Ginge man einfach der Nase nach, wären die blühenden Orangenbäume auch im Dunklen auszumachen. Doch es ist früh am Morgen auf dem Lehrpfad „Ecovinyassa".

Joan Puigserver ist in Eile. Bevor die Besucher eintreffen, muss er den Nachschub für die reifen Orangen mit der Schubkarre zur Grundstücksgrenze transportieren. Denn dort legen die Gäste eine Rast ein auf dem Rundgang durch das 18.000 qm große Gelände mit rund 1.000 Bäumen. Und verkosten die hauseigene und für Sóller typische Canoneta-Orange. Während des Transports zeigt der Mallorquiner auf diejenigen unter den Orangenbäumen, die jetzt - Mitte April - in voller Blüte stehen.

Auf dem Boden sind engmaschige Netze ausgelegt, auf sie fallen die Blütenblätter nach der Befruchtung. „Wir sammeln sie einmal pro Woche ein und trocknen sie im Schatten", erklärt er. Die flor de taronges, wie man Orangenblüten auf Mallorca nennt, werden von alters her als beruhigende Tees verabreicht. Man kann sie am Eingang der Plantage kaufen.

Noch versteckt sich die Sonne hinter den Tausendergipfeln der Serra de Tramuntana. Solange es noch kühl ist, duften die im Spanischen flor de azahar genannten Orangenblüten noch verhalten. Einige der Bäume sind über und über mit den Blüten besetzt: Mit ovalen Knospen, offenen Blüten aber auch winzigen Stängeln mit am Ende runden Formen, die schon an unreife Zitrusfrüchte erinnern.

Etwas später, als die ersten Besucher die Wege entlangschlendern und die Tafeln auf dem Lehrpfad lesen, kommt die Sonne über die Gipfel. Ihre Wärme aktiviert die ätherischen Öle, und die Blüten verströmen einen Duft, den man in etwa so definieren könnte: süß, aber etwas frischer und leichter als der Rosenduft. Zudem erinnert er etwas an den des Jasmins, jedoch ohne dessen schwere, exotische Note.

Kurz nach den ersten Sonnenstrahlen treffen die Bienen ein. 90 Prozent aller Orangenblüten werden von ihnen bestäubt. Nicht auf Insekten angewiesen sind die sogenannten Selbstbestäuber, meist Hybriden, wie beispielsweise die kernlosen Clementinen. Ihre Blüten sind rein weiß, bei denjenigen, die bestäubt werden, sitzen auf den Samenständen bräunliche Pollen.

Auf der Plantage in Sóller wachsen viele alte Sorten. Joan Puigserver und seine Frau Sebastiana Massanet (58) haben das Anwesen vor neun Jahren geerbt. Das Ehepaar stellte die Plantage auf ökologische Bewirtschaftung um und öffnete 2013 als Ruhestands-Projekt den Garten für Besucher. So kommt es, dass die meisten der Orangenbäume viele Jahre auf dem Buckel haben. Alte Sorten wurden auf Unterlagen von Bitterorange veredelt. Die Blüten sind Zwitter und besitzen weibliche Fruchtknoten und männliche Samen.

Die Architektur der Blüte ist raffiniert. Fünf Blütenblätter schützen den Innenraum, in dem die sexuelle Vermehrung stattfindet. Ganz zuunterst am Blütenboden befindet sich ein Nektar produzierendes Gewebe­polster, das die Bienen anlockt. Diese schlürfen die süße Flüssigkeit, verarbeiten sie zuerst im Magen und danach, wenn es Honigbienen sind, im Bienenstock zu Honig. Gedacht ist der Vorrat für schlechte Zeiten, doch muss er häufig mit den Imkern geteilt werden. Honig, der ausschließlich von blühenden Orangenbäumen gesammelt wurde, ist am Eingang der Plantage zu kaufen.

Bevor eine Biene beim Nektar ankommt, muss sie sich an den mit Pollen besetzten Samenstängeln vorbeizwängen. Dabei bleiben Mikrosamen am Haarkleid hängen. Wenn die Biene dann bei der nächsten Blüte Nektar schlürft, bleiben Pollen an der klebrigen Narbe hängen und gelangen durch einen rohrähnlichen Stiel in das Innere des Fruchtknotens. Hier vereinen sich die männliche Samen mit weiblichen Fruchtknoten und es findet eine Zellvermehrung statt.

Der Pollen dient auch dazu, den Nachwuchs und die Arbeiterinnen zu ernähren. Denn nach der Ankunft im Bienenstock bürstet das Insekt sich das Haarkleid ab, und die Samen werden zum sogenannten Bienenbrot.

Auf den Wegen durch die Plantage fällt auf, dass die Äste der Zitronenbäume schwer an ihrer Last tragen und nach unten hängen. „Wir haben dieses Jahr schon zwei Tonnen Zitronen geerntet", sagt der Plantagenbesitzer. Viele Früchte bleiben mehrere Monate am Baum hängen. Zwischen ihnen sitzen die Blüten, die an den Außenseiten purpurfarben, nach dem Öffnen jedoch rein weiß sind. Die Blüte fällt spärlicher aus, dauert aber länger an als die der Orangenbäume.

Aus Orangenblüten kann das Neroliöl destilliert werden, Neben­produkt ist auch das Orangen­blütenwasser, es kommt in der Konditorei - etwa im Roscón de Reyes, dem Hefekranz zum Dreikönigstag - sowie in der Aromatherapie zum Einsatz. Doch auf der Plantage in Sóller pflückt man die Blüten nicht, denn schon bald nach den Bienenbesuchen bilden sich winzige Orangen- und Zitronen­embryos. Bis zum kommenden Winter werden sie zu großen, süßen und saftigen Früchten heranwachsen.

Ecovinyasssa, Sóller: Mo., Mi., Fr. 10-14 Uhr (Reservierung erforderlich), Eintritt: 12 Euro, Kinder (vier bis zwölf Jahre): 6 Euro, Pa amb Oli und Orangensaft eingeschlossen. www.ecovinyassa.com/de