Wer sich Ultra-Langstreckenschwimmer womöglich als von Kopf bis Fuß durchtrainierte Athleten mit Adonis-Körper vorstellt, dürfte von Anna Wardley auf den ersten Blick eventuell enttäuscht sein. Die stämmige Britin entspricht nicht wirklich dem Stereotyp einer Extremsportlerin, die bereits den Ärmelkanal in knapp 20 Stunden durchquert oder in mehr als 26 Stunden die Insel Wright an der Südküste Englands umrundet hat. Schwimmend wohlgemerkt. Und Non-stop.

Wardleys neueste Herausforderung spielt auf den Balearen. So will die 39-jährige Britin zwischen September und Dezember dieses Jahres in drei Etappen rund 210 Kilometer auf dem offenen Meer zurücklegen: Von Menorca nach Mallorca, anschließend von Ibiza nach Mallorca und danach noch von Ibiza aufs spanische Festland. Außer ihr ist bisher noch niemand auf diese Idee gekommen. Sollte Wardley die von ihr selbst benannte „Balearic Swim Challenge" meistern, wäre sie der erste Mensch, der die drei Haupt­inseln der Balearen schwimmend miteinander verbunden hätte.

Umso mehr überrascht die scheinbare Gelassenheit, mit der Wardley sich derzeit in ihrem Zweitwohnsitz in Colònia de Sant Jordi auf das Abenteuer vorbereitet. „Ich habe in den vergangenen Monaten gerade mal ein halbes Dutzend Mal im Meer trainiert", sagt sie und muss dabei ein wenig lachen. Nur um einen Augenblick später hinzuzufügen:„Eigentlich mag ich Schwimmen gar nicht."

Ein Anflug von britischem Humor? Keineswegs. Vor rund zehn Jahren habe ich mehr zufällig die Geschichte einer Frau gehört, die damals von England nach Frankreich geschwommen ist. Einfach so. Ich war von dieser Story dermaßen fasziniert, dass ich mich irgendwann selbst fragte, ob ich so einer Herausforderung vielleicht auch gewachsen bin. Und ich antwortete: ´Warum eigentlich nicht?´"

Um die rund 32 Kilometer lange Strecke zwischen Dover und Cap Griz Net in Frankreich zurückzulegen, musste Wardley allerdings erst einmal richtig chwimmen lernen. „Vom Kraulen hatte ich ja keine Ahnung. Wie gesagt, Schwimmen empfand ich bis dahin immer ­irgendwie als Zeitverschwendung." Das sollte sich schon bald ändern.

Nach zwei erfolglosen Versuchen durchschwamm Wardley den Ärmelkanal 2009 in genau 21 Stunden und 20 Minuten. Von da an war sie im Wasser nicht mehr zu halten. Innerhalb der folgenden fünf Jahre kraulte sich die Britin unter anderem von Gibraltar nach Afrika und von Griechenland in die Türkei. In ihrer Wahlheimat Mallorca stellte Wardley außerdem gleich zwei neue Rekorde auf. So schaffte sie es als erste Frau, ohne Neopren-Anzug von Cabrera nach Sa Rápita zu schwimmen sowie die Insel Sa Dragonera in neuer Bestzeit zu umrunden.

Mit der „Balearic Swim Challenge" will sie ihre bisherige Karriere als Extrem-Langstreckenschwimmmerin krönen. „Für die rund 90 Kilometer lange Strecke von Ibiza nach Mallorca rechne ich mit einer Zeit von 40 Stunden. So lange bin ich bisher noch nie geschwommen", sagt Wardley. Natürlich überlässt sie nichts dem Zufall. Zusammen mit ihrem Team aus ­Physiotherapeuten, Ärzten und erfahrenen Skippern, die sie in Beibooten während der gesamten Tortur auf offener See begleiten, hat sich die ehrgeizige Engländerin, die in ihrer Heimat eine eigene Werbe- und PR-Agentur betreibt, auf die „Balearic Swim Challenge" seit Monaten akribisch vorbereitet.

Die Nahrungsaufnahme spielt dabei eine wesentliche Rolle. „Ich verbrauche pro Stunde fast 1.000 Kalorien. Anfangs mache ich jede Stunde eine Pause, um etwas zu essen. Danach alle halbe Stunde." Da nach Vorgaben der ­altehrwürdigen „Channel Swimming Association" in England jeglicher Körperkontakt zwischen Begleitcrew und Schwimmer während einer offiziellen challenge verboten ist, wird das meist flüssige Essen in einer Art kleinem Floß neben Wardley ins Wasser gelassen. Sie bedient sich dann daraus. Länger als eine Minute dauert jedoch keiner dieser

Pausen.

Um die bereits nach wenigen Stunden in Armen und Rücken einsetzenden Schmerzen zu ertragen, wird Wardley von ihrer Begleitmannschaft in regelmäßigen Abständen mit Ibuprofen und anderen entzündungshemmenden Medikamenten gefüttert. „Richtig weh tut es, wenn Rachen und Augen mit der Zeit vom Salz austrocknen und verkrusten", beschreibt Wardley ihre Erfahrungen. Und dann die Quallen. „Ohne Neonprenanzug bin ich dem Nesselgift schutzlos ausgeliefert. Aus diesem Grund warten wir auch, bis die Wassertemperaturen im September so weit gesunken sind, dass weniger Quallen im Meer schwimmen." Ansonsten sei sie zuversichtlich. „Beim Langstreckenschwimmen kommt es zu 80 Prozent auf die mentale Stärke an . Körperliche Fitness spielt nur zu 20 Prozent eine Rolle", glaubt sie.

Warum sie sich überhaupt solch einer extremen Herausforderung stelle? „Um mir selbst zu beweisen, dass ich die Energie, die für eine solche Leistung nötig ist, in etwas Positives verwandeln kann. Es gibt wohl kaum ein schöneres Gefühl, als ein weit gestecktes Ziel tatsächlich zu erreichen. Dieses Gefühl hält anschließend ein Leben lang. Das ist meine Belohnung."

Anne Wardley benötigt für die „Balearic Swim Challenge" noch freiwillige Helfer und Sponsoren. Info unter www.annawardley.com