Es war an Ostern im Jahr 2004, als Jaume Morey noch mal deutlich vor Augen geführt wurde, was der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) für die Menschen in Artà bedeutete. Er war mit einer Gruppe auf einer Wanderung in der Umgebung seines Heimatdorfes, als jemand sagte: „Wenn wir hier einen kleinen Umweg machen, können wir die Höhle sehen, in der sich während des Bürgerkriegs zwei Männer fünf Jahre lang versteckt haben."

Es sei ein sehr kleiner Raum gewesen, erzählt Morey. „Sie hatten oben ein Loch reingebohrt, um drinnen ein Feuer machen zu können. Eine kleine Bank zum Schlafen war auch da." Morey war beeindruckt und beschloss, sich jetzt endlich ernsthaft mit einem Projekt zu beschäftigen, das er schon über zwei Jahrzehnte im Kopf hatte: die Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs in dem Dorf im Nordosten Mallorcas zu erzählen. Herausgekommen sind nun knapp 900 Seiten, die in zwei Bänden bei Documenta Balear in der Reihe „Guerra Civil a Mallorca - poble a poble a poble" (Der Bürgerkrieg auf Mallorca - von Dorf zu Dorf zu Dorf) erschienen sind.

Der Kriegsbeginn

Der Putsch der Faschisten beginnt auf Mallorca am 19. Juli 1936, also zwei Tage nach der Militär­revolte in Spanisch-Marokko. In den ersten Tagen beschränkt sich die Verfolgung der politischen Gegner vor allem auf Palma. Die Listen mit den zu verhaftenden Personen waren schon vorher erstellt worden. Die Gemeinden Manacor und Artà haben es dem Bürgermeister von Felanitx zu verdanken, dass sich einige Menschen retten können. Dieser hatte im Vorfeld von den Plänen der Faschisten erfahren. Am 25. Juli schickt er eine Nachricht in beide Dörfer: „Ab morgen beginnen die Verhaftungen." Etwa 25 bis 30 Personen können in dieser Nacht fliehen. In den darauf folgenden Wochen kommen weitere dazu, als die ersten Konsequenzen der Verhaftungen bekannt werden.

Begonnen hat das Projekt von Morey schon viel früher, im Jahr 1982. Der Mallorquiner war damals Katalanisch-Lehrer und Bürgermeister in Artà - der erste nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975. Er gab den Schülern die Aufgabe, Interviews mit älteren Menschen zu führen. Eine Schülerin kam daraufhin mit einer Aufnahme eines Gesprächs mit ihrem Opa wieder, der in den 30er-Jahren als Sozialist in der Gemeindeverwaltung gearbeitet hatte. „Auf diesem Band erzählte dieser Mann, wie er sich fünf Jahre lang versteckt hielt. Kurz darauf wurden zwei weitere Interviews mit Männern geführt, die ebenfalls untergetaucht waren. Da dachte ich mir das erste Mal, das müsste man mal aufarbeiten."

Nach dem Krieg I

Ein älterer Mann sitzt in einer Bar, ein junger Mann kommt herein. „Ich kenne dich irgendwoher", sagt der Ältere. „Aber ich weiß nicht woher." Der junge Mann schaut ihn an: „Ich weiß woher. Vor ein paar Jahren bist du zu uns nach Hause gekommen, um meinen Vater zu erschießen." Der ältere Mann erstarrt. „Und ich sage dir eins: Würdest du heute kommen, verließen weder du noch das Gewehr jemals wieder unser Haus." Von da an wird der ältere Mann jedes Mal die Rechnung des Jüngeren übernehmen, wenn dieser in der Bar sitzt.

Recherchiert hat Morey in verschiedenen Stadt- und Militär­archiven. Aber auch die Tagebücher des Paters Ginard, dem mittlerweile in Sant Joan ein Museum und Forschungszentrum gewidmet ist, dienten Morey als Quelle. Daneben führte er Gespräche mit Zeitzeugen und ihren Nachfahren. Nicht alle waren bereit, Auskunft zu geben. „Bei manchen Familien herrschte noch immer die Furcht, dass man Konsequenzen zu tragen habe, wenn man die Erlebnisse preisgibt. Und das Jahrzehnte nach dem Krieg. Bei anderen war es die Furcht, dass das Erlebte wieder hochkommt, die Demütigung von damals öffentlich wird." Häufig sei es vorgekommen, dass verabredete Interviews nicht stattfinden konnten, weil der Interviewpartner in Heulkrämpfe ausbrach.

In vielen Familien wurde nicht darüber gesprochen, was im Krieg passiert war. Das merkte Morey etwa vor zwei Jahren. Immer wieder hatte er in den Jahren zuvor Teile seiner Studien veröffentlicht, etwa im Lokalblatt „Bellpuig", das bis 2010 existierte. Auf Grundlage dieser Texte kam 2014 ein Theaterstück zur Aufführung, das den Putsch in Artà nacherzählte. „Nach der Aufführung kam ein Mann, der um die 45 Jahre alt ist, zu mir und sagte: ´Der eine Charakter in dem Stück, das ist doch mein Opa.´ Er hatte keine Ahnung, welche Rolle dieser in jenen Tagen gespielt hatte."

Auch über die eigene Familie hat Morey im Laufe der Jahre einiges gelernt. „Etwa, dass mein Opa der zweite Bürgermeister nach dem Putsch war. Zu dem Zeitpunkt wurden aber glücklicherweise keine Leute mehr erschossen." Wirklich schlimme Erkenntnisse habe er aber nicht gewonnen. „Ich habe mal meine Tante gefragt, warum Opa just zu der Zeit Bürgermeister sein wollte. Sie sagte: ´Er wollte ja gar nicht. Er wurde einfach eingesetzt.´"

Nach dem Krieg II

Ein Mann aus Artà erzählt: „Bevor ich mit meiner Frau zusammen war, hatte ich eine andere Freundin. Als es vorbei war, kam mein Vater zu mir und fragte: ´Bist du noch mit diesem Mädchen zusammen?´ Ich sagte Nein. Darauf antwortete er: ´Da bin ich froh. Ich habe dir nie etwas gesagt, weil ich euch nicht im Wege stehen wollte. Aber ihr Vater hatte mich vor wenigen Jahren noch auf seiner Todesliste.´"

Morey hat nicht nur mit Opfern gesprochen, sondern auch mit Tätern. Allerdings sei er vorsichtig mit den Informationen umgegangen. „Letztlich waren es hier im Dorf fünf Männer, die die Drecksarbeit erledigt haben. Aber das waren arme Schweine. Diejenigen, die die Befehle gegeben haben, waren mindestens genauso schuldig." Er kenne die Namen der Mörder, habe sie aber nicht ins Buch geschrieben, sondern Pseudonyme verwendet. „Ich werde ab und zu nach den Klarnamen gefragt, aber dann heißt es: ´Ach, das war also der Opa von dem und dem.´ Und dann fällt eine Schuld auf den Enkel oder Urenkel ab, die er nicht zu tragen hat."

Dennoch ist das Buch unendlich detailliert. Zu allen Verschwundenen, allen Geflohenen hat der Autor versucht, eine Kurzbiografie zusammenzutragen. Genau darum geht es Morey: „Wenn wir nur die Zahlen der Toten nennen, haben wir vielleicht eine eindrucksvolle Statistik, aber wir verstehen nicht das Grauen des Krieges. Erst wenn wir begreifen, was es bedeutet, sich fünf Jahre in einer Höhle zu verstecken, wenn wir von den Menschen erfahren, die ins Exil flüchten müssen, wenn wir die Geschichten der Gefolterten hören, können wir anfangen zu verstehen, was dieser Krieg alles angerichtet hat" (siehe auch S. 8).