Kika Coll, die Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte studierte, ist als Restauratorin eine der führenden Expertinnen für mallorquinische Möbel - und seit 2015 als Abteilungsleiterin im Inselrat

Mallorcas oberste Denkmalschützerin. Die 46-Jährige, die Mitglied der linksökologischen Més-Partei ist, wuchs in Palma auf und verwirklichte sich vor gut 15 Jahren einen Traum, den sie schon als kleines Mädchen hatte: in Palmas Altstadt wohnen - um die sich die Mallorquinerin nun zunehmend Sorgen macht.

Frau Coll, wer trägt mehr zum Erhalt von Mallorcas baulichem Erbe bei, die Einheimischen oder die Deutschen und andere Ausländer, die hier wie die Weltmeister kaufen und sanieren?

Das ist keine einfache Frage. Ich würde sagen, das hängt von der jeweiligen Person ab. Es gibt sowohl viele Mallorquiner, die sich für den Denkmalschutz einsetzen, als auch Deutsche, die alte Häuser liebevoll wieder herrichten und versuchen, alles möglichst orginalgetreu zu machen. Wobei die das natürlich in erster Linie aus eigenem Interesse tun, für sich selbst, um sich hier ein Inseldomizil zu schaffen. Das geschieht ja nicht aus Altruismus, um der Allgemeinheit etwas Gutes zu tun.

Eine Hotelanlage wie das Hyatt-Resort in Canyamel ist einem mallorquinischen Dorf nachempfunden, und auch manch Finca-Besitzer rühmt sich damit, die inseltypische Bauweise zu respektieren, obwohl hier in Wahrheit nie so gebaut wurde. Wie kommt das?

Den Hotelkomplex habe ich mir noch nicht angeschaut, muss ich zugeben. Ehrlich gesagt habe ich ein bisschen Angst davor. Es ist tatsächlich so, dass Investoren oder Bauträger von außerhalb mit Vorstellungen kommen, die nichts mit der Realität zu tun haben. Sie haben vielleicht ein allgemeines Bild mediterraner Architektur im Kopf, aber das sind letztendlich nur Stereotypen. Sie haben sich nie mit der Insel befasst und damit, wie die Leute hier wirklich leben oder gelebt haben, weil sie das auch gar nicht interessiert. Das, was sie bauen, ist ihren Absichten und Bedürfnissen angepasst. Wobei auch die

Mallorquiner einige Fincas ruiniert haben, das sind nicht nur die Ausländer. Der Denkmalschutz geht bisher einfach noch nicht weit genug, die Auflagen sind meist nur minimal.

Deshalb konnten an der Promenade von Portitxol hier in Palma auch diese hässlichen grauen Klötze mit verglasten Terrassen entstehen?

Das ist ein gutes Beispiel, aber das passiert auf der ganzen Insel. In der Vergangenheit ist uns da zu viel durch die Lappen gegangen. Wir müssen maximalen Schutz gewährleisten und wollen deshalb möglichst viele finanzielle und personelle Ressourcen auf die Erfassung schützenswerter Architektur verwenden, in der Altstadt von Palma genauso wie in den Ortskernen der Dörfer. Das dient dem Schutz vor uns selbst. Denn dann sind private Bauherren deutlich eingeschränkt. Aber wir müssen uns beeilen, die Zeit läuft gegen uns.

Wurde Palmas Altstadt mit der Ankunft ausländischer Immo­bilienkäufer und Investoren auf- oder abgewertet?

Die Altstadt hat sich über Jahrhunderte erhalten, durch die Familien, die hier über Generationen lebten. In letzter Zeit jedoch verkamen einige Gebäude zunehmend, weil die Leute sich den Unterhalt nicht mehr

leisten konnten oder kein Geld hatten zum Sanieren und deshalb verkauften. Die neuen Besitzer richten die Häuser zwar in der Regel wieder her, mit prächtigen Fassaden, aber die Essenz, das Leben, das, was in den Häusern drinnen passiert, die Familien und Nachbarn, gehen damit verloren. Wenn ein Gebäude zum Boutiquehotel oder zur Airbnb-Wohnanlage wird, wohnen da zwar wieder Leute, aber das sind keine gewöhnlichen Nachbarn. Die wollen Urlaub machen, die suchen hier keinen Anschluss.

Was vermissen Sie am meisten an der Altstadt von früher?

Die traditionellen Läden. Zuletzt haben die Schreibwarenhandlung Casa Roca und das Kurzwarengeschäft Can Bet zugemacht. Oder die Konditorei Can Frasquet, die jetzt ein schickes Restaurant beherbergt - dabei hätte man das in jedem beliebigen Gebäude der Stadt unterbringen können, dafür hätte man kein jahrhundertealtes Traditionsgeschäft opfern müssen, damit wird die Stadt doch austauschbar.

Dann begrüßen Sie es, dass die Stadtverwaltung die alten Läden jetzt besser schützen will?

Das kommt zu spät, solche Hilfsmaßnahmen wären vor 20 Jahren nötig gewesen. Dann hätte man rechtzeitig nach Nachfolgern suchen können, damit nicht nur das Gebäude erhalten bleibt, sondern auch der jeweilige Laden oder die Bäckerei, die sich darin befand.

Blicken wir auf die ganze Insel: Welche schützenswerten Elemente hat Mallorca bereits für immer verloren?

So dramatisch darf man das jetzt auch nicht sehen. Ich will nicht alles schlecht reden, dann wäre ich wohl auch falsch in meinem Amt. Noch ist Zeit, vieles zu retten und zu erhalten. Nachholbedarf besteht aber vor allem beim immateriellen, kulturellen Erbe. Das ist bisher kaum katalogisiert und dokumentiert, das werden wir in dieser Legislatur in Angriff nehmen. Wir wollen eine Momentaufnahme machen, von den traditionellen Festen mitsamt der Musik, der Tänze und Trachten. Wir wollen die gesamte Liturgie der religiösen Feiern unter die Lupe nehmen, etwa wie die Marienfigur bei den Feierlichkeiten zu Ehren der „Mare de Deu" jetzt im August aufgebahrt wird. Wir wollen uns ansehen, wie sich die Menschen auf die Dorffeste vorbereiten, all das. Unser Ziel ist es, einen umfassenden Katalog zu erstellen, oder einen Atlas, wie sie es in anderen spanischen Regionen nennen.

Ist es schwieriger, Brauchtum zu schützen als alte Bauten?

In der Tat. Gebäude haben den Vorteil, dass die Gesetzgebung ihnen zu Hilfe kommt. Es gibt einen juristischen Rahmen und klare Bauvorschriften, die vorgeben, was erhalten und geschützt werden muss. Beim immateriellen Erbe ist das wesentlich schwieriger, da es Kulturträger braucht, die das von Generation zu Generation ­weitergeben. Ohne Nachwuchs können Bräuche nicht weiterexistieren.

Die Volkstanzgruppe „Parado de Valldemossa" wird offenbar von Nachwuchssorgen geplagt. Wie schafft man da Abhilfe?

Zuerst muss man alle verfügbaren Informationen zusammentragen, über die Archive und indem man mit Zeitzeugen spricht. Und dann sollte man sich anschauen, wie die Weitergabe des Brauchtums erfolgen kann. Mancherorts klappt das ohne Problem, andernorts, wie meinetwegen in Valldemossa, ist vielleicht Hilfestellung nötig. Wobei der Fortbestand einer Tradition immer auf natürliche und spontane Weise vonstatten gehen muss, das lässt sich nicht erzwingen. Dadurch würde ja die Authentizität verloren gehen.

Hilfestellung gibt der Inselrat nun auch den Eigentümern von 26 Verteidigungstürmen auf der Insel, deren Instandsetzung damit subventioniert werden soll.

Ja, wir stellen für die Restaurierung Mitarbeiter des Inselrats zur Verfügung, aber die Besitzer müssen für die Materialien aufkommen, wir teilen uns die Kosten also fifty-fifty. Das ist ein Angebot, ob es angenommen wird, werden wir sehen. Wenn es nicht klappt, haben wir für die rund 500.000 Euro, die wir über vier Jahre im Etat dafür eingeplant haben, auch genug andere Verwendungsmöglichkeiten im Denkmalschutz.

Was wird nun aus den Schätzen, die die Nonnen des Hieronymitinnen-Ordens vom Kloster Sant Jeroni in Palma ins Kloster Sant Bartomeu nach Inca bringen wollten und dadurch für medialen Wirbel sorgten?

Die Kunstwerke werden nun erst mal in Inca aufbewahrt, bis wir in Sant Jeroni adäquate Räumlichkeiten geschaffen haben. Das Problem ist in diesem, aber auch in vielen anderen Fällen, dass die Klosterschwestern ihre Häuser und Gärten in der Vergangenheit immer perfekt in Schuss gehalten haben, da war alles sauber und tipptopp, das Gleiche gilt im Übrigen für die Mönche. Aber wie sollen die Orden, die immer kleiner und älter werden, die Gebäude an sich, also die Architektur erhalten? Früher haben hierfür teils sogar die Familien der Schwestern Geld gegeben, doch heute können die das finanziell nicht mehr stemmen. Die Anlagen befinden sich zwar im Besitz der Kirche, aber wir als Denkmalschutzbehörde müssen darüber wachen, dass erhaltenswerte Güter und Bauten den entsprechenden Schutz erfahren.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele verborgene Schätze in Mallorcas Klöstern schlummern?

Viele religiöse Stätten der Insel stehen unter Denkmalschutz, auch die Möbel und Kunstwerke darin sind in vielen Fällen katalogisiert oder auf Inventarlisten aufgeführt. Doch auch hier ist es so, dass man oftmals nichts über das immaterielle Erbe, etwa Vorbereitungen auf Feste oder die Rezepte der Nonnen, weiß. Und auch über Dinge wie das Geschirr, die Tischwäsche oder ihre Gewänder ist meist überhaupt nichts bekannt.

Wie vertragen sich Tourismus und Denkmalschutz? Sind Urlaubermassen eher förderlich oder schädlich?

Das hängt vom jeweiligen Tourist ab. Manche verhalten sich ­respektvoll, andere nicht. Im Prinzip aber, denke ich, ist es so: Wenn die Einheimischen respektvoll mit ihrem Erbe umgehen, werden es auch die Besucher tun, weil sie es so vorgemacht bekommen. Das Problem ist außerdem nie der einzelne Urlauber, sondern die Masse. Unsere Stadt ist nicht dafür gerüstet, dass an einem Tag 20.000 Menschen, die auf Kreuzfahrtschiffen in Palma ankommen, hier durchlaufen. Davon hat die große Mehrheit, die hier lebt, überhaupt keinen Nutzen. Aber ein paar Leute scheinen offenbar viel Geld damit zu verdienen.

Abseits von Kathedrale und Almudaina-Palast interessiert sich die große Mehrheit der Touristen nicht für Mallorcas Kulturgüter, weder für Wachtürme noch für alte Windmühlen. Wie könnte es klappen mit dem Kulturtourismus, den auch die Landesregierung in letzter Zeit so beschwört?

Man kann den Leuten ja schlecht vorschreiben, was sie in ihrem Urlaub zu tun haben. Wenn die Sonne und Strand wollen, muss man das akzeptieren. Allerdings gilt grundsätzlich: Wir müssen erst einmal für den Kulturtourismus gerüstet sein, bevor wir ihn forcieren können. Wir brauchen Infomaterial, Websites, Hinweisschilder an den jeweiligen Orten. Für die Windmühlen gibt es jetzt eine ausgewiesene Route und Karten. Aber für viele andere Denkmäler gibt es das bisher nicht. Wobei wir all diese ­Informationen ja nicht nur für die Urlauber bereitstellen sollten, sondern auch für uns Mallorquiner. Wenn ich mit meinem Neffen einen Ausflug machen will, sollte ich schnell und einfach an das entsprechende Infomaterial gelangen.

Interessieren sich die Mallorquiner überhaupt für die Denkmäler der Insel?

Ich denke schon. Wir leben hier, wir sind damit aufgewachsen und ständig davon umgeben. Wir müssen diese Dinge nicht extra besichtigen, für uns ist das alles ganz normal. Und diese Natürlichkeit ist auch enorm wichtig für den Erhalt des kulturellen Erbes, aber auch der Sprache oder der Landschaft, das lässt sich nicht erzwingen.

Was auf Mallorca würden Sie dringend unter Denkmalschutz stellen?

Uns selbst! Die Wesensart der Menschen mit ihren Charakter­eigenschaften, ruhig, ein bisschen zurückhaltend und reserviert, aber sehr gastfreundlich. Denn das ist doch das Einzige, was uns vom Rest, von all den Besuchern unterscheidet. Ein Haus oder eine Fassade kann man problemlos restaurieren oder wieder aufbauen, dazu braucht man nur die passenden Materialien. Aber mit den Menschen geht das nicht, da müssen wir schon selbst darauf achten. Und zweitens sollten wir das Leben in der Altstadt, das ruhige Flair in den Gassen schützen. Um zu verhindern, dass wir uns hier in der Stadt irgendwann selbst wie Fremde fühlen - was ja zum Teil schon der Fall ist. Aber hier kann ich als Denkmalschutzbeauftragte allein nicht gegensteuern. Da ist die Tourismusbranche gefragt, da spielt der Flughafen eine Rolle, über den eine bestimmte Menge an Menschen auf die Insel kommt, oder die recht laxe Verordnung der Stadt, die immer mehr Bars und Cafés mit Außenterrassen zulässt. An all diesen Stellschrauben müsste man drehen.