John von Düffel, Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin und Langstreckenschwimmer, hat sich schon in mehreren Büchern mit dem Thema Wasser beschäftigt. Jetzt hat er auch eine „Gebrauchsanweisung fürs Schwimmen" veröffentlicht (Piper Verlag, 15 Euro). Auf Mallorca war der 49-Jährige schon zweimal, aber nur zum Arbeiten. Ins Wasser gestiegen ist er hier noch nicht, wie er am Telefon erzählt.

Die Strände sind voll, aber alle planschen und kaum wer schwimmt. Was ist da los?

Die einfachste und ursprünglichste Erklärung liegt in dem Widerspruch, dass wir vom Wasser magisch angezogen werden, gleichzeitig aber auch eine Scheu, um nicht zu sagen: Angst davor haben - einen angeborenen Respekt. Das Wasser ist ein Element der Schönheit, aber auch ein Element der Gefahr. Und das, wovon man träumt, dem Rausschwimmen in den offenen Horizont, das ist genau das, was einen vielleicht wieder in Angst versetzt. Wie komme ich zurück? Was für Gefahren drohen mir? Was ist, wenn ich einen Krampf bekomme? All diese Sorgen gehen mit den Träumen einher.

Könnte es auch sein, dass die Deutschen das Schwimmen verlernen?

Es gibt ein ganz schlimmes Vorurteil gegenüber dem Schwimmen: dass es langweilig sei. Das hat mit dem Thema Hallenbad oder Pool zu tun und der Unterstellung: „Da schwimmt man doch nur hin und her." Gleichzeitig ist vielen der Pool oder das umfriedete Bad eher geheuer als das Meer. Man schwimmt dort relativ angstfrei - aber man denkt eben auch: „Ja, Mensch, da mach ich ja nichts anderes, als vor mich hinzupaddeln." Das hat zu dieser Spaßbad-Kultur geführt. Gerade das reine Schwimmen aber gilt es zu entdecken, und wie sich der Körper im Wasser anfühlt. Das ist eine Erfahrung, die viele so noch nie gemacht haben. Damit sind wir beim Thema Schwimm­unterricht in der Schule. Schwimmen gehört zu unseren wesentlichen Kulturtechniken. Der Mensch hat gelernt, das Wasser in gewisser Weise zu beherrschen. Wenn man sich aber anguckt, wer dazu in der Lage ist und sich nicht nur über Wasser hält, sind das erschreckend wenige.

Was halten Sie von den weit verbreiteten 8-mal-4-Meter Pools?

Das ist auch so eine Ironie: Viele Menschen schaffen sich einen Pool an, erhalten ihn kostspielig - und sind wenig drin. Manchmal ist es eher ein Statussymbol als ein Teil des gelebten Alltags. Es ist domestiziertes Wasser. Man hat es sich sozusagen ans Haus geholt, aber das Wesentliche, was das Schwimmen ausmacht, das Sinnlichkeits- und Freiheitserlebnis, das wird man dort ganz selten erfahren.

Machen Sie uns Lust aufs Schwimmen: Warum sollte ich die Luftmatratze verlassen?

Weil man beim Schwimmen dem Element Wasser am nächsten ist. Man spürt das Wasser, man spürt sich im Wasser, man ist vom Wasser umhüllt. Es ist ein sehr gesundes Element und man entlastet den Körper - gerade im Meer wird man vom Salzwasser regelrecht getragen. Wenn man sich ein bisschen um seine eigene Schwimmtechnik kümmert, kann das bei orthopädischen Problemen viel ausmachen. Alle Muskeln werden aktiviert, das ganze Muskelkorsett des Körpers, alles was uns zusammenhält, wird dadurch bestärkt. Da braucht man nicht mehr zum Pisa-Training. Und dann gibt es am Meer und mit dem Meer eine Menge zu erleben. Große Einsamkeiten, eine gigantische Freiheit, das Besiegen einer Angst.

Was ist mit dem unangenehmen Gefühl, dass unter mir nichts ist?

Ja, da ist dieser Kontrollverlust. Da kann es um ganz fantastische Ängste gehen, was da unter einem sein und was einen eventuell berühren könnte. Da spielt das Unterbewusstsein eine große Rolle. Aber es macht einen sehr stark, wenn man die Angst immer wieder besiegt. Da unten ist in 99,9 Prozent der Fälle nichts, was einem in irgendeiner Weise schaden kann, dafür kann ich meine Hand wirklich ins Feuer und ins Wasser legen. Das ist eher der Kopf, der uns da Streiche spielt.

Was sage ich meinem Kopf?

Es hat keinen Sinn, wie bei einem Kind zu sagen: Du brauchst keine Angst zu haben. Man muss Vertrautheit herstellen. Die stellt man her, in dem man erst mal einen kleinen Schritt macht, dann einen größeren und dann einen noch größeren oder vielleicht zwei. Erst einmal ein bisschen ins Wasser gehen, die kleine Kurve schwimmen und dann die Kurve immer weiter ausweiten. Am Ende stellt man sich keine Fragen mehr.

Immer weiter und weiter hinaus. Wie weit?

Wenn man das Meer nicht richtig gut kennt und es nicht über Monate beobachtet hat, fehlt einem die Kenntnis, wie es sich verändert. Das Meer ist jeden Tag etwas anders. Die Strömungen sind anders, der Wind ist anders, die Temperaturen sind anders, es ist nicht dasselbe Meer. Wer weit rausschwimmt, geht natürlich ein großes Risiko ein. Deswegen ist mein Rat, erst einmal so viel wie möglich parallel zum Strand zu schwimmen. Das ist naheliegend, aber die wenigsten tun es. Dabei hat man einen sehr wohltuenden Abstand, auch von den vollen Stränden, ist aber in einer sicheren Entfernung. Das Einzige, was einem zu schaffen macht, ist das ein oder andere Wellenhügelchen, aber daran gewöhnt man sich. Erst, wenn man wirklich sehr mit dem Meer vertraut ist, würde ich den Weg ins Offene suchen.

Wie werde ich am besten eins mit der Wellenbewegung?

Die Wellen sind für die meisten eher eine Irritation. Das ist auch ein Grund, warum man im Meer tendenziell lieber ins Offene schwimmt und die Wellen frontal anstatt seitlich nimmt. Gleichzeitig werden die Wellen erst dann so richtig hügelig, wenn das Wasser flacher wird. Das heißt, wenn man die richtige Distanz zum Strand findet, ist es mit dem Wellengang nicht so schlimm.

Kraulen oder Brustschwimmen?

Ich würde immer kraulen. Das hat aber eher etwas mit meiner physischen Veranlagung zu tun. Brustschwimmen ist natürlich auch schön, weil man auch ein bisschen was sehen kann von Meer und Land. Überhaupt haben alle Schwimmformen ihre Schönheit und ihre Berechtigung. Man kann sich auch rückenschwimmend paddelnd wunderbar vom Meer tragen lassen. Man muss sich ein bisschen frei machen von dem Leistungsdenken und eher gucken, was ist das Tempo, das mir guttut, und wo fühlt sich das Schwimmen an wie ein großer, langer Spaziergang. Ich kann nur sagen: Die Spaziergänge, die man im

Wasser vollzieht, die tun einem richtig gut. Die will man, wenn man es richtig angeht, irgendwann nicht mehr missen.

Das Schwimmen wird zum Spaziergang - nett ausgedrückt.

Das man seinen Rhythmus findet, ist das A und O. Wenn man eine gute rhythmische Schwimmbewegung hinkriegt, dann spürt man auch keinerlei Anstrengung. Nur nachher, wenn man aus dem Wasser kommt, merkt man, dass man etwas für sich getan hat. Der Rhythmus reduziert die Anstrengung und bringt den Körper in eine Art Balance, die sehr lange trägt und sich gut anfühlt. Damit verschwindet auch dieser Aspekt, dass Schwimmen langweilig und anstrengend zugleich ist.

Sie schreiben, Schwimmen verändere auch die Wahrnehmung. Inwiefern?

Zum einen natürlich ganz praktisch. Wenn man krault, hat man immer nur den kurzen Schulterblick, und die meiste Zeit schaut man ins Wasser. Auch beim Brustschwimmen, gerade im Meer, hat man oft nur Wasser im Blick. Aber man ist ja auch nicht in der Überwasserwelt: Man ist im Wasser und unter Wasser, und man nimmt dadurch die Welt anders wahr, weil man gleichzeitig auch seine eigene Atmung hört, in die Tiefe blickt und keinen festen Boden unter den Füßen hat. Man ist auch stärker mit dem Orientierungssinn beschäftigt - wenn man da zu ängstlich ist, zu sehr die Koordinaten sucht, dann macht es wenig Spaß. Man muss sich dem Meer ein bisschen anvertrauen, Lust haben auf die kleine Schaukelpartie und auch ein bisschen genießen, dass das Wasser einen gewissen Abstand schafft zu der Welt, wie wir sie kennen - oder zu dem vollen Strand. Dann ist das alles halb so wild. Man denkt ein bisschen über die Eigenarten des Menschen nach, der sich da tummelt, und fühlt sich gleichzeitig auch ein bisschen frei davon.