Der Wind pfeift heftig aus dem Westen, auf der Salzwasser­lagune Lago Esperanza (See der Hoffnung) in Port d´Alcúdia kräuseln sich die Wellen. Ansonsten zieht ein einsamer weißer Reiher seine Kreise.

Menschen sieht man hier in diesem Urlaubsgebiet im Januar nur, wenn man sie sucht. Sämtliche Hotels, Supermärkte und Restaurants haben geschlossen, die schmucken Einfamilienhäuser sind samt und sonders unbewohnt. Hier und da werden Apartmenthäuser für die nächste Feriensaison auf Vordermann gebracht, doch kein Bauarbeiter kann etwas über die Geschichte der vor gut 50 Jahren rund um die nur zwischen 30 Zentimeter und 1,20 Meter tiefe Lagune, zahlreiche Kanäle wie den Canal Gran und den kleinen Teich Estany Petit entstandene Ciudad de los Lagos (Stadt der Seen) sagen. Auch Laura, argentinische Thekenkraft in der schicken Strandbar „El Playero", hat davon keine Ahnung. „Fragen Sie doch mal in dem Kramladen da drüben nach", sagt sie und zuckt mit den Schultern, während der Wind eine Plastiktüte über den angrenzenden Fußweg fegt. Doch der Kramladen ist geschlossen.

Im mehrstöckigen Apartmenthaus Concha del Lago aber, das Alcúdias Gemeindearchitekt José Ferragut (1912-1968) errichtet hatte und das früher zum weiterhin existierenden Boccaccio-Hotel gehörte, sind Friseurin Cati Bassa Cladera und ihr Mann Emilio gerade zugegen. Sie sind hier seit 30 Jahren tätig und wissen allerhand über die auch bei Deutschen sehr beliebte Urlaubsgegend zu berichten: „Als ich hier anfing, gab´s noch sehr viele Wasserratten", sagt Cati. „Einmal rannten mir gleich zwei ins Geschäft und lösten die Alarmanlage aus."

Abgesehen von solchen eher unangenehmen Vorkommnissen fühlen sich die beiden so wohl wie in Abrahams Schoß in dem Areal, das früher wie der benachbarte Naturpark s´Albufera ein Feuchtgebiet war, wo zwitschernde Gesellen ihre Eier ablegten.Das tun einige sicherlich noch heute, doch hauptsächlich tummeln sich auf der Lagune Kanufahrer der spanischen Nationalmannschaft. „Wir sind 60 Leute und trainieren hier für Olympia in Rio", sagt Xavi Marroig von der balearischen Vereinigung der Kanufahrer auf telefonische Anfrage. Am windigen Besuchstag des MZ-Reporters ist der seit 40 Jahren dort existierende Stützpunkt geschlossen. „Da die Lagune einen ganzen Kilometer lang ist, können wir hier ideal trainieren." Kanuten, die das taten, holten bei Olympia in London 2012 immerhin Platz vier.

Die Kanuprofis teilen sich den Lago Esperanza mit Anglern. „Hier gibt es so viele ­Doraden, dass man sie fast mit Händen greifen kann", berichtet Friseurin Cati. Wobei manchmal die Gefahr bestehe, dass das Wasser samt Lebewesen in die Gebäude schwappt. „1990 hatten wir nach heftigen Regenfällen eine so große Überschwemmung, dass Soldaten höhere Behelfsbrücken über die Kanäle errichten mussten, um den Verkehrsfluss von Port d´Alcúdia nach Artà sicherzustellen."

Man fühlt sich in der Ciudad de los Lagoszuweilen - wenn auch eher entfernt - an Miami Beach erinnert, vor allem wegen der von bogenförmigen Brücken überspannten flachen Kanäle zwischen Palmen, die am Meerausgang sogar voller türkisblauem Wasser auf weißem Sand sind. Mit Venedig hat das nichts zu tun, obwohl einige Namen die Lagunenstadt in Italien in Erinnerung rufen - etwa die Avenida Venecia oder die Venecia-Apartment­anlage.

Was die Architekten Ferragut, Antonio Cerdá und Juan María Cerdó ab 1966 im Auftrag des Unternehmers Nicolàs Riera Marsà aus dem Boden stampften, ist heterogen. „Von einem Einheits-Stil kann nicht die Rede sein, jeder baute in etwa, was er wollte", sagt der gleichnamige Neffe des Architekten Ferragut. Man habe eine etwas andere Urlaubslandschaft schaffen wollen, es gebe unschöne, aber auch interessante Bauten. „Dazu gehört auch eine herzförmige Miniinsel in der Lagune, wo eigentlich ein Denkmal zu Ehren der Verliebten entstehen sollte."

Die Ciudad de los Lagos ist die Verwirklichung eines Traums, den ein Vorgänger des Initiators Riera Marsà, Pedro Mas i Reus, bereits in den 30ern geträumt hatte. Doch der Spanische Bürgerkrieg machte dem Mann, der den ersten Golfplatz Mallorcas baute, einen Strich durch die Rechnung.

Anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Ferienparadieses im Insel-Norden lässt sich die Gemeinde Alcúdia nicht lumpen: Eine Million Euro will sie für die Renovierung unter anderem der angejahrten Kanalbrücken springen lassen. Der MZ-Reporter freut sich schon jetzt auf eine Rückkehr in diese neu glänzende Gegend - dann ohne Wind.