„Ich weiß gar nicht, was ich erzählen soll", sagt Gabriel Carrió und lächelt zurückhaltend. Der 59-Jährige, den alle nur „Biel" nennen, ist einer jener Urmallorquiner, deren Familien schon seit jeher auf der Insel leben und die erst eine kleine Anlaufphase brauchen, wenn neugierige Journalisten sie aufsuchen. Nicht, dass es an Erzählstoff mangeln würde - zu berichten gibt es so einiges über den Spezialitätenladen Cas Ses Cusses, den Biels Vorfahren Ende des 19. Jahrhundert im Zentrum von Manacor im Osten von Mallorca eröffneten. „Àngela, fang du doch mal an", bittet er seine Tochter. Die 25-Jährige lächelt herzlich und plappert drauflos, bis ihr Vater von sich aus ins Gespräch einsteigt.

„Àngela hat mir damals auch den Anstoß gegeben", berichtet Biel. Damals, das heißt vor etwa einem Jahr, als die beiden zusammen entschieden, das Traditionsgeschäft der Urgroßeltern gänzlich umzukrempeln, oder besser: umzubauen. „Wir haben zusammen den Sprung in die Moderne gewagt", sagt die Tochter. „Na ja, es ist ein Mix aus Tradition und Moderne", verbessert der Vater.

Wo einst ein überschaubarer Kaffee- und Gewürzwarenladen war - früher hätte man gesagt: Kolonial­warenladen -, schließt heute eine mindestens dreimal so große Fläche an, die mit gemütlichen Tischen und Stühlen ausgestattet ist und zum Kaffee­trinken einlädt. „Hier sieht man noch, bis wo der Laden vorher ging", sagt Àngela und deutet auf den Boden. Eine Aluminiumschwelle trennt die alten terrakottafarbenen Fliesen von dem neuen Café-Bereich, der mit modernen Holzböden ausgelegt ist.

„Betriebswirte raten einem immer, man solle sich auf ein Produkt oder eine Tätigkeit fokussieren, aber das funktioniert nicht in einer Stadt, in der es viel zu wenig potenzielle Kunden gibt," sagt Biel. Deshalb erweiterte er schon vor etwa 30 Jahre, als er das Geschäft von seinem Vater Pep übernahm, das Sortiment. Ausgesuchte Olivenöle, Weine, mallorquinische Wurst- und Käsespezialitäten, Marmeladen, Salze und Gebäck ergänzen seitdem die hochwertigen Kaffee- und Teesorten sowie die vielen Gewürze, die in großen Glasgefäßen ausgestellt sind. Kurz gesagt: Delikatessen, die es so in herkömmlichen Supermärkten nicht zu kaufen gibt.

Seit dem Umbau führen Biel und Àngela jetzt auch die gemütliche Cafetería. „Es war der letzte Versuch. Sonst hätten wir vermutlich schließen müssen", sagt der Vater. Die Tochter wollte eigentlich als Übersetzerin in Barcelona arbeiten. Doch während ihres Studiums verliebte sie sich in einen Mallorquiner, kehrte zurück und fragte ihren Vater, ob sie einsteigen könne ins Familiengeschäft.

„Mir war klar, dass wir von dem Laden allein nicht leben können, erst recht nicht zu zweit", erinnert Biel sich. Die Wirtschaftskrise hatte das Geschäft zwar überstanden, „aber nur, weil das Lokal uns gehört und wir weder Miete noch Gehalt für Angestellte zahlen mussten." Nicht nur die kleinen Geldbeutel vieler manacorins, sondern auch der generelle Wandel der Zeit machten ihm in seinen 30 Jahren als Einzelhändler zu schaffen. „Als ich klein war, gab es noch 25 Läden dieser Art in der Stadt, mittlerweile sind es nur noch drei. Ohne die historische

Verbundenheit hätten ich schon lange aufgegeben", sagt Biel.

Es war seine Urgroßmutter Margalida Caldentey, die den Laden zu dem machte, was er trotz der vielen Neuerungen auch heute noch ist. „Sie war eine starke Frau, ihrer Zeit voraus und setzte von Anfang an auf Qualitätskaffee und Gewürze." Mit dem Moped sei sein Vater damals noch nach Palma gefahren, um die Ware von Übersee am Hafen abzuholen. Noch immer sind die Spuren der Vergangenheit allgegenwärtig: Im Café-Bereich bilden alte rustikale Möbel einen stilvollen Kontrast zu moderner Deko. „Die meisten sind von meiner Oma und meiner Tante", erzählt Àngela. Besonders sticht aber der Kassenbereich hervor. „Ich glaube, wir haben das einzige Geschäft auf Mallorca, in dem noch in Unzen gerechnet wird", sagt Biel und schmunzelt nun schon viel befreiter.

Als eine ältere Mallorquinerin den Laden betritt und Tee zum Mitnehmen bestellt, demonstriert Àngela, wie die alte Waage ihrer Vorfahren noch immer zum Einsatz kommt: Auf eine der messingfarbenen Waagschalen legt sie die Kräutermischung, auf die andere die Unzengewichte. „Eine Unze sind 33 Gramm", erklärt Biel. „Die Stammkunden wissen das schon." Und die Touristen? „Die sind ganz begeistert und fotografieren immer alles. Ich überlege schon, Geld dafür zu nehmen", sagt Biel und lacht gelöst.

„Jeden Tag einen neuen Kunden hinzuzugewinnen", das ist sein Ziel. Neukunden, das bedeutet vor allem Urlauber. „Touristen kommen erst seit gut drei Jahren vermehrt ins Zentrum von Manacor", so Biel. Auf Unterstützung vom Rathaus in puncto Touristenwerbung warte er zwar vergebens, doch seit der Erweiterung scheint sein Plan aufzugehen. Das schmucke Café zieht Besucher an. „Und viele Urlauber suchen ja gerade das Typische, und die meisten unserer Produkte stammen von Mallorca", fügt

Àngela hinzu.

Ganz einfach sei sie nicht, die Zusammenarbeit von Vater und Tochter, geben die beiden zu. „Wir geraten öfter aneinander. Aber abends vertragen wir uns jedes Mal wieder", sagt Biel. Als ein Mann den Laden betritt, blitzen seine Augen. „Da haben wir den Neukunden des Tages. Und er ist sogar Mallorquiner."

Ca Ses Cusses, Ecke C/. Jaime Domenge mit C/. Capellà Pere Llull, Manacor. Öffnungszeiten: Mo.-Sa. von 9-13 und von 17-20 Uhr.