Miguel Miquel Pons war 25 Jahre alt, als er sich 1941 dazu entschied, für Hitler in den Krieg zu ziehen. Nicht, weil seine Familie in Binissalem auf Mallorca zuvor besonders unter den Auswirkungen des Bürgerkriegs und den Republikanern gelitten hätte, und auch nicht, weil er von staatlicher Seite dazu gedrängt wurde. „Es war wohl sein Onkel Onofre, der ihm sein fundamentalistisches und antiliberales Gedankengut vermittelte", vermutet Miguels Sohn Julio heute, fast 80 Jahre später, im Gespräch mit Buchautor Rafel Cifre. Ausschlaggebend gewesen sei letztlich eine unglückliche Ehe und der damit verbundene Wunsch, herauszukommen. Raus aus Spanien, raus aus dem zermürbenden Alltag. „Vermutlich wog die Ideologie weniger als der Drang, sich in ein Abenteuer zu stürzen." Ein Abenteuer, das Miguel Miquel wie rund 45.000 andere Spanier an die Front nach Russland führte - als Teil der sogenannten División Azul an der Seite der Wehrmacht.

Schon immer hat sich Rafel Cifre (38) für diese dunkle Etappe der spanischen Geschichte interessiert. Für jenen Einsatz, der Männer aus dem eigentlich vom Weltkrieg verschonten Spanien in die erste Schuss­linie brachte. Der Mallorquiner aus Sineu hat Geschichte studiert, liest gern, informiert sich. Auch zahlreiche Bücher über die von Franco entsandte spanische Hilfstruppe, die Deutschland im Russland­feldzug unterstützen sollte, gehörten zu seinen Lektüren. Darin erfuhr er, dass es zwischen 1941 und 1943 drei Rekrutierungswellen gab, dass Franco die División Azul ins Leben rief, um sich bei seinem Verbündeten Hitler einzuschmeicheln und ihm für seine Hilfe im Kampf gegen die Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg zu danken. „Es gibt zahlreiche Bücher darüber, auch mit Balearen-Bezug. Aber sie behandeln immer den militärischen Kontext", so Rafel Cifre. Doch was ihn interessiert, sind die Menschen, ihre Beweggründe und Erfahrungen. „Wer zieht in einen Kampf, der nicht der eigene ist", fragte er sich - und fand darauf in der Literatur kaum Antworten.

Also begann Cifre, der hauptberuflich in einer Fabrik arbeitet, vor vier Jahren damit, in seiner Freizeit in Archiven auf dem Festland und auf der Insel zu recherchieren. Dann machte er sich auf die Suche nach Zeitzeugen, führte Interviews mit Angehörigen der Veteranen, die mittlerweile fast alle verstorben sind. Es sei schwer gewesen, die Angehörigen ausfindig zu machen, nicht aber, sie zum Reden zu bewegen. Heute hält Cifre stolz sein Buch „División" in der Hand. Auf 240 Seiten wird das beschrieben, was bisher kaum Erwähnung fand: Wer waren die Männer vor dem Feldzug? Wie erging es ihnen in Russland? Und wie danach?

16 Fallbeispiele einst junger Inselbewohner beschreibt Cifre detailliert, lässt Schilderungen von Angehörigen genauso einfließen wie Erkenntnisse aus den Archiven. Ohne Wertung, rein analytisch. „Man merkt schnell, wie unterschiedlich die Männer und ihre Hintergründe waren. Es waren Maurer, Bauern oder Studenten", so Cifre. „Sie kamen aus allen

Dörfern der Insel."

Der junge Miguel Miquel aus Binissalem hatte als Feldwebel im Bürgerkrieg bereits Kampferfahrung gesammelt und schrieb sich 1941 in Valladolid für den Russlandeinsatz ein. „Auf den Balearen war das in der ersten Rekrutierungswelle noch nicht möglich", so Cifre. Franco zog es zunächst vor, dass die jungen Männer auf den Inseln bleiben, um dort mögliche Invasionen abzuwehren - und Freiwillige für die División Azul gab es damals ohnehin genug: Man war kriegserfahren, viele sahen die Schuld für die Leiden im Bürgerkrieg beim Kommunismus und somit den Russen, der Andrang bei den Einschreibungen war groß.

Wer nicht wie Miguel Miquel aus Ideologie oder Abenteuerlust handelte, den zog das Geld an. „Die Soldaten wurden vom deutschen und vom spanischen Heer entlohnt, das war anfangs viel Geld", so Cifre. Andere wiederum hätten sich gemeldet, weil sie Probleme mit der spanischen Justiz gehabt hätten und ihr Ansehen aufpolieren wollten. Wieder andere seien gezwungen worden. Anfangs weniger als zum Schluss. „1941 dachte man noch, der Vormarsch der Deutschen werde rasant weitergehen - was bekanntlich ein Irrtum war, wie man schnell auch in

Spanien mitbekam."

Auch Miguel Miquel machte diese Erfahrung. Zunächst bekamen er und andere Spanier in Grafenwöhr (Bayern) einen zweiwöchigen Schnellkurs, Uniformen und Waffen. „Die Spanier wurden von den Deutschen oft belächelt, weil sie ihnen häufig unrasiert und wenig diszipliniert erschienen", so Cifre. Auch deshalb schickte Hitler sie nicht gen Moskau, sondern als 250. Division der Wehrmacht in eine kleinere Stadt südlich von Leningrad. Miguel Miquel und seine Kameraden sollten mit dem Zug dorthin gebracht werden. „Aber in Polen ging es nicht weiter, die Gleise waren zerstört. Also mussten sie 900 Kilometer zu Fuß zurücklegen", fasst Cifre die Schilderungen von Miguels Sohn Julio in seinem Buch zusammen. Vor Ort machten den Soldaten im Winter vor allem die eisigen Minusgrade, im Sommer die Mücken und stets der Hunger zu schaffen. Der Kontakt mit der Zivilbevölkerung dagegen sei meist positiv gewesen. Miguel habe mitbekommen, wie die Spanier Lebensmittel und nicht selten auch das Bett mit den Einheimischen teilten. Als ein Freund aus Mallorca in Miguels Armen starb, verging ihm die Abenteuerlust. Am 3. Juli 1942 wurde er zurück in die Heimat geschickt - Platz für neue Rekruten.

Sein Glück. Beim schlimmsten Rückschlag, den die Spanier erlitten, war er längst wieder zu Hause. 1.125 Soldaten der División Azul starben bei der Schlacht von Krasny Bor im Februar 1943, noch mehr wurden verletzt. „Von den 700 Männern, die von den Balearen aus nach Russland gingen, kamen in all den Jahren etwa zehn Prozent ums Leben", so Cifre. Zahlreiche kehrten lebend, aber verkrüppelt zurück. Auf Mallorca würdigte vor allem die Gemeinde Santa Eugènia die Veteranen: Sie alle wurden zu Ehrenbürgern ernannt.

Auch Miguel Miquel erhoffte sich mit seinem Status als ehemaliger Kämpfer gegen den Kommunismus Vorteile. Als die kleine Schuhfabrik seines Vaters nach seiner Rückkehr nach Mallorca bankrott ging, versuchte er einen leitenden Beamten davon zu überzeugen, das Unternehmen zu unterstützen - schließlich hatte er, Miguel, sich für das Vaterland eingesetzt. Doch den Beamten ließ das kalt.

Im Oktober 1943 löste Franco die División Azul auf. „Die Wendung im Krieg zeichnete sich ab, und er wollte es sich nicht mehr mit den Alliierten verscherzen", so Cifre. Die Rückkehrer versuchten, sich wieder an das Leben in Spanien zu gewöhnen. „Einigen gelang das problemlos, andere waren traumatisiert." Miguel Miquel zog letztlich nach Ma­drid, traf dort seine Jugendliebe wieder und heiratete sie in Frankreich - seine erste Frau hatte ihn nach seiner Rückkehr verlassen. „Er führte fortan ein normales Leben", beschreibt Sohn Julio, der wenig später geboren wurde. Nur manchmal habe sein Vater Panikanfälle bekommen. „Dann merkte man, dass es ihm eigentlich nicht

gut ging."

Rafael Cifres Buch „División" ist auf Spanisch verfasst und kann für 20 Euro per E-Mail bestellt werden: librodivision@hotmail.com