röcken, die für Männer und Frauen zwischen 30 und 50 Jahre gedacht ist (Preise zwischen 90 Euro und 225 Euro).

„Es ist ein Experiment", sagt Lluch Recalde, verantwortlich für Design und Marketing von Teixits Vicens. Man wende sich auch an Urlauber: „Wieso nicht ein Kleid oder Jacket aus Zungenstoff als Insel-Souvenir mit nach Hause nehmen?". Das sei allemal origineller, als eine beliebige Jacke oder Shorts mit Ikatdruck in einem Kaufhaus zu erwerben.

Auch Joana und Cati Vicenç die das Familienunternehmen führen, sehen das modische Potenzial ihrer Stoffe. Vor ein paar Jahren entwarfen sie zusammen mit dem ­menorquinischen Designer und Schuhmacher Dino erstmals Ballerinas aus Zungenstoffen. Später folgten Espadrilles, Taschen, Schürzen und Schlüssel­anhänger. „Auch Kooperationen mit dem Ausland laufen an", sagt Cati Vicenç, die jüngere der Schwestern. Aktuell entwickeln sie Taschenmodelle für eine bekannte deutsche Taschenmarke.

Das Umtriebige ist Familien­tradition. Die Urgroßeltern besaßen eine Textilwerkstatt für Wolle in Pollença, aus der ihr ­Großvater Martí Vicenç i Vilanova eine „Llengües"-Fabrik machte, und er stand als einer der ersten Handwerker im Dorf für einen freieren Stil in der Textilwelt. Ihr Vater Martí Vicenç wiederum musste die Zungen­muster der Familie ein zweites Mal neu erfinden. Er war erst fünf, als sein Vater starb - folglich konnte er die Webtechnik nicht von ihm lernen. „Jahre später versuchte er aus alten Familienbüchern Muster und Farben zu rekonstruieren", erzählt Cati Vicenç. Der künstlerisch veranlagte Martí entwickelte auch neue Farbmischungen für die typischen mallorquinischen Grundfarben Dunkelblau, Hellblau, Grün und Gelb. Und zusammen mit seiner Frau Antònia zeichnete er verschiedene Muster. Seine erstmals mehrfarbig gewebten Stoffe waren damals bahnbrechend.

Über ein halbes Jahrhundert später stehen im Laden am Kreisel des Ortsausgangs Pollença Richtung Hafen rund 250 verschiedene Stoffe aufgerollt an der Wand (50-60 Euro/Meter). Viele tragen traditionelle Familien­muster. „Diese Muster sind zeitlos und keiner Mode unterworfen", erklärt Joana Vicenç. Sie passen in ein klassisches mallorquinisches Haus genauso wie zur modernen Einrichtung.

Für die Modekollektion wählten die Schwestern zusammen mit Lluch Recalde zehn verschiedene Muster und dazu unifarbene Stoffe in Blau, Scharlachrot und Gelb aus. „Das Motto heißt mediterrane Einfachheit, die Modelle sollen unsere Kultur widerspiegeln", so Lluch Recalde. Die mehrfarbigen Hosen, Jacketts und Röcke sehen zum Beispiel toll zu einer schlichten weißen Bluse oder einem Hemd aus. Unter den Stoffen sind auch Neuentwürfe, die Joanas Tochter Martina für die Kollektion kreierte, wie ein cremefarbenes Gewebe mit grauen Zungen.

„Das echte Ikat erkennt man am Garn", erklärt Lluch Recalde, die interessierten Besuchern gerne die Fabrik im hinteren Gebäudeteil zeigt. Das Wort Ikat stammt aus dem Malaiischen und bedeutet abbinden, umwickeln. Auch bei Teixits Vicens bedeckt man bestimmte Stellen des Naturgarns mit Gummi von Fahrrad­schläuchen und bindet diese ab, bevor der Strang ins Farbbecken kommt. Auf diese Weise wird die Faser nur in variierenden Abschnitten koloriert, die umwickelten Stellen bleiben weiß oder werden in einem zweiten Schritte in einem anderen Ton gefärbt. Durch mehrmaliges Abbinden und Färben entstehen Muster, und da an den Enden der Abbindung immer ein wenig Farbe eindringt, haben die geometrischen Formen ungerade, flimmernd verlaufende Linien.

Zum Trocknen hängen die Garne auf dem Dachboden, im Sommer zwei, drei Tage, im Winter manchmal wochenlang. „Erst wenn sie ganz trocken sind, können sie ein weiteres Mal gefärbt oder weiter verarbeitet werden", erklärt Lluch Recalde. Per Hand kombinieren die Mitarbeiter, fast alle nahe oder ferne Verwandte der Familie, die Fäden von mehreren Trommeln zu geometrischen Mustern, die zum Beispiel treppen­förmig verlaufen. Dafür muss jeder der 2.025 Fäden, die man benötigt, um am Ende einen 1,50 breiten Stoff zu erhalten, in der Reihe einzeln angeordnet werden. Mechanisch arbeitet in der Werkstatt nur der Webstuhl, der die Fäden anschließend zum Stoff verwebt. Und so versteht man am Ende dieser aufwendigen Prozedur, warum es locker ein bis zwei Monate dauert ein neues Stoff­muster herzustellen.

Um aus den eher festen Baumwoll-Leinenstoffen (Verhältnis 70/30) weich fallende Hosen und Kleider zu entwerfen, wurden sie mit einer Anti-Flecken-Veredelung (ein Öko-Produkt aus Deutschland) behandelt und so flexibler gemacht. „Trotzdem lässt sich mit diesen Stoffen nicht jedes beliebige Modell realisieren", erklärt Designerin Maria Trepat, die für die Kollektion verpflichtet wurde. Ihre Modelle fallen geradlinig und schlicht aus - weil das Marias Stil entspricht und sich das Gewebe sowieso nicht in Falten legen lassen würde. Stattdessen spielt sie mit unterschiedlichen Rocklängen, andersfarbigen Aufschlägen an den Hosenbeinen und angesetzten Rundkragen und Ärmelchen an den Kleidern.

Für die Designerin aus Pollença war der Auftrag eine willkommene Abwechslung: „Ikats sind modisch zwar weit verbreitet, aber bisher existiert keine komplette Kollektion." Männer, die mit einem der bunten Jacketts auf die Straße gingen, brauchen vielleicht etwas Mut, glaubt die 32-Jährige. „Doch in Städten wie Barcelona, Paris und Berlin setzt man mit solch einem Stück auch ein modisches Statement." Lluch Recalde ist ebenfalls gespannt, wie die Kollektion unter Mallorquinern und Residenten ankommt. Im Herbst verteilte sie bereits Musterstücke zum Probe­tragen an Freunde - alle, auch die Männer, wollten anschließend Jackett und Hose behalten. „Made With Tongues" kommt in den nächsten Wochen in die Läden. Anprobieren kann man die Kleidung direkt bei Teixits Vicens in Pollença, außerdem in der Boutique von Designerin Maria Trepat „Suite 13" in Palma sowie im „39 Graus Nord" in Port de Pollença.