In Pollença angekommen, beschäftigt uns zunächst eine ganze praktische Frage: Wo gibt es hier einen Schuster? Die Winterstiefeletten brauchen dringend einen neuen Absatz und da in unserer ehemaligen Schuhstadt Llucmajor die Flickschusterkunst ausgestorben ist, fragen wir uns auf gut Glück in Pollença durch. Ein Tipp lautet: an der Treppe zum Kalvarienberg linker Hand bevor die Zypressen beginnen. Mit dieser ungefähren Beschreibung finden wir Francesc, el zapatero tatsächlich, denn er steht vor dem Haus und tankt Sonne. 81 Jahre alt, repariert er seit 70 Jahren Schuhe. Als er 1971 von Málaga nach Mallorca zog, eröffnete er in Pollença eine kleine Werkstatt, die noch heute ein Nebenzimmer seiner Bleibe in der Via Crucis, 19 einnimmt. Im Dorf sei er der letzte seiner Zunft, erzählt Francesc, weil der Beruf nicht mehr rentabel sei. Wir übergeben ihm die Schuhe auf der Treppe, in einer halben Stunde sollen wir sie abholen kommen.

Clubatmosphäre am Kamin

Zeit für ein spätes Frühstück mit Kaffee und Croissant. Die Bars an der Plaça Major haben ihre Tische draußen stehen, uns zieht es aber in den über hundert Jahre alten Club de Pollença und sein Café mit den altmodischen Sesselchen. Seit 1910 residiert der Kulturverein in den herrschaftlichen Räumen unterhalb der Plaza, rund tausend Mitglieder zählt er aktuell. Wir sitzen zwischen älteren, Zeitung lesenden Mallorquinern ganz nah am warmen Kamin. Im hinteren Teil des marmorgefliesten Salons sind die Tische fürs Mittagessen eingedeckt, für zehn Euro wird hier ein dreigängiges Tagesmenü inklusive Wasser und Wein serviert.

Delikatessen-Tempel

Wir ziehen ein paar Türen weiter zum Delikatessenladen Ensen­yat, eine Institution in Pollença. Vor über 50 Jahren von Pere Ense­n­yat gegründet, findet man in den Regalen eine Vielzahl eher unbekannter mallorquinischer Produkte wie Kaffeebohnen von Cafès Formentó, Mandarinenöl mit Winterbohnenkraut oder Feigenbrot mit Mandeln von Moix. Seitdem Antonio Ensenyat junior vor vier Jahren in Rente ging, führen zwei Gesellschafter aus Barcelona die Geschäfte weiter. Am Konzept hat sich seitdem nichts geändert, wer sich zu den Festtagen etwas Besonderes gönnen möchte, hat die Qual der Wahl zwischen Kusmi Tea aus Paris, Champagner wie Lanson brut Black Label und Louis Roederer Rosé, fünf Jahre abgehangenem Bellota-Schinken (der beste und teuerste kostet knapp 100 Euro/kg) und Kaviar aus Aquitanien.

Wohnungsnot in reicher Stadt Völlerei ist laut Bibel eine Todsünde, mit diesem Gedanken besuchen wir die Pfarrkirche Nostra Senyora dels Àngels, 1236 von Tempelrittern erbaut. Statt zu beten, treffen wir Pfarrer Xisco Vicens (32) in der Sakristei. Der junge Geistliche stammt aus Artà, vor eineinhalb Jahren übernahm der mit 23 Jahren zum Priesteramt Berufene die katholische Gemeinde in Pollença. „Die Anzahl der Kirchgänger ist seit fünf Jahren stabil", erklärt Xisco Vicens, für ihn sei aber nicht die Quantität der Gottesdienst­besucher entscheidend, sondern dass sie ein Motiv haben, in die Kirche zu gehen. „Jeder findet mit Glück etwas, das sein Leben ausfüllt, die Kirche ist eine Option von vielen", glaubt der Pfarrer, der nicht nur die Messe liest, an Stadtfesten und kulturellen Veranstaltungen teilnimmt, sondern auch über Facebook und Whatsapp Kontakt zur Gemeinde hält. Auf seine Weihnachtswünsche angesprochen, muss der Priester nicht lange überlegen: „Ein öffentliches Transportnetz, damit Touristen nicht mehr von Mietautos abhängig sind und die Insel dem Verkehrskollaps entgeht. Und ­Sozialgesetze, damit zukünftig jeder von Mallorcas Tourismuswirtschaft profitiert und Personal gerecht entlohnt wird." Er spricht weiter über die neue Energie-Armut, von der auch Menschen in Pollença betroffen seien, die ihre Wohnungen nicht mehr heizen könnten - wenn sie denn überhaupt eine bezahlbare Bleibe fänden. Das Fehlen von Wohnraum ist für Xisco Vicens das derzeit dringlichste Thema seiner Gemeinde. „In Zeiten von Airbnb vermieten immer mehr Hausbesitzer ihre Wohnungen den Sommer über an Touristen und lassen sie die übrigen acht Monate im Jahr leer stehen", so der Pfarrer.

Mutterseelenallein am Berg

Am Kalvarienberg, den wir an einem Freitagmittag für uns allein haben, sind die Türen der Wohnhäuser verrammelt - gut möglich, dass sich dahinter die von Xisco Vicens erwähnten leer stehenden Ferienapartments befinden. Es gibt niemanden, den man fragen könnte, nur ein paar Katzen dösen wie in einem Suchbild versteckt in Fensternischen, Blumen­kübeln und Kuhlen im Gras. Auch die Geschäfte entlang der Treppe machen Winterpause, Shoppinggelüste lassen sich jetzt nur im Dorfkern befriedigen, zum Beispiel im Da-da (C/. d´Antoni Maura) mit einem guten Angebot edler und erschwinglicher Lederschuhe. Wer ein schillerndes Silvester­outfit sucht, wird nebenan im Miss Kitsch fündig.

Krippe und Konzert

Zum Abschluss besuchen wir das Museum Can Llobera an der Placa Vella, ein mit original Möbeln ausgestattetes Wohnhaus aus dem 16. Jahrhundert (Eintritt frei). Hier liegt auch das Veranstaltungsprogramm für die Festtage aus: Es gibt Weihnachtskonzerte in der Església del Convent (21./23.12.) und eine Aufführung von Charles Dickens´ Weihnachtsgeschichte im Club de Pollença (28.12.). Die zwei Krippen in der Pfarrkirche, eine mit Figuren aus der Barockzeit, sind noch bis zum 8.1. zu besichtigen - in Verbindung mit einem Wochenmarktbesuch am Sonntag eine gute Ausflugsoption.

Am Schluss holen wir noch bei Francesc unsere Schuhe. Er händigt sie mit einem Lächeln aus. Sie sehen wieder fast wie neu aus. Und gekostet hat es auch nur fünf Euro.