Handarbeit, reine Handarbeit ist Mallorcas Unesco-Welterbe, die Serra de Tramuntana. Natürlich nicht die Gipfel und Täler, sondern die Gestaltung der Gebirgskette. Sie hat den Bergen ihren Schutzstatus als Kulturerbe eingebracht. Wegen der kilometerlangen, unverfugten Stützmauern (marges) und Trennmauern (parets seques), wegen der Befestigung von Wegen, der Wasserkanäle, der Brunnen, Schneehäuser und Wachtürme, deshalb ist die Tramuntana heute eine weltweit herausragende Kulturlandschaft.

Den Männern, die bis heute wissen, wie man Steine so aufschichtet, dass sie sich jahrhundertelang nicht vom Fleck bewegen, hat das bis heute keiner gedankt. Sie müssten eigentlich einen Unesco-Titel bekommen, die margers, die Steineaufschichter. Denn sie haben die Landschaft so gestaltet, wie wir sie heute lieben. Ihre Mauern schützen vor Erosion, lassen Regenwasser abfließen und dienen vielen Tieren und Pflanzen als Lebensraum. Trockensteinmauern sind also mehr als architektonische Mittel zur Landgestaltung.

Das sollten die Allgemeinheit und die Verwaltung endlich erkennen, finden die Handwerker. Ein erster Schritt ist getan. Lluc Mir und vier Kollegen haben eine Zunft gegründet, das Gremi de Margers. Unglaublich, dass es das bis jetzt noch nicht gab. Wie schon ihren Kollegen im Mittelalter geht es den Mauerbauern heute darum, sich gegen professionelle Unterwanderung und Pfusch zu wehren, für die Wahrung der wahren Technik zu sorgen, und um Absprachen bei Preis und Qualität: Die jahrhundertealte Technik des Trockenmauerbaus soll nicht verkommen.

Die Gefahr besteht, findet Lluc Mir, sichtbar wütend. Der 39-jährige Mauerbauer aus Palma sieht immer öfter, dass mit Zement zusammengeklatschte Mauern als alte Handwerkskunst durchgehen. „Nicht alles was Steine hat, ist eine Trockensteinmauer", sagt er, „Zement geht gar nicht." Zumindest nicht moderner Zement. Das einzige erlaubte Bindemittel ist Kalkmörtel, eine Mischung aus Kalk, Sand und Wasser, die man zum Abschluss der Oberkante einer Mauer nur dann benutzt, wenn es in der Gegend, „keine großen Steine gibt, um das zu machen". Die Mauertechnik mit Kalk und kleinen Steinen heißt „esquena d´ase", Esels­rücken - eine der offiziell zugelassenen Techniken für richtigen Trockenmauerbau.

Eine Wissenschaft steckt dahinter, das wird klar. Billige Arbeitskräfte aus Schwarzafrika haben die erst mal nicht drauf. „Wie auch", so Mir, „die Ärmsten tun, was sie können." Oft genug sieht man sie am Straßenrand stehen und Begrenzungsmauern hochziehen. Medidas de embellecimiento, Verschönerungsmaßnahmen, nennt der Inselrat diese Begrenzung der Landstraßen mit Trockenmauern: ein Touch Mallorca für die Touristen, ein Stück Zuhause für die Insulaner.

Doch für Mir sind die mit Zement verfugten Mäuerchen am Straßenrand eine Mogelpackung und zudem ein politischerWiderspruch. Einerseits fördert die Denkmalschutzbehörde alte Mauertechniken und bildet seit 30 Jahren Handwerker in der Escola de Margers aus, andererseits vergibt die Behörde für Straßenbau Aufträge an den Bewerber mit dem besten Kostenvoranschlag. Das seien immer große Baufirmen mit günstigen Angeboten, kritisiert Mir. „Die streichen die Aufträge ein und lassen die Arbeit dann billig von Immigranten erledigen", sagt Mir, „die Marge dazwischen behalten sie, klar."

Das muss sich nun ändern, finden die echten margers. „Wieso bildet der Inselrat so viele Trockenmauerbauer aus, wenn er ihnen dann keine Aufträge gibt?", fragt sich Mir. Er hat an der mallorquinischen Schule gelernt und dann zwei Jahre mit einem Meister gearbeitet. Heute ist er selbstständig, wie die meisten seiner Kollegen. Sie arbeiten fast ausschließlich für private ­Auftraggeber: „Der Verwaltung ist unsere Arbeit zu teuer."

Ein Sprecher der Behörde für Straßenbau bestreitet das gegenüber der MZ. Es gehe weniger ums Budget als vielmehr um ein formales Problem: Die Mauerbauer haben keinen offiziellen Berufstitel, der sie von anderen unterscheidet. „Wir können nicht fordern, dass ein Marger die Straßenbegrenzungen mauert, weil es den Beruf offiziell nicht gibt." Sobald sich das ändere, würde der Inselrat auf jeden Fall Profis bei der Auftragsvergabe bevorzugen. „Es gibt ein Problembewusstsein", so der Sprecher, „insofern begrüßen wir die Initiative der Handwerker."

Dabei war es ein öffentlicher Auftrag, der die Renaissance des Berufs initiierte. 1986 entstand in Sóller die ersten

Escola de Margers. Der heute denkmalgeschützte, mit großen Natursteinen gepflasterte Weg durch den

Barranc de Biniaraix sollte restauriert werden. Doch das Rathaus von Sóller musste feststellen, dass es damals nicht mehr viele gab, die diese Arbeit leisten konnten. Heute sind etwa 200 gut ausgebildete Trockensteinmauerbauer auf Mallorca aktiv.

Für Lluc Mir geht es um mehr. Er und rund 40 andere Handwerker fordern endlich eine geschützte Berufsbezeichnung. Zudem soll die Unesco die Kunst als immaterielles Erbe der Menschheit adeln. Der Antrag wurde von hiesigen Handwerkern, von der Umweltbehörde des Inselrates und von Ländern wie Griechenland, Zypern, Portugal, Frankreich, der Schweiz, Kroa­tien und Bulgarien eingereicht. Die Technik der unverfugten Mauern ist keine mallorquinische Erfindung, aber hiesige Mauern haben eine Besonderheit. Sie sind aus unregelmäßig zurechtgeschlagenen Steinen gebaut. „Das gibt den Mauern Bewegung, wirkt auf unser Gehirn stimulierend und fügt sich harmonischer in die Natur ein", sagt Mir.

Die besten Mauern sollen nun in einer inselweit erstellten Liste benannt und geschützt werden. Und die Baumeister träumen davon, an restaurierte oder neu aufgeschichtete Mauern ihr Namensschild anzubringen. Damit würden die Mauern zum Kunstwerk und sie zu Künstlern erhoben. Dieser Schutz des Alltäglichen und Regionalen liegt im Trend, besonders in Touristen­regionen wie Mallorca. „Früher waren Mauerbauer einfache Leute", erklärt Mir, „mit viel Sinn fürs Praktische." Denn eigentlich fing die ganze Mauerei nur deswegen an, weil irgendjemand die Steine aufräumen wollte, die überall auf dem Acker herumlagen.