Der Weg in die Kerzenwerkstatt La Real führt über den kleinen Verkaufsladen an der Plaça Hospital in Palma. Passanten bleiben am Schaufenster stehen, wo Heiligenbildchen und Rosenkränze von innen an der Scheibe kleben. Auf einem Podest thront die Figur der Maria mit Heiligenschein, daneben erkennt man Devotionalien und Jesus-Christus-Kärtchen mit Gebetssprüchen. Allerlei Zubehör aus der geheimnisvollen Welt der Gläubigen. Und ja, an der äußeren Wand des Guckkastens baumeln ein Dutzend langstielige Kerzen in Honiggelb an einem Nagel. Wegen dieser Wachswaren steht über dem Eingang also Cereria. Auf einem Extra-Schild liest man: eigene Produktion seit 1899. Das klingt wirklich geheimnisvoll, auch für Nicht-Gläubige.

Die Spur führt aus dem Zentrum in den Stadtteil Es Secar de la Real, prompt weiß man, woher der Name der Kerzenfabrik stammt. Die Adresse stimmt, doch für eine Fabrik gibt´s in dem Wohnviertel keinen Anhaltspunkt. Bis wir eine Kerze entdecken, die Besucher mit ihrer Flamme in den Hof winkt. Die Werkstatt besteht aus zwei Räumen, erweitert wurde der über 115 Jahre alte Betrieb nie. Auch die Kerzenherstellung hat sich nicht verändert. „Es funktioniert wie bei churros, die man in Schokolade taucht", sagt Nicolás, der seit 19 Jahren die Ein-Mann-Anlage bedient. Unter der Decke dreht sich ein Eisenrad, daran hängen acht Stangen mit je 40 eingespannten Dochten für 40 Kerzen. Nicolás drückt eine dieser Stangen wie eine Lastzugmaschine im Fitnessstudio nach unten, die Dochte tauchen in eine Wanne mit flüssigem Wachs. Er verharrt kurz und lässt die Stange, von Gewichten beschwert, langsam an einem Seilzug wieder nach oben gleiten. Am Docht klebt jetzt eine erste dünne Schicht Wachs, etliche weitere Schichten kommen Runde für Runde dazu, bis die Kerze einen Durchmesser von zwei bis sechs Zentimetern hat - und Nicoláss Oberarmmuskeln deutlich unter dem T-Shirt hervortreten. 500 Kilogramm synthetisches Wachs verarbeitet er so pro Woche zu Kerzen.

„Die Vorrichtung ist alt", erzählt Guillermo Ramis, der Chef. Früher war das Rad aus Holz und drehte sich über einem Kessel, in dem das Wachs erhitzt wurde. Unter dem Kessel brannte ein Feuer. Heute schwimmt das 65-70 Grad warme, flüssige Wachs in einer Wanne im Wasserbad, ein Gasbrenner hält das Wasser auf Temperatur.

Der 57-jährige Guiem, wie ihn jeder nennt, half schon als kleiner Junge seinem Großvater beim Kerzen­machen. Er ist im Haus gegenüber geboren, wo seine Eltern und Großeltern lebten. „Als Kind durfte ich zum Beispiel Dochte schneiden", sagt Guiem und zeigt auf eine Vorrichtung zum Abmessen der verschiedenen Längen. Das hölzerne Maß ist original und noch immer im Einsatz. In die Docht-Enden wird anschließend ein Knoten geschlungen. Dann hakt man den Docht als lange Schlaufe an der Querstange ein. Zusätzlich beschwert eine Eisenlatte die Baumwollschnur am unteren Ende und hält sie auf Spannung. Die Querstange wird am Eisenrad be­festigt, und los geht´s.

Nicolás taucht eine Kerze nach der anderen in Wachs, nach zwei bis drei Stunden sind 240 Kerzen - 60 Zentimeter lang, zwei Zentimeter dick - fertig. Im Winter brauchen sie zwei, drei Stunden zum Trocknen.

Größere, dickere Kerzen benötigen eine spezielle Behandlung, sie müssen zwischen den einzelnen Wachsschichten einen Tag bis mehrere Tage aushärten, damit sie später gleichmäßig abbrennen. Bei zwölf Zentimeter Durchmesser ist im noc, wie die Wachswanne auf Mallorquinisch heißt, allerdings Schluss. Noch größere Kerzen und Sonderanfertigungen für Restaurants und Hotels gießt Guiem in Formen.

80 Prozent der Wachsware wird im Laden verkauft (Preis je nach Größe 1 bis 80 Euro), der Rest geht direkt an Kirchen wie die Església de la Sang (Kerzen für Fürbitte) oder die Kathedrale La Seu (Altarkerzen). Inzwischen kämen immer mehr Flüssigwachs und Elektrikkerzen in Mode, klagt Guiem, weil sie keinen Dreck machten. Jeder kennt das von zu Hause: Kerzenrauch schwärzt im Laufe der Jahre Wände und Decken, „besonders wenn die Kerze in Zugluft brennt, zu nahe bei anderen brennenden Kerzen steht oder der Docht zu lang ist", so der Experte.

Ab Dezember beginnt für ihn wieder die Produktion für die Osterzeit, in den Karprozessionen kommen quadratische Kerzen zum Einsatz. Sie sind, wie die anderen von Hand gezogenen Exemplare honiggelb, ein Farbstoff macht´s möglich. „Diese Farbe wünscht die Kirche", sagt Guiem, wahrscheinlich, weil das Gelb an antike Kerzen aus Bienenwachs erinnere. Und da es in seiner Fabrik nur eine Wachswanne gibt, ist er bei dieser Farbe geblieben.

Cereria La Real, Placa Hospital 2, Palma, Tel.: 971-72 31 80.