In Zeiten, in denen viele Menschen die Touristenmassen, die jedes Jahr auf die Insel kommen, als Belastungsprobe für Infrastruktur und Natur empfinden, wird schnell vergessen, dass das Wort „Massentourismus" durchaus einmal ganz andere Konnotationen hatte.

Es ist der 7. Juli 1966. Am Flughafen von Palma wird ein schon seit Jahren eingespieltes Ritual zelebriert. Um 19.20 Uhr landet eine Maschine aus Brüssel. Das belgische Ehepaar Godelieve de Cillen und Jan Cillen Ketelbutters steigt zusammen mit den anderen Passagieren aus der Maschine. Sie haben erst am Vortag geheiratet, sie wollen ihre Flitterwochen auf Mallorca verbringen.

Im Flughafengebäude angelangt, erwartet sie ein Empfangskomitee aus Unternehmern, Politikern und Militärs (denen damals der Flughafen unterstand) - um Frau Cillen und ihren Mann als die Touristen Nummer 1.000.000 und 1.000.001 zu begrüßen. Am nächsten Tag berichtete das „Diario de Mallorca" auf einer halben Seite mit Foto von dem Ereignis. Dem jungen Ehepaar, so ist in dem Artikel zu erfahren, sei eine Flasche Brandy, ein Blumenstrauß, Schlüsselanhänger und eine Puppe geschenkt worden. Zudem würden die Kosten für ihren gesamten Aufenthalt übernommen. Eigentlich sei vorgesehen gewesen, nur für eine Woche Urlaub zu zahlen, aber bei frisch vermählten Eheleuten wollte man nicht so sein.

Bereits 1965 hatte die Insel die Marke von zwei Millionen Besuchern im Jahr geknackt. Die Kür des Urlaubers, der die Million vollmacht, war so beliebt, dass sie sogar vertont wurde. Ein Jahr nach dem Besuch der ­Cillens nahm die Band Los Stop mit dem Lied „El turista 1.999.999" am Festival de la Canción de Mallorca an der Playa de Palma teil. „Der Song wurde für uns vom Komponisten Ricardo Ceratto eigens für das Festival geschrieben", erinnert sich Cristina Stop, die Sängerin der Band. „Eine der Auflagen war es, dass die Lieder vom Tourismus handeln mussten." In dem Song besingen Los Stop den armen Touristen Nummer 1.999.999, der knapp die Aufmerksamkeit und die Geschenke verpasst - und dennoch einen ganz ausgezeichneten Urlaub auf Mallorca verbringt, den er nie wieder vergessen wird.

Was wäre der Hoteliersverband heute über solche Zeilen entzückt! Keine Exzesse, kein balconing. Nur Menschen, die sich über den Urlaub freuen. „Es ist in keiner Weise ein tourismuskritisches Lied", sagt die Sängerin, die immer noch aktiv ist. „Vielmehr ging es darum, einen lustigen Song zu spielen, der sich ironisch mit dieser Thematik auseinandersetzt." Ein Jahr später schrieb der Komponist Ceratto übrigens noch ein Lied für das Festival, das dieses Mal von der Band Los Mismos gesungen wurde: „El puente" handelt von dem Wunsch, eine Brücke von Valencia nach Mallorca zu bauen, um nicht fliegen oder das Schiff nehmen ­zu müssen.

Auch das Cover der Los-Stop-Single zu dem flotten yeyé-Song, wie Beatmusik in Spanien hieß, erscheint realistisch. Abgebildet ist darauf ein allein reisender, männlicher Tourist Nummer 1.999.999, während im Hintergrund eine schöne Frau mit einem Blumenstrauß geehrt wird.

Tatsächlich verlief die Auswahl des zu ehrenden Touristen nach einem eher unwissenschaftlichen Muster, berichtet Joan Riera, Vizechefredakteur des „Diario de Mallorca" in einer Kolumne. So wurde zunächst der Flug ausgesucht, in dem der zu ehrende Tourist sitzen würde. Dann wurde unten an der Flugzeugtreppe ausgeguckt, wer der glückliche Gewinner sein sollte. Meistens war das dann ein junges Paar, im besten Fall mit Kindern. Je schöner die Frau, desto größer die Chancen. Allein reisende Männer oder alte Frauen brauchten sich keine Hoffnung zu machen.

In dem Zeitungsartikel vom 1966 wird noch auf ein weiteres interessantes Detail hingewiesen. Im Jahr 1963 kam der millionste Tourist erst am 21. September an, 1964 am 16. August und 1965 am 24. Juli. Nun war es noch einmal 17 Tage früher. Das ist alles längst passé. Heutzutage rechnet man damit, dass der millionste Tourist bereits im Februar in Son Sant Joan landet.

Angesichts von über 14 Millionen Balearen-Urlaubern im Jahr lohnt das große Tamtam heute sicher nicht mehr. Lustig wäre es aber allemal. Zumal sich eine Sache im Vergleich zu 1967 nicht geändert haben dürfte, wenn man noch einmal das Platten­cover betrachtet: Den Pechvogel

Nr. X.999.999 könnte man auch heute noch problemlos am Kleidungsstil erkennen.