Auch wer nicht weiß, was hier vor gut zehn Jahren geschah, spürt sofort, dass der Carrer Jacint Verdaguer keine Straße ist wie die anderen in Palma. Im Carrer Jacint Verdaguer sind die Bürgersteige stellenweise zehn Meter breit, es fließt nicht allzu viel Verkehr, und zwei ganz unterschiedliche Viertel liegen wie zwei Welten nebeneinander. Vom Zentrum der Stadt aus gesehen rechts befindet sich Els Hostalets, ein mit niedrigen alten Häusern bestücktes, gänzlich ungentrifiziertes barrio mit viel Patina. Links dagegen liegt Son Oliva mit seinen modernen Wohn-Hochhäusern. Es handelt sich um eine über Jahrzehnte gewachsene Grenze zwischen einem Viertel, in dem hauptsächlich Eisenbahn­beschäftigte wohnten und als Rentner noch wohnen, und einem quirligen Quartier, in dem sich in den vergangenen Jahrzehnten viele Zuzügler von der spanischen Halbinsel angesiedelt haben.

„Wer vom einen in das andere barrio gelangen wollte, musste hier an zwei Stellen über Fußgängerbrücken die Schienen überqueren", weiß Daniel, Betreiber eines Zigaretten- und Bonbonladens auf der Höhe der Hausnummer 50. „Das Rattern der Bahnen hat uns manchmal schon genervt."

Die Züge fuhren hier überirdisch auf vielen nebeneinanderliegenden Schienen Richtung Inca und Manacor. Dann wurden sie in einen Tunnel verlegt und der damalige balearische Ministerpräsident Jaume Matas (Volkspartei, PP) ließ eine sündhaft teure U-Bahnlinie bis zur Universität bauen, die kaum genutzt wird und bei starken Regenfällen auch schon mal überschwemmt wird.

Von 2004 bis Anfang 2007 war der nach einem von 1845 bis 1902 lebenden katalanischen Dichter benannte Carrer Jacint Verdaguer eine gigantische ­Baustelle, eine Art Pfahl im Fleisch des Stadtkorpus. Mit der Eröffnung der Tunnellandschaft nördlich der Estació Intermodal im April 2007 verwandelte sich dieses Chaos allerdings in eine fast ruhige Oase mit einem großzügigen Spielplatz am Nordende, Grünflächen und einem Fahrradweg. Und am südwestlichen Ende liegt der Parc de ses Estacions. Dort tollen Kinder herum, und man kann umgeben von Bäumen und Gras auf hölzernen Bänken abhängen. Der Park beginnt an einer - noch so eine schöne Palma-Geschichte - erst 2005 von der einen Stadtverwaltung abgerissenen und dann von der nächsten 2009 weitgehend originalgetreu wiederaufgebauten Brücke des Architekten Gaspar Bennàzar. Heute ist sie nur noch für Fußgänger zugänglich.

Eigentlich sollte der Carrer Jacint Verdaguer den nicht weit entfernt gelegenen kilometerlangen Carrer Aragó, der Palma mit Marratxí und weiteren Vororten im Nordosten verbindet, entlasten. Doch so ganz ist das nicht gelungen, da der Carrer Jacint Verdaguer weder über einen Zugang zur Ringautobahn noch zum Innenstadtring Avenidas verfügt. Und so brettert die Autolawine wie eh und je durch die Aragó, während man beispielsweise in der Bar 69 Bokados auf der Höhe Nummer 9 vor lauter Stille praktisch hören kann, wenn man sich ein Bier in die Kehle kippt.