Nachmittags zwischen 15 und 17 Uhr sollte man Jaime Barceló lieber nicht anrufen. Zu dieser Uhrzeit hält er seine wohlverdiente Siesta. Bis dahin ist der Bäcker aus Campos seit vier Uhr morgens auf den Beinen. Er backt selbst, vor allem das klassische Bauernbrot pa pagès in dunkler (moreno) oder heller (blanc) Ausführung.

Die beiden traditionellen Weizenbrotsorten bestehen aus Mehl, Wasser und etwas Hefe, sonst nichts. Das dunklere Mehl ist etwas weniger raffiniert, die Körnung etwas gröber als beim reinweißen Mehl. Weder Salz noch Zucker und auch keine weiteren Zutaten landen im Teig für das pa pagès. „Das mallorquinische Brot ist salzfrei. Der Teig ist wegen des Salzmangels dichter und fester. Die hohe Luftfeuchtigkeit würde das Brot sonst schnell klebrig machen", erklärt der Inhaber vom Forn Ca´n Bet.

Deutsche Gaumen müssen sich häufig an diesen „neutralen" Geschmack erst einmal gewöhnen - und möchten es danach nicht mehr missen. Das Brot wird zum Essen gereicht, häufig mit Olivenöl beträufelt und mit Salz bestreut. Und es ist die Grundlage für das mit Tomate eingeriebene pa amb oli, dem Klassiker mit Käse, Schinken oder Wurst.

Am Abend zuvor hat Barceló schon den Vorteig angesetzt. Jetzt entnimmt er diesen bereits gegangenen Grundteigen ein Stück, fügt Mehl und Wasser hinzu und knetet die Masse mit den großen Teighaken in der Maschine mehrere Minuten. Das Kneten ist wichtig, damit Sauerstoff an den Teig kommt und sich die Glutenstränge im Mehl gut mit dem Wasser binden. Dann ruht der Teig noch einmal eine halbe Stunde. Erneutes Kneten mit den Handballen, bis sich der Teig federnd anfühlt. Tuch drüber und wieder gehen lassen.

Vor allem: Geduld

Ein mallorquinischen Brot geht bis zu vier Stunden. „Beim Gären wird Zucker freigesetzt, was den Geschmack ausmacht", so Jaime Barceló. Industriell hergestellte Brote kürzen diesen Prozess oft drastisch ab - Zeit ist Geld -, und fügen später chemische Inhaltsstoffe hinzu, um den fehlenden natürlichen Gärungsprozess „aufzufangen". „Als Bäcker braucht man vor allem eins: Geduld", sagt hingegen Barceló.

Während er den Teig vorbereitet, ist der Ofen auf 220 bis 240 Grad Celsius aufgeheizt. Mit den langen Holzspateln, die wie riesige Ruder aussehen, schiebt Barceló die geformten Laibe pünktlich um 6.30 Uhr in den Ofen, damit die Kunden morgens früh das backwarme, knusprige pa mallorquí genießen können.

Bäcker haben es nirgendwo leicht. Der Job ist hart, frühes Aufstehen und körperlich harte Arbeit gehören dazu. Die schnelle Aufbackware in Supermärkten, Tankstellen oder Kiosken ist auf dem Vormarsch. Und die Nachfrage hält sich in Grenzen: Circa 28 Kilo Brot essen die Menschen auf den Balearen im Schnitt pro Jahr. In Deutschland lag der

Brotkonsum 2015 bei 47 Kilo pro Kopf.

Den Rücken stärken

Es heißt also zusammenhalten. Die vor zwei Wochen offiziell vom Bäckerei- und Konditorverband, dem Inselrat und dem Institut für unternehmerische Innovation (IDI) präsentierte Initiative „Pa d´aquí" (Brot von hier) soll die Traditionsbäcker der Balearen stärken. „Es geht nicht darum, den Betrieben bestimmte Qualitätsstandards aufzudrücken, sondern den Bäckern, die auf herkömmliche Weise backen, den Rücken zu stärken und sie durch Marketingmaßnahmen zu unterstützen, um sich von der ´billigeren´ Konkurrenz abzugrenzen", sagt Pep Magraner, Vorsitzender des Bäckereiverbandes der Balearen.

„Jeder Bäcker hat seine eigenen, kleinen Geheimnisse und Kniffe, wie er den Teig zubereitet. Das ist etwas sehr Persönliches und sollte auch so erhalten bleiben." Wer seine Bäckerei unter dem Siegel des pa d´aquí vermarkten möchte, muss mindestens 70 Prozent der Backwaren selbst herstellen. Die Bäckereien erhalten Papiertüten mit dem Logo, Stoffbeutel für die Kunden und können werbewirksam das Logo ins Schaufenster kleben.

Der "Mutterteig" ist 20 Jahre alt

Cosme Pons Escalas vom Forn Pons im touristisch geprägten Urlaubsort Colònia de Sant Jordi will sich auf jeden Fall an Pa d´aquí beteiligen. „So wird deutlich, wer noch selbst backt und wirklich Qualität liefert", sagt er. Cosme Pons ist in der Backstube geboren - buchstäblich. Die Familie, schon sein Vater war Bäcker, wohnte in der Wohnung direkt darüber. Cosme Pons zeigt auf einen unscheinbaren Eimer. Dort lagert seine magische Tinktur, die masa madre, der Mutterteig. Die mit wertvollen Bakterien durchsetzte Flüssigkeit ist die Basis des traditionellen mallorquinischen Brotes - der Kern - und sie dürfe niemals sterben. „Zwanzig Jahre ist der Mutterteig alt", sagt Cosme Pons stolz. In Farbe und Konsistenz ähnelt die Mischung einem Kleister. Der gegorene Grundteig riecht säuerlich, fast ein wenig nach Alkohol. „Ich erkenne auf einen Blick, ob der Teig noch gut ist oder schon leicht gekippt", sagt der Bäcker. Ist dies der Fall, gibt Cosme Pons etwas Mehl und Wasser zum Grundteig hinzu, bis die Mischung wieder stimmt.

In der Winterpause will Pons auf einem Stück Acker, das er von seinem Vater geerbt hat, das Traditionskorn xeixa anbauen. Der Zwerg- oder Binkelweizen (lat. Triticum compactum) ist etwas kleiner als der herkömmliche Weizen, der Ertrag pro Fläche im Vergleich geringer. Das Mehl ist entsprechend teurer, „dafür aber auch deutlich schmackhafter", sagt Cosme Pons. Vitamin- und ballaststoffreich ist es obendrein. Der alte Weizen ist auch deshalb beliebt, weil er ohne Herbizide oder Dünger wächst und sehr anspruchslos ist. Auch in der Tierhaltung finden die hohen Halme Verwendung.

Cosme Pons ist ein Traditionalist und Visionär in einem. Werbewirksam plant er, ein mit einer Drohne aufgenommenes Video, das den Flug über das hoffentlich bald wallende Ährenfeld zeigt, auf einem Bildschirm in seiner Bäckerei laufen zu lassen. „Die Kunden sollen sehen, woher das Korn kommt."

Unter dem Sammelbegriff der Aktion Pa d´aquí sind vor allem die typischen Brot-, aber auch Brötchensorten der Balearen zu verstehen. Dazu zählen unter anderem das pa moreno, das pa blanc, die Brötchensorte llonguets, aber auch weniger bekannte Sorten wie das an den Enden leicht aufgezwirbelte Olivenbrötchen panet d´oli.

Väter und Söhne

Circa 50 Kilometer weiter nord-westlich der Colònia de San Jordi, im Forn Real in Palma, machen sich Jaime Gelabert und Son Toni Gelabert startklar. Es ist vier Uhr morgens, als das Vater-Sohn-Gespann die ersten Brote backt. Toni hat bei seinem Vater gelernt, der es wiederum von seinem Vater gelernt hat ?

Jetzt arbeiten Vater und Sohn in fünfter Generation Nacht für Nacht und Tag für Tag Seite an Seite. Die Mutter und die Schwester kümmern sich um den Verkauf. Toni ist stolz auf seinen Beruf, ein Bäcker mit Leib und Seele. Die tätowierte Weizenähre mit einer römischen "V" auf seinem rechten Unterarm ist noch ganz frisch.

Die beiden geben etwas flüssigen Mutterteig in die Teigknetmaschine. Dann kommt die zähe Masse in den großen Trichter der Maschine, die die Portionen zurechtschneidet. Kleine handtellergroße Teigquader rutschen auf das Förderband, wo Gelabert senior und junior die Stücke entgegennehmen und dann per Hand zu leicht ovalen Laiben formen.

Die Maschine portioniert die Teile, den Teig exakt wiegen müssen Vater und Sohn selbst. Jaime legt ihn auf die Waage. Sie zeigt 490 g an, für ein 500-g-Brot ist das ein korrekter Wert, weniger darf es nicht sein. Ein Brot verliert beim Backen viel Wasser und wird deutlich leichter. Auch im Forn Real gärt der Teig für das mallorquinische Brot, ob dunkel oder hell, etwa vier Stunden. Für den zweiten Gärungsprozess kommen die ovalen Laiber auf Holzregale. Ein Tuch darüber, damit keine Luft dran kommt und ruhen lassen.

„Jede Bäckerei ist eine Welt für sich", sagt Jaime. Die Bäcker spielen mit den Temperaturen, bei circa 22 Grad geht der Teig am besten, im Sommer, bei fast 40 Grad, muss der Teig mit eiskalten Wasser auf die entsprechende Temperatur herruntergekühlt werden. Tagsüber stellen die Gelaberts nur noch Baguettes und kleinere Brötchen her. Das typische mallorquinische Brot wird einmal am Tag gebacken. „Was übrig bleibt, verarbeiten wir zu feinen trockenen Brotscheiben, die man für den Eintopf sopes mallorquines braucht", erzählt Toni Gelabert.

Besser als VWL

In Es Pla de na Tesa, nicht weit von Palma, beginnen die Bäcker sogar noch früher als bei den Kollegen. Eine Hauptstraße, eine Kirche mit Marktplatz, es ist ein kleiner Ort. Nur von den Kunden hier könnte der forn nicht leben. „Die Hälfte unserer Backwaren vertreiben wir an größere Cafeterien, die schon frühmorgens das Brot abholen", sagt Maties Miralles, Mitinhaber der Bäckerei. Das Team, fünf Männer, rückt daher schon um 20 Uhr an. Bis ein Uhr morgens wird geknetet und gebacken.

Maties Miralles fing mit einem Studium der Wirtschaftswissenschaften an, ließ es aber bald bleiben. „Den ganzen Tag am Computer, das war nichts für mich", sagt der Mallorquiner mit dem Schnurrbart. Er ging drei Jahre in Palma in die Lehre, dann nach Barcelona, Paris und Kuwait, wo er vor allem seine Konditorkenntnisse ausbaute. Dann war es Zeit, zu den Wurzeln zurückzukehren. Die Bäckerei Forn Es Pla de na Tesa ist über hundert Jahre alt, die Familie führt den Betrieb seit mehreren Jahrzehnten. Brot backen sei etwas ganz Persönliches und Individuelles, so Miralles. „Es ist wie die Liebe: Man muss es selbst erleben."

Die Liebe zu seinem Brot lässt auch den Bäcker aus Campos bis 20 Uhr ausharren. Es ist bereits dunkel draußen, als Jaime Barceló die letzten Kunden verabschiedet. Er steigt in die Backstube im Keller hinab, um die Vorteige ein letztes Mal zu kneten. Dann wird er den kurzen Feierabend genießen, denn sein Wecker klingelt schon wieder sieben Stunden später.