Anja Wiedemann hängt in zwei Metern Höhe an der Stange. Die Hände auf Brusthöhe, kippt sie den Oberkörper nach hinten, löst die Beine vom Metall und grätscht. Dann hakt sie die Stange in die linke Kniekehle, stabilisiert sich kurz - linke Hand oberhalb des linken Beins, rechte Hand unterhalb des rechten -, bringt die Beine wieder in die Grätsche, schließt sie und klemmt die Oberschenkel um die Stange. Sie löst die untere Hand, streckt diese nach vorn und hängt jetzt horizontal in der Luft: der Superman.

Klingt kompliziert, zählt aber zu den Anfängerfiguren im Pole Dancing. Anja Wiedemann beherrscht sie mühelos. „Wir wollen Mallorca als Austragungsort für Pole Dance in der Welt bekannt machen", sagt die 33-jährige gebürtige Augsburgerin, die seit sieben Jahren auf der Insel lebt. Gemeinsam mit der Italienerin Antonietta Paradiso, die tatsächlich so heißt, organisiert Wiedemann derzeit den ersten Poleart-­Wettkampf in Spanien. Am 19. und 20. September sollen sich insgesamt 107 Teilnehmer im Mozartsaal des Auditoriums in Palma um die Stange schlängeln - von den ­Junioren über die Amateure bis hin zu amtierenden Weltmeistern.

Dabei trainiert die Managerin des Bodhana-Wellness-Centres in Portals den Tanz an der Stange noch gar nicht so lange. Vor gerade mal drei Jahren hat eine Freundin sie zur Schnupperstunde gelockt. „Ich bin dagestanden und dachte: Das tut sauweh und ich weiß nicht, wie ich die Stange hochkomme", erinnert sie sich. Einen Tag später war sie voller blauer Flecke, doch eine Woche darauf stand sie wieder an der Stange. „Es hat nur noch halb so weh getan und ich bin hochgekommen." Anja Wiedemann hatte ihren Sport entdeckt.

„Pole Dance ist nicht für jeden etwas, weil es wirklich anstrengend und nicht ganz ungefährlich ist", sagt sie. Deshalb sei es strengstens verboten, neue Tricks ohne einen sogenannten spotter zu probieren, der die ­Hilfestellung übernimmt. Für zusätzlichen Schutz sorgen Matten, die um die Stangen auf den Boden gelegt werden. „Die Belastung ist extrem, man muss an seine Grenzen gehen."

Wiedemanns muskulöse Arme zeugen davon, wie fit sie ist. „Du musst dein gesamtes Körpergewicht halten, immer. Deshalb sieht man auch relativ schnell Ergebnisse." Als Königsdisziplin gelten die sogenannten deadlifts, bei denen die Sportler ihren Körper quasi als „totes Gewicht" ohne zusätzlichen Impuls - etwa einen Sprung - heben. Sie gehören - ebenso wie die drops, bei denen sich die Tänzerinnen die Stange runterstürzen - zu den Lieblingsübungen von Anja Wiedemann.

Bei dem Wettbewerb im September geht es jedoch weniger um Kraft, sondern vor allem um das künstlerische Gesamtbild. Denn innerhalb des Pole Dance gibt es zwei Ausprägungen: Pole Sport und Poleart. Letzterer ist freier als der stärker reglementierte Pole Sport, der mehr auf Leistung und Akrobatik setzt. Wie beispielsweise beim Eiskunstlauf wird beim Pole Sport mit einer A- und B-Note gewertet. Zudem werden gewisse Pflicht­übungen mit genauen Anforderungen an Kraft, Flexibilität und Artistik gefordert. Bei der Poleart hingegen liegt der Fokus auf der Kombination von Theater, Tanz und Akrobatik.

Der Tanz an der Stange hat eine jahrhundertealte Tradition, ist aber seit dem 20. Jahrhundert ­gerade auch in Stripclubs zu Hause. Pole Sport und Poleart grenzen sich jedoch vom ­Rotlichtmilieu ab. „Für mich ist es wichtig, den Sport als Kunstform klar vom Schmuddel­image zu trennen", sagt Wiedemann. Sicher: Manche Tänzerinnen kämen aus dem Striptease - und verleugneten das auch nicht -, und manche Choreografien im

Poleart seien tatsächlich sehr ­sexy. Doch das sei - wie bei anderen Tanzformen - Teil des persönlichen, künstlerischen Ausdrucks.

Im Wettkampf strafen die Richter jedenfalls alles ab, was zu sehr auf das Flair eines Stripclubs setzt. „Wenn das Kostüm verrutscht und Teile der Brust zu sehen sind, gibt das Abzug. Wenn man das Oberteil zurechtrücken muss, auch", erklärt Wiedemann. Bei internationalen Pole-Sport-Wettbewerben sind die Regeln diesbezüglich besonders streng: Nacktheit ist genauso verboten wie Schuhe mit Absätzen oder Plateau. Auch bei der Poleart dürfen die Absätze nicht mehr als vier Zentimeter messen.

Sie selbst hat keinerlei negative Erfahrungen mit den Vorurteilen anderer gemacht. Wiedemann trainiert bei Marketa Kratochvilová im Pole & Dance Mallorca, eines von zwei großen Studios in Palma. „Ich bin nie schräg angeschaut worden." Die Leute seien eher neugierig als skeptisch. Zumal die Augsburgerin nicht nur im Studio übt. Mithilfe von mobilen Stangen trainieren sie und ihre Kolleginnen am Wochenende gerne am Strand. „Da bildet sich immer eine kleine Menschentraube, und die Leute fragen, wie und wo man das lernen kann", sagt sie. „Neulich waren wir an einem Strand, an dem auch eine Reggae-Band gespielt hat. Die Musik links, wir rechts, das war wirklich schön."

Die Interpretation der Musik und tänzerische Elemente werden auch bei dem Wettkampf im kommenden Monat eine entscheidende Rolle spielen. Denn die Sportler absolvieren nicht die gesamte Übung an der Stange. In Palma dürfen die Teilnehmer abhängig von der Wettkampfklasse zwischen 90 Sekunden und zwei Minuten lang ihr Können auch am Boden beweisen. „Manche kommen aus dem Ballett, manche aus der rhythmischen Sportgymnastik, manche aus dem Comedy-Bereich, und das sieht man dann auch in der Choreographie", sagt Wiedemann.

Überhaupt sei Poleart entstanden, weil vielen die strengen Regeln im Pole Sport zu begrenzt waren. Die freie Form fand sehr schnell Anhänger, der erste Wettbewerb fand 2011 in Helsinki statt und inspirierte auch die Tänzerinnen in Palma. „Antonietta hatte im März die Idee, dann haben wir einen Plan gemacht, die Leute angeschrieben und waren absolut überwältigt von der Resonanz."

Die Organisatorinnen - Dritte im Bunde ist die Mallorquinerin Eva Saura - rechneten nur mit 70 Anmeldungen. Doch mehr als 200 wollten mitmachen. „Mir ist es wirklich schwer gefallen, den Leuten abzusagen", sagt Wiedemann. Überrascht war sie auch davon, wie international die Bewerber aufgestellt sind. Zum Wettkampf treten Teilnehmer aus ganz Europa, den USA, Russland, Japan und Israel in insgesamt sieben Kategorien an - die meisten Frauen, aber auch ein paar Männer.

Die Elite- und Semiprolevels sind explizit auch für männliche Tänzer ausgeschrieben. In der Paarkategorie, in der zwei Teilnehmer an einer Stange tanzen, ist das Geschlecht der Teilnehmer irrelevant. Lediglich der Amateurwettbewerb war nur für Frauen ausgeschrieben, weil es in diesem Bereich zu wenig aktive Männer gibt. „Unter den Junioren, also bei den Teilnehmern bis 15 Jahren, ist auch ein mallorquinischer Tänzer dabei."

Die Wertung übernehmen einige der großen Namen der Pole-Dance-Welt: Alessandra Marchetti, Europameisterin 2012 und Weltmeisterin 2013, Evgeny Greshilov, Choreograph und dreimaliger Weltmeister, der internationale Richter der Pole Sport Federation Davide Lacagnina sowie die amtierende Weltmeisterin - Yvonne Haug aus Berlin. Jeder der Richter bewertet dabei einen bestimmen Bereich in der Technik und im künstlerischen Ausdruck. Die Amateure müssen dabei auf die ­deadlifts verzichten. Letztere dürfen nur die Profis und Semiprofis zeigen. Ohnehin können die Richter eine Kür jederzeit unterbrechen, wenn Sie den Eindruck haben, dass sich ein Teilnehmer überfordert, verletzt ist oder sich nicht an die Regeln hält.

Im Leiter des Auditoriums, Rafael Ferragut, fanden die Organisatorinnen von Beginn an einen Unterstützer. „Ich war sehr überrascht und bin froh, dass wir eine professionelle Location gefunden haben", sagt Wiedemann. Für das nächste Jahr hat Ferragut ihnen bereits den großen Saal angeboten. Tatsächlich hat Wiedemann schon etwas Sorge, dass der Mozart-Saal mit 300 Sitzplätzen zu klein ist. „Wir hatten keine Ahnung, dass wir so viel Zulauf haben würden", sagt sie. Denjenigen, die einen Platz ergattern, verspricht die Tänzerin: „Viel Flair und Poleart durch und durch." Karten gibt es ab dem 14. August über die Internet-Seite des Auditoriums (www.auditoriumpalma.com).

Poleart Spain

Auditorium de Palma

Sala Mozart

19./ 20. September ab 14.30 Uhr

www.poleartspain.com