Catalina Obrador schiebt den laut klirrenden Handwagen aus Holz und Blech mit zwei Rädern durch die Mittagshitze von Santanyí. Als wir an der Plaça, dem Dorfplatz, ankommen, macht sich gespenstische Stille breit, obwohl die Außenbereiche der Cafés gut besetzt sind, fast ausschließlich von Urlaubern. Wie in einem Zoo starren uns gut 200 Augenpaare an. Niemand spricht ein Wort. Es ist beklemmend. Und gleichzeitig ist man entsetzt über die Schamlosigkeit der Blicke.

„So ist es hier immer", sagt Catalina Obrador, als wir weiterziehen. „Man hat das Gefühl, dass Santanyí mittlerweile ein Freizeitpark ist. Und dass wir, die Einheimischen, eine weitere Attraktion sind." Der Wagen aus Holz und Blech ist eine Art Außenstelle von Can Timoner, eines Projekts, mit dem sie seit drei Jahren dafür sorgt, dass kulturelles Leben und soziale Projekte nicht ganz der touristischen Optimierung des Dorfes unterworfen werden. Das Hauptquartier liegt direkt neben der Casa de Cultura der Gemeinde, ein paar Straßen vom Dorfplatz entfernt.

Seit ein paar Jahren gehört das Haus der Familie Obrador. Catalina und ihr Bruder Jeroni, ein bekannter Dramaturg, haben hier ein unabhängiges Kulturzentrum ­eröffnet. Es wirkt wie eine kleine Oase. Angenehm unfertig, wie eine Antithese zu dem blank geputzten Stadtzentrum, aber nicht unsauber. Selbst gemacht, aber nicht lieblos. Das Kulturzentrum wird von einem Verein betrieben. Das meiste, was drin steht, etwa der Ofen oder die gläsernen Durchgangstüren im Untergeschoss, wurden aus Materialspenden und durch die Arbeitskraft der immerhin knapp 700 Mitgliedern gebaut.

Die Räume sind minimal eingerichtet, alles soll so viel Platz zum künstlerischen Schaffen wie möglich bieten. Im ersten Stock gibt es Schlafzimmer, wo Künstler in Residenz leben können. Allerdings kriegen sie nur die Räume gestellt, Reise und Verpflegung müssen sie selbst bezahlen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind im ganzen Haus verteilt.

Im obersten Stockwerk gibt es eine Dachterrasse mit Bar. Von hier aus hat man einen hervorragenden Blick über das Dorf und kann auch in den gepflegten Hof der Casa de Cultura schauen.

Die Partizipation ist das Grundkonzept von Can Timoner. „Wir sind eine Konsumkultur gewöhnt. Dabei brauchen wir vielmehr eine Kultur der Teilhabe." Und so sind die Mitglieder gefordert, selbst aktiv zu werden, Vorschläge zu unterbreiten. Regelmäßig gibt es Vereinssitzungen, auf denen die neuen Aktivitäten besprochen werden. Dennoch werden in Can Timoner auch Veranstaltungen organisiert, die im weitesten Sinne als Konsumkultur gelten können, wie etwa Konzerte. Sie dienen auch dazu, den Erhalt des Hauses zu finanzieren.

Der massive Wandel, den Santanyí in den vergangenen Jahre durchgemacht habe, sei einer der Gründe, um dieses Projekt ins Leben zu rufen, erzählt Obrador. „Die Bedürfnisse der Einwohner, sowohl der Mallorquiner als auch der ausländischen Residenten, werden immer mehr vernachlässigt."

Sie selbst habe einen kleinen Sohn. Es gehe ihr mit Can Timoner auch darum, ihn in einem Dorf aufwachsen zu sehen, in dem die Bewohner auch ihre Orte haben. Es könne nicht angehen, sagt Obrador, dass es in Santanyí Bars und Cafés gebe, in denen die Speisekarte nicht mal mehr auf Spanisch geschrieben sei, geschweige denn Katalanisch.

Auch bei Can Timoner hat der große Besucherandrang schon zu Konsequenzen geführt. „Mittwochs, wenn hier Markt ist, machen wir die Tür zu", sagt Obrador. Zu häufig seien Menschen mit Fragen gekommen, die nichts mit dem Kulturzentrum zu tun hatten. „Von ´Steht das Haus hier zum Verkauf?´ bis ´Können Sie uns ein nettes Lokal empfehlen?´ war alles dabei. Es wurde uns einfach zu viel."

Das ist aber auch die einzige Maßnahme, die nach Abschottung klingt. Ansonsten

versucht Can Timoner die Menschen im Dorf zu erreichen. Deshalb habe man sich auch den Wagen aus Holz und Blech gebaut, der durch das Dorf geschoben wird. „Es geht uns darum, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Wir können auf dem Wagen auch kochen oder Spiele veranstalten."

Zudem kooperiert Can Timoner mit vielen kleinen Initiativen. So arbeite man mit einem Projekt zur Verbesserung des ­Leitungswassers ebenso zusammen wie mit der Initiative einer Frau, die auf den Straßen des Dorfes zu gemeinsamen Abendessen mit den Nachbarn einlädt. „Dabei geht es vor allem darum, die vielen neuen ausländischen Nachbarn zu integrieren. Gerade jene, die weder Spanisch noch Katalanisch können, haben es schwer, am Dorfleben teilzunehmen. Es ist aber wichtig, dass sie sich integrieren."

75 Prozent ihrer Arbeitszeit widme sie zurzeit dem Haus, sagt Obrador. Im Gegensatz zu ihrem Bruder ist sie immer noch im Vorstand des Vereins. Dieser besteht im Moment aus zwei Mallorquinerinnen und einer Österreicherin. „Das eigentliche Herz sind aber die vielen anonymen Helfer. Menschen, die für unsere Veranstaltungen kochen. Oder die zum Putzen kommen."

Das Konzept scheint aufzugehen. Vor wenigen Wochen hat Can Timoner den dritten Geburtstag gefeiert. Die US-amerikanische Sängerin Josephine Foster hat für den Anlass ein Konzert gegeben. „Es waren knapp 70 Menschen da, viel mehr aber passen bei uns auch nicht rein." Wenn es nach Obrador ginge, könnte aber eine Zielgruppe noch besser erreicht werden: „Es ist sehr schwierig, an die Jugendlichen ranzukommen." Zwar habe man die eine oder andere Initiative gestartet, so richtig geklappt aber hätten sie nicht. „Das ist schade, denn gerade die Jugendlichen haben in Santanyí kaum einen Ort, an dem sie sich treffen können."