Stammgäste lieben das Hotel Formentor für seine weitläufigen Gärten, die einzigartige Lage und die gemütliche Atmosphäre eines in die Jahre gekommenen Grandhotels. Andere betrachten es realistischer und messen die älteste Nobelherberge Mallorcas am Stand heutiger Fünf-Sterne-Hotellerie. Bauernmalerei-Möbel zu Ritterrüstung und Häkeldecken finden sie ebenso schrecklich wie die langen, mit Teppichen ausgelegten Hotelflure. Oder sie schütteln den Kopf über die Putzkammer im Eck des Speisesaals und würden den verrosteten Zaun, der das Hotelgelände vom Strand trennt, am liebsten sofort abreißen.

Die Wahrheit liegt diesmal nicht in der Mitte, sondern ist eine Frage der Lesart. Auf dem Sofa der Hotellobby blättern wir durch den Jubiläumsbildband „Formentor, die mögliche Utopie" - und entscheiden uns für die romantische. Auch der Argentinier und Kunstliebhaber Adán Diehl glaubte an das Schöne und Kultivierte in der Welt, als er 1929 ein enormes Grundstück auf der Halbinsel Formentor kaufte und in der Bucht Cala Pi de la Posada ein Hotel eröffnete. Mit den Einnahmen wollte der Millionär die Kunst fördern, stattdessen floh er fünf Jahre später völlig mittellos vor seinen Gläubigern nach Frankreich.

Mit den Jahren wurde das Hotel Formentor dennoch über Mallorcas Grenzen hinaus bekannt. Schriftsteller, Schauspieler und andere Schöngeister kamen und verliebten sich prompt in diesen paradiesischen Flecken Erde. Hier fanden und finden Autorentreffen statt, hier wurde und wird ein internationaler Literaturpreis vergeben, hier wird seit 2013 inmitten des weitläufigen Parks mit Blick aufs Meer auch konzertiert. Die naturbelassene Schönheit an Mallorcas nördlichster Landspitze ist bis heute der größte Trumpf, den das Hotel zu bieten hat.

Wer sich an der mitunter altmodischen Einrichtung nicht stört, bucht eines der 121 Zimmer im Haupthaus, einem schmucklosen lang gestreckten Bau (Zimmer ab 380 Euro, Gran Suite 1.800 Euro jeweils pro Nacht). Privater und exklusiver kommen die auf dem elf Hektar großen Gelände verstreut gelegenen Villen und Bungalows mit zwei bis fünf Schlafzimmern und eigenem Pool daher (400-3.500 Euro/Tag). Das Bauernhaus Cases Velles ist zweistöckig und geht auf das 13. Jahrhundert zurück. Auch Schriftsteller Miquel Costa i Llobera lebte mal in dem Anwesen mit Palmengarten, Kapelle und Innenhof. Das Haus bietet Platz für zehn Personen, es gibt mit Marmor ausgestattete Bäder, WiFi, Pool und Salon mit Kamin.

Cristina Gómez, die stellvertretende Hoteldirektorin, führt uns über die Terrasse zur breiten Gartenallee Richtung Meer. Links und rechts sitzen Familien unter den überwachsenen schattigen Arkaden, lesen, essen oder spielen Karten. Am großen Pool rechterhand, wo sich auch eines von vier À-la-carte-Restaurants befindet, geht es lauter und geschäftiger zu. Doch nur einen Steinwurf davon entfernt dösen die Gäste bereits wieder auf einer Liegewiese unter Palmen. Seitdem die Barceló-Gruppe 2006 das Hotel übernahm, hat sich kaum etwas an der Anlage verändert. Nur die Möbel wurden in einem Teil der Zimmer erneuert, einige Bereiche im Garten verjüngt. Einen Spa gibt es nicht, Gäste können sich aber open-air massieren lassen und Beauty­behandlungen buchen. Thailändische und balinesische Anwendungen gehören zum Angebot der 2016 im Garten errichteten Balinesischen Privatkabinen mit Daybed und Jacuzzi (120-400 Euro/Tag).

Überhaupt scheint es, als verbrächten die Gäste (Durchschnittsalter um die 45 Jahre) ihre Zeit lieber in dem 80.000 Quadratmeter großen Hotelpark mit seinem alten Baumbestand und den verwunschenen Spazierwegen, als sich an den öffentlichen Strand zu legen. Der ist im Sommer natürlich gut besucht, für Formentor-Klientel ist aber ein eigener Abschnitt mit Liegestühlen, Sonnenschirmen und balinesischen Betten reserviert (zwei Liegen und Schirm 60 Euro/Tag).

180 Angestellte kümmern sich um die (Stamm-)Gäste, kennen viele der Schriftsteller, Unternehmer und Politiker aus England, Deutschland und Spanien persönlich. Die Liste der Berühmtheiten, die in den letzten 90 Jahren hier abstiegen ist lang (von Charles Chaplin bis zum Schah von Persien), über aktuelle berühmte Besucher schweigt sich Cristina Gómez mit dem Kommentar máxima discreción allerdings aus. Das Hotel Formentor ist für sie eine Insel in unserer vernetzten Welt. In der gehobenen Hotellerie sei immer mehr die einzigartige Erfahrung gefragt, nicht so sehr das Produkt: „Bei uns klinkt man sich vom Alltag aus, genießt früh morgens ein einsames Bad im Meer, vertrödelt den Nachmittag auf einer Liege, trinkt auf der Terrasse einen Aperitif." Und spürt in diesen Momenten vielleicht etwas von dem Luxus, der Urlaub in Zeiten von Grace Kelly noch bedeutete.