Dieser Artikel ist erstmals im November 2018 erschienen.

Pere Salas empfängt in seinem Büro in der Stadtbibliothek von Pollença. Der Gemeinde­historiker und Dozent an der Balearen-Universität forscht derzeit zur Geschichte der Hygiene. Im Februar leitete er die jährliche Historikerwoche von Pollença, die dieses Jahr dem Thema Tod und Bestattungen gewidmet war. Anlässlich von Allerheiligen haben wir uns mit ihm zusammengesetzt, um über den Umgang mit dem Tod auf der Insel zu sprechen.

Herr Salas, seit wann gibt es Belege für Begräbnisrituale auf der Insel?

Seit es hier Menschen gibt: der prätalayotischen Zeit um 2000 v. Chr. Damals waren das natürlich ganz andere Rituale. Aber man weiß zum Beispiel, dass auch damals Blumen eine Rolle gespielt haben, weil an den Grabstellen Reste von Blütenstaub gefunden wurden, die zu konzentriert waren, um Zufall zu sein.

Wo begrub man die Menschen damals?

In der vorrömischen Zeit wurden die Leichname in Höhlen aufgebahrt. Diese Höhlen waren entweder natürlich oder künstlich angelegt und befanden sich nicht weit von den Siedlungen der Menschen. Hier bei uns in der Gemeinde Pollença hat man in den 80er-Jahren in der Höhle Can Martorellet ein intaktes Grab aus der Bronzezeit gefunden. Dort sah man beispielsweise, dass Frauen und Männer zusammen beerdigt wurden, dass es keine Hinweise auf verschiedene gesellschaftliche Stände gab. Die Archäologen fanden Tonkrüge, in denen sich Gaben für das Jenseits fanden. Kleine Metallstücke waren dabei, aber auch Gegenstände, die nicht aus Mallorca stammen wie Knöpfe, was auf einen Außenhandel in jener Zeit schließen lässt. Generell kann man davon ausgehen, dass es ein sehr enges Verhältnis zwischen den Lebenden und den Toten gab.

Was hat sich mit der römischen Besatzung geändert?

Bei den Römern gab es erstmals Hygienevorschriften. So wurden die Toten außerhalb der Siedlungen am Wegesrand begraben. Damit hatte man sie in der Nähe. Jeder, der ins Dorf wollte oder es verließ, kam an den verstorbenen Vorfahren vorbei. Später hoben die Christen diese Trennung wieder auf. Die Toten wurden ins Dorf geholt. Man begrub sie je nach finanziellen Möglichkeiten in der Kirche selbst oder in deren Nähe.

Neben der christlichen Kultur gab es in der Geschichte der Insel auch andere Einflüsse, wie der muslimische und der jüdische. Was ist uns von ihren Begräbniszeremonien geblieben?

Über die Zeit der Mauren auf der Insel wissen wir sehr wenig. Aber es sind Gräber aus dieser Zeit erhalten, und zwar sowohl nach islamischem Ritus - also rechtsseitig Richtung Mekka ausgerichtet - als auch nach christlichem Zeremoniell. Daraus können wir schließen, dass auch unter den Mauren die nicht-islamische Bestattung erlaubt war. Nach der Eroberung durch die Christen wurde das muslimische Rituell verboten. Das jüdische Begräbnis hat man zunächst respektiert. Die Verfolgung der Juden begann Ende des 14. Jahrhunderts.

Das 19. Jahrhundert stellte dann einen Einschnitt dar. Inwiefern?

Im 19. Jahrhundert machte die Medizin große Fortschritte.Man verstand die Verbreitung von Krankheiten besser und versuchte, sie zu verhindern. Zu den Maßnahmen gehörte, dass die Friedhöfe außerhalb der Ortschaften angelegt wurden. Das war eine europaweite Entwicklung, aber Mallorca war ein Vorreiter. Auf dem Festland dauerte es bis in die 1850er-Jahre, bis die Friedhöfe verlegt waren. Auf der Insel gab es schon 1823 keinen Friedhof mehr innerhalb einer Ortschaft.

Wie kam es zu dieser Vorreiterrolle?

Da gibt es verschiedene Aspekte. Zum einen lag es sicherlich daran - und das möchte ich als Historiker betonen -, dass Mallorca schon immer eine sehr offene Gesellschaft war. Zum anderen hatte Mallorca zu jener Zeit sehr gute, außerhalb der Insel ausgebildete Ärzte, die stets auf dem neuesten Stand waren. Der wichtigste Faktor aber war die Pest in Son Servera im Jahr 1820. Es war der erste Ausbruch der Pest in über hundert Jahren, und er forderte im Osten der Insel viele Menschenleben. Das hat die Menschen aufgeweckt. Die betroffenen Dörfer - neben Son Servera vor allem Capdepera und Artà - standen unter Quarantäne. Und man setzte strengere Hygienevorschriften durch. Diese Vorschriften waren schon 20 Jahre zuvor von der Zentralregierung in Madrid erlassen worden. Aber es hatte sich bis dahin eigentlich kaum jemand darum geschert. Die Verlegung der Friedhöfe gehörte dazu, es war eine Revolution.

Inwiefern?

Die Kirche hatte nicht mehr die absolute Autorität über den Tod. Natürlich hatte sie Einfluss, keine Frage. Auch an den Friedhöfen gab es Priester. Und schon damals wurde mit dem Tod viel Geld verdient. Aber die Regeln, wie ein Friedhof auszusehen hatte und wo er steht, die gaben nun Mediziner vor.

Das hat die Kirche hingenommen?

Oh nein, sie hat sich natürlich gewehrt. Schließlich ging es da um viel Geld. Und in Auseinandersetzungen um Begräbnisse hatte die Kirche Erfahrung: Hier in Pollença zum Beispiel hatte bis Ende des 16. Jahrhunderts der Malteserorden die Hoheit über die Beerdigungen. Als die Dominikaner das Kloster bauten, gab es plötzlich innerkirchliche Konkurrenz. Das führte zu einer heftigen Auseinandersetzung, der König und der Papst wurden eingeschaltet, es gab Tote. Und es führte dazu, dass Beerdigte wieder ausgegraben wurden, weil irgendwer belegen konnte, dass es im Sinne des Verstorbenen war, ihn nicht an dem Ort zu begraben, wo er lag. Aber zurück zum 19. Jahrhundert: Die Kirche hat sich selbstverständlich gewehrt. Aber sie kann den Lauf der Zeit nicht aufhalten.

Manche Kulturen versuchen, die Körper der Toten etwa durch Mumifizierung zu wahren. Hat man das auf Mallorca auch gemacht?

Nein. Hier hatte man eher Angst davor. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden bei Bauarbeiten in der Kirche von Pollença die Leichen zweier Mädchen gefunden, die komplett erhalten waren. Das gab einen großen Aufruhr.

Auch der Körper der Heiligen Catalina Tomás ist erhalten. Er liegt im Kloster Santa Magdalena in Palma.

Das ist etwas anderes. Sie ist eine Heilige, kein normaler Mensch. Dass der Körper erhalten ist, war Zufall, nicht weil irgendjemand etwas dafür getan hätte. Der Glaube ist, dass Gott diesen Körper erhalten wollte.

In Deutschland ist die Seebestattung akzeptiert. Auf Mallorca, mit so viel Meer rund um, scheint es das nicht zu geben.

Nein, das gibt es hier nicht.

Stattdessen werden hier die Särge auf den Friedhöfen häufig in Betonschächte geschoben. Seit wann ist das so?

Das gibt es schon, seitdem die Friedhöfe außerhalb der Stadt gebaut wurden. Zunächst waren es erst Familiengräber für die, die es sich leisten können. Die anderen wurden ohne Sarg in der Erde verscharrt. Die Regel war, dass man seinen Toten begrub und das Grab für den Nächsten ausgrub. Das mit den Vertiefungen in der Wand hatte auch hygienische Gründe: Dort mussten die Toten in einem Sarg bestattet werden, die Vertiefung konnte verschlossen werden. Auch die Individualisierung, die im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewann, spielte eine Rolle. Man kann die einzelnen Gräber besser beschriften. Früher schrieb man allerhöchstens den Namen der Familie auf das Grab.

Der Umgang mit dem Tod auf Mallorca kommt einem aus deutscher Perspektive manchmal etwas merkwürdig vor: Da gibt es eine Totenwache, und die Trauernden erscheinen teilweise in kurzer Hose und Flipflops. War das schon immer so?

Nein. Und es kommt nicht nur den Deutschen merkwürdig vor. Auch ich wundere mich manchmal. Ich würde nie in kurzer Hose zu einer Totenwache gehen. Aber ich ziehe mich auch nicht anders an, wenn ich zur Arbeit gehe. Es ist ein Symptom für die Säkularisierung der Gesellschaft, die in den 60er-Jahren Fahrt aufnahm. Früher gingen erst die nahen Verwandten und Freunde zum Haus des Verstorbenen, danach der erweiterte Kreis in die Kirche. Die Beerdigung fand dann wieder im kleinen Kreis statt. Die schrittweise Einführung der Totenwache im tanatori, der Leichenhalle, ab Ende der 90er-Jahre auch in den Dörfern, hat den Menschen die Möglichkeit gegeben, die Kirche auszulassen.

Wenn jemand stirbt, sagt man heute zu den Angehörigen: „T'acompanyo en el sentiment" (Ich begleite dich in dem Gefühl). Gibt es auch noch andere Beileidsformeln?

Als ich klein war, sagte man noch: Que el vegem en el cel (Mögen wir ihn im Himmel wiedersehen). Das sagte man vor allem in der Kirche so. Bis heute sitzen bei Trauergottesdiensten die Männer vom Altar aus gesehen links auf den Bänken, die Frauen rechts. Früher gingen die Männer an den männlichen Familienmitgliedern vorbei und sagten jedem diesen Spruch, die Frauen bei den Frauen. Heute geht man erst an den Frauen, dann an den Männern vorbei. Dass sich der Satz geändert hat, dass man den Himmel nicht mehr erwähnt, auch das hat sicherlich mit der Säkularisierung zu tun.