Wenn ein Bonsai als Geschenk ins Haus kommt, bleibt das manchmal nicht ohne Folgen. Denn wenn der Beschenkte derart fasziniert ist, dass er damit beginnt, sich mit der japanischen Kunst rund um die kleinen Bäume zu beschäftigen, ist es häufig um ihn geschehen. Dann kann es passieren, dass er sich nicht nur mit Hingabe dem einen Gewächs widmet, sondern zum leidenschaftlichen Sammler wird.

Eine Fundgrube für Bonsai-Liebhaber auf Mallorca bietet Rafael Torres (36) in seiner Gärtnerei in Palmas Gewerbegebiet Son Castelló. Vor dem Lärm draußen schützen hohe Mauern, und wenn man den Garten mit 500 Exemplaren Bonsais betritt, meint man, in einer anderen Welt zu sein.

Zunächst waren die winzigen Bäume für Torres ein Hobby. In die Lehre ging er bei dem mallorquinischen Meister Àngel Mota. Danach folgten Kurse in Japan und bei Meistern, die dort gelernt hatten und auf der Insel Kurse gaben. Seine damalige Arbeit in einem Möbelgeschäft war mit viel Stress verbunden, Grund genug also, um sich vor acht Jahren für die Langsamkeit zu entscheiden und sich hauptberuflich den kleinen Bäumen zu widmen.

Vor vier Jahren zog der Experte mit seiner Partnerin Deyessa Sánchez in das ländlich wirkende Anwesen im Gewerbegebiet. Das Paar baute nach und nach die auf Bonsai spezialisierte Gärtnerei auf und nannte die Firma Bonsaisense, wobei „sense" auf das englische Wort für Gefühl oder Sinn zurückgeht. Nach der Firmengründung begannen die beiden, all das zusammenzutragen, was ein Bonsai-Künstler für sein Hobby braucht und diese Utensilien in mehreren Räumen auszustellen. Denn außer Gefühl, Zeit und Geduld benötigen Bonsai-Fans auch eine Reihe von Spezialwerkzeugen, die man - ebenso wie die Bonsais - bei Torres und Sánchez auch online bestellen kann.

Das Know-how vermittelt Torres regelmäßig in Kursen. ­Insgesamt 50 Schüler kommen freitags und samstags zum Unterricht. Man arbeitet in Kleingruppen mit vier Teilnehmern, die nach Können zusammengestellt werden. Die gestalterische Arbeit am lebenden Objekt findet an einem Bonsai statt, den man geschenkt bekam und der pflegebedürftig wurde. Wer selbst keinen besitzt, arbeitet an einem der 500 Bonsais, die das Unternehmen ausstellt.

Am häufigsten vertreten sind Olivenbäume, die durch ihre knorrigen Stämme beeindrucken, aber auch Feigenbäume, die blühen und Früchte tragen sowie mehrere Exemplare des Fächerahorns, der jetzt im Frühjahr mit roten Blättern neu austreibt. Beliebt für die Bonsaitechnik ist auch der Kriechende Wacholder.

Alle Exemplare verfügen über das „Carnet Fitosanitario" des Landwirtschaftsministeriums der Balearen, ein in Zeiten der Xylella unverzichtbarer Gesundheitsnachweis für Pflanzen. Ausgeführt werden dürfen die Bonsais jedoch derzeit noch nicht.

So wichtig wie die Bäumchen sind die Schalen, in denen sie wurzeln. Denn „Bon" bedeutet im Japanischen Pflanze und „Sai" Schale. Diese Schalen bietet das Paar in vielen Größen und Farbvarianten an. Japanische Keramiker haben sie eigens für diesen Zweck hergestellt. In den Schalen­böden sind große Aussparungen für den Wasserabfluss vorgesehen, das verhindert Staunässe. Farbige Glasuren überziehen die Außenseiten, innen ist der Ton naturbelassen und nicht glasiert, damit die Wurzeln atmen können. Nur Pflanzen, die Blüten bilden und Früchte tragen, dürfen - so schreibt es die Bonsai-Lehre vor - in farbige Schalen gepflanzt werden. Wichtiges Zubehör ist außerdem Draht, der in Kunststoff gehüllt und in verschiedenen Stärken zu haben ist. Den braucht man, wenn der Bonsai-Künstler seinem Stück das Aussehen eines alten Baumes verleihen will. Dieser Prozess kann zwischen sieben und zehn Jahre lang dauern. In dieser Zeit wird der Minibaum mehrere Monate pro Jahr so „verdrahtet", dass sich seine Äste sanft nach unten biegen. Die Drähte dürfen dabei niemals Spuren in der Rinde

hinterlassen.

Alle zwei Jahre muss die Erde in den Schalen erneuert werden. Torres bietet seinen Kunden Spezialerde wie Akadama, Pomice oder

Kiryu. Die Flüssigdünger aus dem Angebot der Gärtnerei reichern die Substrate regelmäßig mit Nährstoffen an.

Auch die aus Japan und China stammenden Spezial­scheren gibt es bei Bonsaisense. Sie werden benötigt, um die Wurzeln nach dem Umtopfen zu stutzen und die Äste zu formen.

Mit Wissen und Werkzeug ausgestattet, kann der Bonsai-Liebhaber die Formen seiner Bäumchen - über die er vor Arbeitsbeginn lange nachdenkt - verwirklichen. Da gibt es zum Beispiel Kaskaden oder Aststrukturen, die aussehen, als ob sie der Sturm auf die Seite gepeitscht hätte. Manchmal wird auch ein wie ein Fels wirkender Stein oder Totholz eingearbeitet. Und bei einigen Baumarten empfiehlt sich Symmetrie.

Bonsais wollen im Freien stehen, die Jahreszeiten erleben, Blätter abwerfen und neu austreiben und - wenn es zu ihrer Art gehört - auch Blüten und Früchte bilden. Mit Zimmerpflanzen haben sie nichts gemein. Bei guter Pflege überleben die Gewächse ihre Besitzer und werden uralt, in Japan vererbt man sie der nächsten Generation.

Doch damit ein biblisches Alter erreicht werden kann, muss auch die Kinderstube der Bonsais stimmen. Zurzeit legen Torres und Sánchez neben der mit Palmen gesäumten Auffahrt in Son Castelló auf einer ebenen Fläche ein Beet an. Sie wollen hier Bonsais einheimischer Arten nach japanischem Vorbild auspflanzen. Die Winzlinge erreichen so schneller die gewünschte Größe. Aber nicht nur das: Aprikose, Quitte oder Kirsche vertragen später in den Schalen das Insel­klima besser als die japanischen Verwandten.

www.bonsaisense.com