Slow Food ist so erfolgreich, dass jeder schon mal davon gehört hat. Aber Slow Design? Mit dem „langsamen Entwurf" ist nicht die Zeit gemeint, die es braucht, etwas zu entwerfen und herzustellen. Ähnlich wie in der Gastronomie geht es darum, sich Zeit zu nehmen für das, was man tut, etwas bewusst anzufertigen, dafür zu experimentieren und seine individuellen Erfahrungen einzubringen. Die Designer nutzen Materialien aus der Region, setzen möglichst wenig Maschinen ein und vernetzen sich gerne ­untereinander.

Möbeldesign: wandelbare Einzelstücke

„Praktische Dinge sollte man wie Kunstwerke betrachten", findet Nicoletta Mantoan (37). Sich bewusst mit ihnen umgeben und einrichten. Die italienische Architektin entwirft Möbel und Wohnaccessoires auf einer Finca zwischen Campos und sa Ràpita zusammen mit ihrem Lebensgefährten Alejandro Dumon (32). Beide verstehen sich als Slow Designer. „Das heißt aber nicht, dass wir langsam arbeiten", sagt Alejandro, der französisch-mallorquinische Wurzeln hat, Schöne Künste und Bildhauerkunst studierte. Das Paar legt Wert auf Arbeit mit den eigenen Händen, es fertigt individuelle Stücke auf Maß, gemacht fürs Leben - ein Gegenentwurf zum Industriedesign und zur Fertigung in Serie.

Ihre Idee: Der Gebrauch eines Gegenstands ist nicht vorbestimmt, der Kunde entscheidet, ob er ein U-förmig gebogenes Blech mit Lochmuster als Bücherständer, Teelicht oder Handyablage nutzt. Mit perforierten Eisenblechen arbeiten die Designer schon seit sechs Jahren, langweilig wird es noch nicht. Aus dem Material sind bereits Regale, Leuchten und Sitzflächen für Hocker und Stühle entstanden, die im Studio ausgestellt sind.

An den Leuchten (ab 90 Euro) lässt sich die Blende verstellen, mit Schatten und Reflexion spielen. Und was ist daran slow, möchte der Besucher wissen. „Wir legen viel Wert auf Details", erklärt Alejandro, „benutzen zum Beispiel alte japanische Techniken, die ohne Chemie auskommen." In der Werkstatt steht eine Holzplatte für einen Tisch aufgebockt, die er mit Feuer behandelt. Das Holz erhält einen weichen Farbton, wird härter und resistent gegen Insekten.

Um Eisen zu oxidieren, lassen Nicoletta und Alejandro die Zeit für sich arbeiten. Eisenstangen werden immer wieder mit Wasser benetzt und stehen tagelang unter freiem Himmel. Damit sie einen dunklen, tiefen Ton annehmen, bearbeiten die beiden ­Designer das Eisen dann mit Öl und Hitze. Aus den Stangen entstehen Handtuchständer und Regale für Kaminholz (um die 100 Euro). Um 45 Grad gewendet wird aus dem selben Gegenstand ein Bücherregal oder eine Sitzbank. „Es geht bei Slow Design darum, zu entscheiden, was man wirklich braucht", so Nicoletta. Wenn sich Bedürfnisse ändern, muss sich das Möbel anpassen können.

2monos, sa Ràpita, Tel.: 666-57 55 02, www.2monos.com

Glaskunst: gemacht für den Alltag

Für Raquel Pou (43) bedeutet Slow Design, so wenig Material wie möglich zu nutzen. Die Rohstoffe sollten aus der Umgebung kommen. Beide Kriterien sind für die Glaskünstlerin leicht zu erfüllen, sie benutzt ausschließlich recyceltes Material wie altes Fensterglas aus der Glaserei in Campos sowie Wein- und Bierflaschen. Trinkwasser kauft sie in Glas- statt Plastikflaschen und schmilzt anschließend das Glas. „Es gibt keinen Abfall, statt Reste wegzuwerfen, kommt alles wieder in den Schmelzofen", so die Mallorquinerin, die Palmas Glasmacherschule besuchte und in der Glasfabrik Gordiola lernte.

Seit zehn Jahren lebt und arbeitet sie in Campos, der Schmelzofen läuft nur stundenweise statt rund um die Uhr. Ihr Ausstellungsraum liegt wenige Schritte von der Werkstatt entfernt, kurze Wege sind Raquel wichtig, daher denkt sie nicht daran, ihre Glasgalerie nach Palma zu verlegen. Zu sehen sind derzeit rund 20 Ölflaschen in verschiedenen Formen und Größen, mit Verschlüssen aus Holz und Glas. „Manchmal ist der Verschluss größer als die Flasche, die Bedeutung umgekehrt", sagt Raquel. Dahinter steht die Idee, Dinge des täglichen Gebrauchs durch Design in Unikate zu verwandeln - sonst wäre es nur eine sinnlose Wiederholung des immer Gleichen, findet Raquel, die einige Objekte zusammen mit dem Glaskünstler Pere Ignasi aus Sa Pobla entworfen hat.

In der Mitte des Studios winden sich mehrere Kupferrohre filigran aus der Decke, an den Enden sitzt eine birnenförmige Glaskugel mit LEDs. Abends wirft das Licht die Unreinheiten und Farbverläufe im Glas als Punkte und Linien an die Decke. Das sähe aus wie im Universum, sagt Raquel. Es dauerte eine Weile, bis sie durch Experimentieren herausfand, dass Kupfer und Glas gut miteinander verschmelzen. Die Leuchte ist ein Prototyp, für ­Kunden entwirft Raquel Unikate, angepasst an den Ort.

Hot Glass Studio, Avda. Sa Pista, 18, Campos, www.raquelpou.com

Modekollektion: exklusive Handarbeit

Adriana Meunié (30) studierte Modedesign in Barcelona, die junge Absolventin war es müde, überall die gleichen Schnitte zu sehen. „Mir schwebte etwas Einzigartiges vor, mit Sorgfalt erdacht und hergestellt", so die Mallorquinerin mit amerikanisch-französischen Wurzeln. Ihr Wunsch: Der Kunde entscheidet sich bewusst für ein ­Kleidungsstück, das nicht nur für eine Modesaison entworfen worden ist. Adriana lebte nach dem Studium zwei Jahre in Berlin, entwarf und verkaufte dort kleine Kollektionen - für sie der Start zum Slow Design.

Zurück auf Mallorca begegnete sie Maria de Lluch, ebenfalls Designerin. Zusammen entwarfen sie die erste Sommerkollektion mit nur zehn Stücken. Ab Februar wird sie in Marias Boutique Draps in Palma hängen: Röcke, Kleider, Shirts, Taschen und Schuhe, gefertigt auf Mallorca. Materialien wie Weidenruten und Sackleinen stammen von der Insel, Öko-Stoffe vom spanischen Festland. Die Schnitte sind einfach, bequem, minimalistisch. Die einzige Dekoration sind Siebdrucke, von Hand auf den Stoff gebracht. „Die Wege zwischen den Werkstätten von Schneidern und Schustern sind kurz", sagt Adriana, „so können wir vieles bequem ausprobieren und auch wieder verwerfen."

Maria verkauft in ihrer Boutique einige Kleidung von Öko-Labels, die Shop-Möbel ließ sie von Slow-Designern bauen. Ist die Zukunft der Modewelt slow? „Nicht zu hundert Prozent", sagt Maria, das würde mit Slow Food auch nicht funktionieren. Es sei wichtig anzufangen, in die neue Richtung zu denken, nachhaltig und mit Bedacht zu konsumieren, sagt sie und zeigt als Beispiel auf sich selbst. Zu einer Jeans eines amerikanischen Labels trägt sie einen Pullover aus Öko-Baumwolle. Auch wegen der höheren Preise ist Slow-Design-Mode kaum massentauglich, Stücke aus der Draps-Kollektion kosten ab 100 Euro aufwärts. Die vielen Arbeitsprozesse sowie die hohe Qualität der Materialien hätten ihren Preis, so die Designerinnen.

Draps, Plaça Weyler, 4, Palma, Tel.: 971-72 60 33, www.draps.net

„Die Idee ist simpel: Eile mit Weile!"

Grafiker Marc Masmiquel (43) ist Anhänger der Slow-Philosophie, in Palma betreibt er die Slow-Design-Agentur „m2 design" (www.m2ishere.es).

Woher stammt Slow Design?

Marc Masmiquel: Es existierte schon zu Zeiten des griechischen Philosophen Diogenes von Sinope 410 v. Chr., es geht um Einfachheit, Gleichgewicht und Zeit. Slow Design ist von der Slow Food- und Slow City-Bewegung inspiriert, die in Südeuropa startete. Slow steht allgemein für die Langsamkeit als Gegenentwurf zur allerorts vorherrschenden Schnelllebigkeit.

Wer sind die Slow Designer?

Wir gehören zu einer Generation, die es leid ist, von Hektik, Termindruck und Angst regiert zu werden. Designer Alastair Fuad-Luke, Professor an der finnischen Aalto-Universität, prägte 2002 den modernen Begriff von Slow Design als kreatives, nachhaltiges Design, das respektvoll mit Umwelt und den Ressourcen unseres Planeten umgeht, sich auch für eine faire und nachhaltige Wirtschaft einsetzt.

Wann haben Sie Slow-Design für sich entdeckt?

Ich lebte einige Jahre in Lateinamerika und bekam eine Idee vom langsamen Leben, ein ­Gegenentwurf zur westlichen Industriewelt, wo allgemein wenig reflektiert und schnell entschieden wird. Mein Vater war Ingenieur und Astronom, von ihm habe ich die Neugierde für verschiedene Disziplinen geerbt. Ich bin Grafikdesigner, entwerfe und richte Häuser ein, entwickle unabhängige Energiesysteme. Mein Spezialgebiet ist die Infografik und Visualisierung von Daten.

Wie funktioniert die Arbeit als Slow Designer?

Statt gedankenlos und schnell für den Markt zu produzieren, betrachte ich die Dinge in meinem eigenen Rhythmus, entwerfe und zeichne mit Bewusstsein. Die traditionelle Werbung versucht mit Hilfe von Design und Marketing dem Konsumenten zu verkaufen, was die Industrie herstellt. Mit meinen Arbeiten möchte ich zum Nachdenken anregen, neugierig machen und dazu einladen, an Dingen auch mal zu zweifeln.

Hat die Öffentlichkeit Interesse an Slow Design?

Immer mehr. Vor ein paar Jahren bekam ich von der Balearen-Regierung den Auftrag lokale Produkte zu vermarkten. Ich entwarf eine Broschüre in nur zwei Farben, gedruckt auf Öko-Papier. Es gibt auch Firmen, die Slow Designer beauftragen, ihr Unternehmen langsamer und dadurch effizienter zu machen.

Wie leben Sie das Slow-Konzept im Alltag?

Die Idee ist simpel: Eile mit Weile! Dieses Sprichwort ist zweitausend Jahre alt und stammt von Kaiser Augustus. Wer vorankommen will, sollte ein gemächliches Tempo an den Tag legen. Ich versuche langsam zu denken und zu fühlen. Die Langsamkeit erlaubt der Intelligenz schneller zu reagieren, mehr und bewusster wahrzunehmen. Und ich kaufe möglichst wenig Neues. Stattdessen teile, repariere und recycle ich Dinge, verschenke auch Ideen und Gedanken.