Biegt man von den Avenidas in den Carrer Aragó, sieht man als erstes einen McDonald´s. Einer dieser modernen, die mittlerweile wie Cafés aussehen. Für ambitionierte Großstädter. Das Umfeld ist nicht anders: El Corte Inglés, Vodafone, seelenlose Tapas-Bars. Wahrscheinlich wird auf den ersten 500 Metern des Carrer Aragó (span. Aragón) täglich ein größeres Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet als in Vilafranca in einem Jahr.

Diese Straße, mit ihren vier Kilometern eine der längsten der Stadt, ist auch einer der ältesten Mallorcas. Sie wurde kurz nach der Wiedereroberung der Insel durch Jaume I. im Jahr 1229 als Verbindung nach Inca angelegt. Heute beherbergt der Carrer Aragó wie ein Mikrokosmos die Vielfalt einer 400.000-Einwohner-Stadt. Geschäftsleute in Anzügen und Mütter in Jogginganzügen. Große, elegante Einkaufsläden und kleine asiatische Supermärkte. Nur eines fehlt: So wirklich schön oder charmant ist es hier nirgendwo.

Der Eixample, der erste Außenring rund um die Avenidas, mit seinen gutbürgerlichen Wohnhäusern, hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt. Am Carrer Aragó verläuft dieser Teil bis an die Plaça Güell, ungefähr einen Kilometer von den Avenidas entfernt. Hier, von wo aus jedes Jahr im August die berühmte Pilgerwanderung nach Lluc startet, beginnen die beiden Viertel Son Canals und Els Hostalets. Die große Straße trennt sie.

„Vor wenigen Jahrzehnten ging es hier noch wie auf dem Dorf zu", sagt Josep Martínez. Der 48-Jährige ist Herrenfrisör an der Hausnummer 108, in dritter Generation. Sein Großvater gründete den Laden im Jahr 1939, allerdings zwei Blocks weiter südlich an der Hausnummer 88. „Damals gab es hier noch viele Gemüsegärten und große Bäume. Die Menschen setzten sich an Sommerabenden an die Straße. Selbst als ich klein war, schloss eigentlich niemand seine Haustür ab." Es habe eine richtige Gemeinschaft zwischen den Menschen in den beiden Stadtvierteln bestanden.

Ein paar Häuserblocks von hier entfernt trug der heutige Drittligist Atlético Baleares von 1942 bis 1960 seine Heimspiele aus. „Auch heute noch sind die meisten Einwohner hier Atlético-Fans", sagt Martínez. Schaut man aus dem Fenster des kleinen Frisörsalons, sieht man die Vergangenheit und Gegenwart dieser Straße auf einen Blick. Hier auf diesem Abschnitt gibt es sie noch, die einstöckigen Häuser, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts gebaut wurden und ziemlich heruntergekommen sind. Direkt daneben stehen mehrstöckige, unansehnliche Wohnhäuser. „Wäre die Immobilienblase nicht geplatzt, sähen jetzt alle Häuser hier so aus", sagt Martínez.

So sehr sich die Straße auf diesem Abschnitt in den letzten Jahrzehnten in Teilen erneuert hat, so wenig habe sich die Bevölkerung geändert. Davon lebt Martínez. Bei ihm sitzt an diesem Vormittag ein Kunde, der schon vor 55 Jahren zu seinem Großvater kam. „Die Menschen hier bewegen sich nicht gerne fort. Wer hier geboren wurde, kauft sich was in der Nähe. Und wer als Kind mit seinem Vater in den Salon kam, kommt auch als Erwachsener wieder."

Ein paar Meter weiter befindet sich die Bar L´auba. Mit ihren beiden Pflanzen im Eingang und den beiden akkurat auf dem knappen Außenbereich aufgestellten Tischen wirkt sie seltsam liebevoll gestaltet - in dieser Straße, die in weiten Teilen so grau und austauschbar ist. „Seit 38 Jahren mache ich die Bar jeden morgen um fünf Uhr auf", sagt Rafael Ramis. Wer geht um fünf Uhr morgens in eine Bar? „Taxifahrer am Ende ihrer Schicht, Krankenschwestern vor ihrer Schicht. Normale Leute eben." Es sei schwieriger geworden, die Bar auf der Straße zu halten, auch wenn er immer noch viel Zulauf aus den angrenzenden Vierteln bekommt.

Ein paar hundert Meter weiter führt der Carrer Aragó unter der Ringautobahn durch. Zwei junge Männer stehen neben der Straße und betteln. „Lohnt sich das hier?" Sie antworten nicht.

Der städtische Instinkt sagt, dass die Straße nach dem Ring nicht mehr lange weitergehen kann. Bis 1942 war das auch so. Dann wurde die Verlängerung bis an die tatsächliche Stadtaußengrenze von der Carretera de Inca in den Carrer Aragó umbenannt. Es folgen also noch mehr als zwei Kilometer, auf denen sich große Supermärkte und Autoläden mit trostlosen Wohnblöcken abwechseln. Kaum ein Gebäude hier wirkt, als sei es älter als 20 Jahre. Die Stadt hat sich hier die letzten Felder und Brachen einverleibt.

Irgendwann kommt man dann an, in Pont d´Inca Nou, in der Gemeinde Marratxí. Eine Brücke über den in diesen Tagen ausgetrockneten Torrent Gros markiert das Ende des Carrer Aragó. Hier, auf einer Brache, steht eine große Werbetafel. Beworben wird ein neues Menü von

Mc Donald´s. Wie ein Versprechen oder eine Warnung, was man in vier Kilometern Entfernung auf derselben Straßenseite derselben Straße, aber in einer scheinbar anderen Welt, zu erwarten hat.

Statistik: Carrer Araghó in Zahlen

Länge: etwa 4 km

Hausnummern: 325

Querstraßen: 75

Bars/Restaurants/Cafés: 38

Apotheken: 7

Handyshops: 7

Bankfilialen: 19

Autohändler: 7

Supermärkte: 7