Wenn Jaume Salvà seinen Arbeitstag beginnt, morgens, mit den ersten Sonnenstrahlen, dann ist er meist allein auf dem kleinen Steinbruch bei S?Horta im Südosten von Mallorca. Überhaupt kommt nur selten jemand vorbei. Höchstens ein Lkw-Fahrer, um die riesigen Steinblöcke zu verladen, die Salvà mühsam aus dem Fels herauslöst. Wobei - eigentlich sind es mittlerweile ja die Maschinen, die für ihn arbeiten. Eine ratternde Spezialsäge fräst sich durch den hellen Stein auf dem Untergrund, Salvà kontrolliert, dass alles gradlinig verläuft. Eine weitere Kraft einzustellen, das wäre überflüssig.

Salvà ist einer von mittlerweile nur noch rund 80 Menschen, die direkt vom Geschäft mit dem marès (deutsch: Kalksandstein) leben. Und vielleicht einer der letzten, der den traditionsreichen Beruf noch erlernt hat. „15, 20 Jahre noch, mehr Zukunft sehe ich für das Gewerbe nicht", sagt Miquel Salvà, und Bitterkeit schwingt in seiner Stimme mit. Er ist Jaumes älterer Bruder, mit seinen 65 Jahren eigentlich schon im Ruhestand, aber dennoch oft am Standort des Familienbetriebs in Llucmajor aktiv. Es war sein Vater und Namensvetter, der die Firma Salvà Llull CB 1965 gründete. Damals war marès noch ein gängiges Baumaterial und Beton auf Mallorca erst langsam im Aufkommen. „Die Kathedrale, das Castell Bellver, Palmas Stadtmauer, der Almudaina-Palast, alle diese alten Gebäude sind aus marès gebaut. Das zeigt doch schon, wie haltbar das Material ist", sagt er. Und auch Wohnhäuser habe man früher oft mit dem hübschen Kalksandstein gebaut. Wobei marès nicht gleich marès, und manche Arten eher Sandstein als Kalkstein seien, so Salvà, der die Fachbegriffe auch auf Deutsch kennt. Sandstein komme in großen Teilen der Insel vor. Der spezielle Kalkstein, den die Firma Salvà Llull CB abbaut, den gebe es aber nur um Santanyí. „Deshalb auch der Name pedra de Santanyí. Die genauen Unterschiede zu erklären, ist eine Wissenschaft für sich."

Eine Wissenschaft, der sich seine Tochter Catalina seit Jahren widmet. Die 33-Jährige forscht für ihre Doktorarbeit rund um den hellen Stein, der heute meist nur noch für kleinere bauliche Elemente genutzt wird. Die typisch mallorquinischen, etwas bauchigen Geländer und Ballustraden beispielsweise, oder Verzierungen an den Fassaden der Häuser. „Dabei kann man marès auch gut für den Hausbau verwenden, zumindest, wenn der Architekt sich mit dem Material auskennt", so die Doktorandin, die auch ein Architekten­büro in Llucmajor und Barcelona betreibt.

Dass der Beton dem marès vor einigen Jahrzehnten den Rang ablief, habe damit zu tun, dass er schneller mischbar ist und ­universeller zu verarbeiten. „Aber wenn man marès sinnvoll einsetzt, ist es ein sehr dankbares Material und kann auch optisch punkten." Und dann ist da natürlich die Nachhaltigkeit: Marès kommt von der Insel, ist zu 100 Prozent von hier. „So, wie man den Stein hier auf den Balearen vorfindet, gibt es ihn sonst nirgendwo. Nur auf anderen Mittelmeerinseln wie Sizilien oder Malta finden sich ähnliche Arten", erklärt Catalina Salvà.

Sie ist nicht als einzige von dem Material begeistert. Auch die deutsche Architektin Angelika Hermichen aus Felanitx gerät ins Schwärmen, wenn sie über Vorzeigehäuser wie die des dänischen Star-Architekten Jørn Utzon bei Porto Petro spricht, der vorwiegend marès verwendet. „Es ist eine helle Freude zu sehen, wie er den Stein einsetzt." Leider sei die Nachfrage ihrer Kunden nach marès gering. „Viele Deutsche können sich nichts darunter vorstellen oder halten es für altmodisch. Und es gibt leider auch viele schlecht verarbeitete Beispiele." Solche, in denen der Stein mit der Zeit porös sowie schäbig und die Wände feucht geworden sind. Zudem seien die Kosten des Kalksandsteins höher als die von Putz oder Beton. „Aber es ist traurig, denn man kann mit dem Stein auch modern und durchaus robust bauen", so Hermichen.

Doch es ist nicht die geringe Nachfrage, die ausschlaggebend für die Misere der Steinhauer ist - und auch an Ressourcen mangelt es nicht. Immerhin besteht den Forschungen von Catalina Salvà zufolge rund ein Drittel der mallorquinischen Küste aus marès, und auch im Inselinneren sind die Vorkommen verbreitet. „Die Extrakte alter Muschelschalen und Skelette von Meerestieren bildeten vor etwa 14 Millionen Jahren natürlichen Zement", so Salvà. Dass von rund 1.200 marès-Steinbrüchen, die es im Laufe der Jahrhunderte auf Mallorca gegeben habe, heute nur noch 24 übrig sind, habe eine andere Ursache: „Das Problem ist, dass die Gesetzeslage es fast unmöglich macht, neue Steinbrüche zu eröffnen", so Catalina Salvà. Seit 1999 ein neuer Flächennutzungsplan für Steinbrüche auf den Balearen in Kraft trat, seien die Auflagen enorm verschärft worden. Ein Minenordnungs-Gesetz aus dem Jahr 2014 habe sein Übriges getan.

„25 Jahre arbeiten wir schon an diesem Steinbruch hier", sagt Jaume Salvà und zeigt auf das rund 1.200 Quadratmeter große Terrain, in dem er Tag für Tag Stein abträgt und das noch vor der Gesetzesänderung 1999 als cantera freigegeben wurde. Etwa 15 weitere Jahre sei hier noch etwas zu holen, dann müssten neue Standorte her. In der Praxis aussichtslos. „Wir schütten die Kuhle nachher rechtmäßig zu und die Natur kann wieder wuchern", so der 56-Jährige, der sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen mag, dass er zur letzten Generation der marès-Steinhauer gehören mag. Schon jetzt grünt und blüht es an den Stellen des Terrains, die nicht mehr genutzt werden. Die Natur holt sich schnell zurück, was ihr ­gehört. „Selbst Vögel und Kaninchen fühlen sich hier schon wieder wohl." Jaumes Bruder Miquel stimmt zu. „So schlecht für die Umwelt, wie man gern sagt, ist unsere Arbeit nicht."

Die wissenschaftlichen Untersuchungen seiner Tochter stützen diese These. Verstärkter Kalksandstein-Abbau sei der Umwelt auf der Insel durchaus zuzumuten, und der Eingriff in die Natur nicht mit dem vom Abbau anderer Materialien wie beispielsweise Kies oder Tonerde zu vergleichen. „Das Gesetz differenziert da aber nicht", kritisiert Catalina Salvà. In ihren wissenschaftlichen Ausführungen gibt sie konkrete Anregungen. So könne man die alten Steinbrüche nutzen, um Führungen anzubieten oder öffentliche Gärten und Freilichttheater anzulegen. Auf Menorca sei das verbreitet. „Die marès-Steinbrüche und das gesamte Handwerk sind schützenswert, denn sie sind ein Teil unserer Kultur und unserer Identität", so ihr Resümee.

Ob die wissenschaftliche Untermauerung ihrer Argumente ein mögliches nahendes Ende des marès-Abbaus abwenden kann, ist unklar. Im zuständigen balearischen Industrieministerium weist eine Sprecherin auf MZ-Anfrage den Vorwurf zurück, den Steinhauern durch zu strenge Auflagen Steine in den Weg zu legen oder den Berufszweig gar aussterben zu lassen. „Das Minengesetz regelt lediglich, dass die Aktivitäten der Steinbruch-Inhaber auch mit dem Umweltschutz auf der Insel vereinbar sein müssen."