Es passierte in Llucmajor auf dem Wochenmarkt, und es war Liebe auf den ersten Blick. Vor inzwischen fast zehn Jahren stach Doris Wagner,

die zusammen mit ihrem Mann auf einer Finca etwas außerhalb des Dorfes wohnt, dort ein orange­farbenes Motorrad ins Auge. Harley Davidson stand darauf geschrieben, und die Deutsche war zunächst verblüfft. „Ich hatte mir bis dahin unter einer Harley immer ein dickes schwarzes Chrom-Geschütz vorgestellt, nicht so ein geschmeidiges, kleines Gefährt", erzählt die heute 60-Jährige - die mittlerweile nicht nur den Motorradführerschein gemacht hat, sondern auch als einzige deutsche Residentin Mitglied im „Mallorca Chapter", dem Harley-Fahrer-Club der Insel, ist.

Die Begeisterung für Zweiräder wurde bei Doris Wagner indes schon vor vier Jahrzehnten auf Teneriffa geweckt, als ihr Mann Jürgen in einem

ihrer ersten gemeinsamen Urlaube eine 125er auslieh, die man in Spanien auch mit dem Autoführerschein fahren darf. „Mit der haben wir uns zwar in einer Kurve gleich hingelegt, aber seitdem hatten wir vor, irgendwann mal den Motorradschein zu machen", erzählt die Berlinerin. Doch zwischen Job in der Verwaltung, Elternschaft und politischem Engagement in der Bundes­hauptstadt - Jürgen Wagner war viele Jahre Parlamentarier im Abgeordnetenhaus von Berlin - blieb der Wunsch von damals auf der Strecke. Bis sich die Wagners 1998 fest auf Mallorca

niederließen, wo sie bereits zehn Jahre zuvor von Tolo Guëll, dem Begründer der bekannten Wallfahrt „De Guëll a Lluc a Peu" (von der Plaça Guëll in Palma zum Kloster Lluc), ein Anwesen bei Llucmajor gekauft hatten.

Anders als ihr Mann, der 20 Jahre älter ist und sich wegen eines Rückenleidens vom Traum vom Zweiradfahren verabschieden ­musste, machte Doris Wagner einige Jahre später ernst. „Ich war Anfang 50 und fragte mich: Was passiert jetzt eigentlich noch in meinem Leben?". Ihr Mann sei inzwischen zwar eher gegen das lang ersehnte Vorhaben gewesen (zu teuer, zu gefährlich). „Aber ich ging einfach auf den Flohmarkt, wo ich den Wohlstandsmüll unserer Bekannten verkaufte, und sparte mir das Geld zusammen." Bei einem befreundeten Fahrlehrer in Berlin machte sie schließlich den Lappen, dazu gab´s eine „kleine" Harley Sportster, die der 1,62 Meter großen Frau für den Anfang ausreichend erschien.

Zurück auf Mallorca drehte die deutsche Residentin allein ihre ersten Runden über die Insel - bis sie eines schönen Sonntags in Palma an einer roten Ampel neben einer ebenfalls Harley fahrenden Spanierin anhielt. Die Frau stellte sich als Amaya vor, erzählte ihr von einem Harley-Club, der sich regelmäßig zu gemeinsamen Ausfahrten treffe, und lud sie spontan dazu ein. „Dort unterhielt ich mich radebrechend auf Spanisch mit ganz vielen Leuten", erinnert sich Wagner. Die Frage, ob sie ein paar Wochen später mit zu einer Wochenend­reise nach Andorra kommen wolle, beantwortete sie, ohne groß darüber nachzudenken, mit Ja. „Dabei wusste ich gar nicht, wie das werden sollte. Ich war noch nie ohne meinen Mann im Urlaub."

Es wurde großartig. Doris ­Wagner war auf den kurvenreichen Straßen Andorras in ihrem Element, dazu traumhafte Bergkulisse und nette Gesellschaft. Seitdem sei sie viel mit dem Harley-Club unterwegs, vor allem auf Mallorca, aber auch auf dem spanischen Festland - diesen Sommer etwa ging es quer durch Andalusien bis nach Jerez de la Frontera. „Ich fühle mich da pudelwohl, der Verein ist wie eine Familie für mich." Harley-Fahren verbinde. Unter den Bikern gebe es kein Standesdenken, und auch die Unterschiede zwischen Einheimischen und Ausländern verschwimmen. „Ich habe dadurch Zugang zu den Mallorquinern bekommen", sagt Doris Wagner. Denn obwohl sie durch ihre Präsenz auf den Wochenmärkten in Llucmajor und Santanyí, wo sie handgefertigte Gürtel verkauft und früher auch ihren selbst gemachten Honig anbot, immer wieder Einheimische kennenlernte und zudem einen großen deutschen Freundeskreis habe - zu Wagners 60. Geburtstag im Frühjahr kam sogar der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, ihr früherer Parteikollege Klaus Wowereit -, sei das Leben auf der Finca manchmal doch ein wenig abgeschieden.

Bei den sonntäglichen Ausflügen, die auch schon auf den eigentlich gesperrten höchsten Inselberg, den Puig Major, führten, verbesserte die Deutsche nicht nur ihr Spanisch, sondern lernte auch die Mentalität der Mallorquiner besser verstehen. „Essen zum Beispiel ist immer ganz wichtig, das ist für die Mallorquiner nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern ein gesellschaftliches Event."

Und dann ist da natürlich noch der Reiz des Motorradfahrens an sich. „Das ist wie in eine andere Welt zu entfliehen", sagt Doris Wagner. Auf den Nebenstrecken der Insel dufte es je nach Jahreszeit nach Orangen oder frisch gemähtem Heu - was einem im Auto oftmals gar nicht auffalle. Besonders gern aber fährt sie die kurvenreichen Routen durch die Berge, zu ihren Lieblingsstrecken zählen die Serpentinenstraße hinab zur Sa Calobra-Bucht und die über 100 Kilometer lange Ma-10 von Andratx quer über die ganze Tramuntana bis nach Pollença. „Auch wenn das ganz schön anstrengend ist", erklärt Wagner, die inzwischen auf das deutlich größere Harley-Modell Heritage Softail umgestiegen ist - das immerhin 360 Kilo auf die Wage bringt und 25.000 Euro kostet. „Dafür hat mein Mann einen Teil seines Erbes geopfert", erzählt sie, und Jürgen Wagner lächelt zustimmend. Während seine Frau auf Tour ist, widmet sich der gelernte Film- und Fototechniker zu Hause in aller Ruhe seiner Leidenschaft, der Fotografie.

Doris Wagner indes möchte ihr neues Hobby und das damit verbundene Lebensgefühl längst nicht mehr missen. „Wenn ich mich auf meine Harley setze, fühle ich mich wie eine Königin."