1.012 Kilometer Luftlinie sind es vom Kloster Lluc auf Mallorca bis zur Kathedrale von Santiago de Compostela, der Pilgerstätte, die bereits seit dem Mittelalter Gläubige aus ganz Europa anzieht. Ganz schön weit - aber nicht zu weit, um einen neuen Pilgerweg zu gründen. Seit die geistlichen Entscheidungsträger in Santiago Anfang September ihr Einverständnis gegeben haben, darf sich Lluc offiziell als Kilometer Null eines neuen Jakobswegs bezeichnen.

Obwohl neu natürlich relativ ist. Immerhin legte Mallorcas bekanntester Philosoph und Theologe Ramon Llull den Weg schon Anfang des 14. Jahrhunderts zurück. Und auch in der Gegenwart gibt es immer wieder Pilger, die sich von der Insel aus auf den Weg nach Galicien machen. Die Mitglieder der „Associació d'Amics del Camí de Santiago Mallorca" zum Beispiel. Mehrmals im Jahr starten sie von der Insel aufs spanische Festland, um dort, geschmückt mit der symbolträchtigen Jakobsmuschel, die Pilgerschaft aufzunehmen. Meist ist der Vorsitzende der Vereinigung, Pfarrer Jaume Alemany, mit dabei. Vier bis fünf Mal jährlich, seit 25 Jahren. „Aber natürlich legen wir nicht die komplette Strecke zurück, sondern nur Teilstücke", sagt er.

Er war sofort begeistert von der Anregung der Mitglieder des Rotary Clubs, Lluc offiziell als einen von mittlerweile vielen Dutzend offiziellen Ausgangspunkten für den Jakobsweg anzumelden - immerhin könnten so noch mehr Menschen auf Mallorca für das Pilgern begeistert werden. „Wir haben jahrelang an dem Antrag gearbeitet", so Rotary-Sprecher Armando Pomar. Denn die Mühlen in Santiago mahlen langsam. Mehr als Überzeugungskraft habe es vor allem bürokratischen Aufwand gebraucht, die Verantwortlichen der galicischen Kathedrale dazu zu bringen, am 9. September feierlich den Meilenstein des Kilometers Null in Lluc einzuweihen.

Er steht bereits auf dem Klosterhof, ein kleiner Sockel mit Muschelplakette. Die in blau-gelb gehaltenen Wegweiser mit dem Muschelsymbol, die auf allen offiziellen Jakobswegen in Europa zu finden sind, gibt es auf Mallorca noch nicht. „Aber wir sind in Kontakt mit dem Inselrat. Zum 1. Mai 2019 wird alles stehen", so Jaume Alemany.

Zwei verschiedene Routen sollen die Pilger von Lluc bis zu Palmas Plaça d'Espanya führen: eine über Orient, Bunyola, Son Sardina und das Kloster Monasterio de la Real und eine andere möglicherweise über Selva, Caimari, Mancor, Lloseta, Binissalem, Consell und Santa Maria. Dann geht es von Palmas Hafen aus mit dem Schiff weiter aufs spanische Festland. Hier stehen den Pilgern vier Routen offen: eine neue ab Dénia (Alicante), eine ab Valencia, eine ab Tarragona (Katalonien) und eine ab Barcelona. Alle sind zwischen etwa 800 und 1300 Wegkilometer lang.

„Die Wege, die von Dénia und Valencia aus starten, sind wenig begangen und daher etwas abenteuerlicher", bewertet Wanderbuchautorin Cordula Rabe auf MZ-Anfrage. Dort gebe es auf weiten Strecken kaum eine Pilgerherberge - und entsprechend auch weniger Möglichkeiten, spontan eine günstige Unterkunft zu bekommen, wenn die Kräfte schwinden. „Das kann für Anfänger nachteilig sein." Wobei es auch immer häufiger Genusspilgerer gebe, die kurze Tagesstrecken zurücklegen und sich dann in Hotels einquartieren. Die nördlichen Routen ab Tarragona und Barcelona seien stärker von Pilgern frequentiert und verfügten entsprechend über bessere Infrastruktur, allerdings sei der Schwierigkeitsgrad wegen des Geländes höher.

Rabe rät zu einer guten Vorbereitung: „Am besten schon vorab mit Gewicht oder Gepäck Tageswanderungen machen", empfiehlt sie. Auch überschätzen sollte sich niemand. Geübte Pilger schafften zwar 30 bis 35 Kilometer am Tag, Anfänger sollten aber je nach Kondition mit 15 oder 20 Kilometern vorlieb nehmen - auch, wenn man von Spaniens Ostküste bis Santiago so Monate braucht. „Die Leute tendieren immer mehr dazu, nur Teilstücke zu machen. Im darauffolgenden Jahr beginnen sie dann, wo sie zuvor aufgehört haben."

Das sei auch vollkommen in Ordnung, findet Jaume Alemany. Er empfiehlt das Pilgern jedem. „Es macht uns menschlicher. Und dabei ist es übrigens ganz egal, wo es hingeht", findet er. Denn beim Wandern komme man an seine Grenzen, spüre seinen Körper und die Natur, lerne, mit wenig Gepäck zu reisen. „Eigentlich ist Pilgern die beste Metapher fürs Leben. Es gibt gute und schlechte Phasen, gutes und schlechtes Klima, es geht bergauf und bergab", so Alemany. Gläubig müsse man dafür nicht sein. Nur bereit für die Erfahrung. „Alle können das schaffen", ist er sich sicher.