Die Reblaus hat auf Mallorca einen schlechten Ruf. So schlecht, dass die fil·loxera, so heißt sie hier, sogar Teil einer Redewendung ist: mal te pegàs una fil·lotxera (Nicht, dass dich noch die Reblaus ereilt). Das heißt so viel wie: Nicht, dass dich der Tod ereilt. Dem kleinen Insekt (lat. Dactylosphaera vitifoliae, span. filoxera) wird seit jeher der Niedergang des mallorquinischen Weinbaus Ende des 19. Jahrhunderts zugeschrieben. Jetzt aber belegt der Historiker Bartomeu Pastor Sureda in seinem Buch „La vinya i el vi a la Mallorca de finals del segle XIX" (Der Weinanbau und der Wein auf Mallorca am Ende des 19. Jahrhunderts): Stimmt gar nicht! Zumindest nicht ganz.

Aber von Anfang an: Im späten 19. Jahrhundert produzierte Mallorca Unmengen an Wein. Im Jahr 1885 waren es knapp 35 Millionen Liter, sechs Jahre später knapp 50 Millionen Liter (zum Vergleich: 2015 waren es gerade mal gut 5,4 Millionen Liter). Die Qualität variierte zwischen den Anbaugebieten. Am Fuße der Tramuntana bei Binissalem und Alaró, dem sogenannten Raiguer, war sie höher und der Wein hochprozentiger. Im Osten der Insel, bei Manacor und Felanitx, war eher das Gegenteil der Fall. Der Alkoholgehalt lag dort bei etwa acht bis neun Prozent, sodass Kartoffelbrand aus Deutschland importiert wurde, um ihn beizumischen. Im Jahr 1885 waren es 2,7 Millionen Liter, ein Jahr später schon 4 Millionen. „Wein war damals ein Grundnahrungsmittel. Von den Bauern auf den Feldern bis in die Klöster war er ein alltägliches Konsumprodukt", sagt der 66-jährige Bartomeu Pastor, der über die Jahre als Dozent an der Balearen-Uni und als Lehrer gearbeitet hat.

Frankreichs Durst löschen €

In Frankreich hatte ab 1867 die Reblaus weite Flächen der Weinfelder zerstört. Zwölf Jahre später ereilte Katalonien, den Hauptzulieferer für den nördlichen Nachbarn, dasselbe Schicksal. Doch da Franzosen nun mal Wein trinken, wurde auf Mallorca zurückgegriffen. „Das war zunächst ein gutes Geschäft", sagt der Historiker.

Wobei man den damaligen Wein nicht mit dem heutigen vergleiche sollte. Er war praktisch nicht haltbar. Häufig mussten die Fässer mit Karren über die Insel bis zu einem Hafen transportiert werden, wo sie teilweise noch tagelang in der Hitze lagerten, bis sie aufs Schiff geschafft wurden. „Was dann im Hafen von Marseille ankam, musste häufig ins Meer gekippt werden, weil es zu Essig geworden war", sagt Bartomeu Pastor.

Die Entwicklung des Weinanbaus auf der Insel lässt sich für Pastor gut mit dem vergleichen, was im 20. Jahrhundert mit dem Tourismus geschah. „Man setzte auf mehr Hotelzimmer anstatt auf bessere. Im Jahrhundert zuvor brauchte man vor allem viele Liter, also wurden besonders produktive Rebsorten gesät." Betrug die Fläche der mallorquinischen Weinanbaugebiete im Jahr 1884 noch 17.430 Hektar, waren es 1889 schon 22.833 Hektar (zum Vergleich: Im Jahr 2015 waren es 1.623 Hektar).

€ bis Frankreich genug hatte

Doch Frankreich reagierte. Innerhalb von zwei Jahrzehnten wurde dort das Problem mit der Reblaus in großen Teilen gelöst. Zum einen dadurch, dass der Weinbau in der Kolonie Algerien vorangetrieben wurde. Zum anderen bekämpfte man die Reblaus auf den ­heimischen Feldern. Dafür pflanzte man amerikanische Fußwurzeln, die von der fil·loxera nicht angegriffen werden, und pfropfte darauf die Rebsorten.

Als die heimische Produktion wieder ansprang, erhöhte Frankreich die Einfuhrzölle. Zudem hatte die große Konkurrenz auf Mallorca bereits seit 1886 zu einem Preisverfall geführt. „Erschwerend kam hinzu, dass der Staat von der erhöhten Produktion profitieren wollte und Steuern erhob", sagt Bartomeu Pastor.

„Der schwindende Markt und die sinkenden Gewinne führten dazu, dass viele Grundbesitzer sich auf der Insel profitableren Anbaupflanzen zuwandten." Zu denen gehören vor allem die ­Feigenbäume, die für die Fütterung der Schweine wichtig waren, die aufs Festland exportiert wurden, ebenso wie Mandelbäume, Weizen und Johannisbrotbäume.

Die Krise machte sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar und trug dazu bei, dass immer mehr Menschen nach Nord- und Südamerika auswanderten, um dort ihr Glück zu versuchen.

Ein Markt im Niedergang

Im Jahr 1891 gelangte die fil·loxera schließlich nach Mallorca, wo die Produktion ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch 18.813 Hektar mit Wein bestellt. „Das ist der entscheidende Punkt, wenn es um die Reblaus auf Mallorca geht", sagt Bartomeu Pastor. „Sie wütete auf einem Markt, der sich bereits im Niedergang befand. Auch ohne die fil·loxera wären die Tage des mallorquinischen Weins gezählt gewesen."

Im ersten Jahr hielt sich der Einfluss der Reblaus noch in Grenzen. Der Schädlingsbefall betraf 431 Hektar oder 2,35 Prozent der Fläche. In den folgenden Jahren verbreitete sich die Plage weiter über die Insel. Dennoch lässt sich ein bemerkenswertes Phänomen beobachten: Die Anbaufläche wurde nicht kleiner. Laut den Daten, die Pastor zusammengetragen hat, betrug die Fläche der Weinbaugebiete im Jahr 1895, vier Jahre nach der Ankunft der Reblaus, 18.892 Hektar, also noch ein bisschen mehr als 1891.

Während die Fläche der Weinbaugebiete nicht sofort sank, brachen die Exporte ein. Hatte man im Jahr 1891, als der Schädling erstmals auf Mallorca auftrat, fast 50 Millionen Liter ausgeführt, waren es zwei Jahre später nur noch 3,3 Millionen Liter.

Willkommene Ausrede

Das heiße nicht, dass die Reblaus keinen Einfluss auf den Niedergang des Weinbaus gehabt habe, sagt Bartomeu Pastor. „Er war jedoch längst nicht so bedeutsam, wie man bisher immer geglaubt hat." Dass dessen Rolle so übertrieben wurde, liegt für Pastor daran, dass die Reblaus eine willkommene Ausrede darstellte. „Die Regierung in Madrid hatte eine fatale Handelspolitik betrieben, die nicht auf die Entwicklungen des Marktes reagiert hatte. Da das ziemlich peinlich war, schob man das Malheur der fil·oxera in die Schuhe."

Der Weinbau auf Mallorca erholte sich nur langsam von der Krise. „Erst ab den 20er-Jahren wurde die Weinproduktion wieder erhöht", sagt Pastor. Diesmal ging man anders an die Dinge heran. Ähnlich wie in Frankreich wurden neue Rebsorten auf amerikanische Fußwurzeln gepfropft. Zudem, und das ist für Pastor wichtig, wurden Kooperativen wie die in Felanitx gegründet, bei denen erfahrene Weinbauern zusammenarbeiteten.

Sorgen bereitet die fil·loxera lange nicht mehr. „Heute gibt es die Reblaus immer noch auf Mallorca - ich habe sie selbst gesehen - genauso wie es immer noch Rebstöcke gibt, die aus der Zeit vor der Plage stammen und die nie befallen wurden", sagt Bartomeu Pastor. Eine Gefahr sei der Schädling aber lange nicht mehr - so wie er es auch damals nur bedingt war.