Ein Mann mit Lederweste schiebt einen Schubkarren, neben ihm bereiten Frauen mit Schürzen und Kopftuch an einem im Sand stehenden Tisch Essen vor. Eine andere Frau wäscht auf dem Boden kniend Kleidungsstücke per Hand, im Hintergrund übergibt ein anlandender Fischer ein Netz. Nur ein paar Meter weiter entfernt reisen die Heiligen Drei Könige auf einem Boot an, während die Sonne zwischen den Felsen hinter dem Meereshorizont untergeht. Eigentlich dürften einige auf Mallorca aufgebaute Krippen nicht nur den Namen „Krippen" tragen, sondern müssten „Krippenlandschaften" heißen: Die Leidenschaft vieler Bewohner von Mallorca für die belenes ist so groß, dass sie in der Vorweihnachtszeit Tischtennisplatten oder zusammengeschobene Werkbänke bebauen und dann Verwandte und Freunde zum Bewundern ihrer Werke einladen. Auch in Klöstern, Kirchen und Rathäusern auf der Insel gibt es große Aufbauten zu bestaunen. Das nachempfundene Szenario zeigt längst nicht nur die Heilige Familie und die Hirten, sondern auch Alltagsszenen aus dem Leben traditioneller mallorquinischer Berufsgruppen, Traditionen sowie typische Landstriche der Insel, etwa der Sierra de Tramuntana oder der Küsten.

Hebräisch oder volkstümlich

„Es gibt hierzulande zwei Arten von Krippen: die klassischen hebräischen, in der die Figuren und die Landschaft im historischen Kontext von Bethlehem gezeigt werden, und die volkstümlichen, die Figuren in traditioneller Kleidung in mallorquinischen Landstrichen und vor im Miniaturstil nachempfundenen Gebäuden der Insel darstellen", erklärt Margalida Bover. Die 64-Jährige ist die Vorsitzende der Betlemistes, des mallorquinischen Vereins für Krippenbauer, einer von über 70 spanienweiten Vereinigungen.

Mit viel Hingabe und Liebe zum Detail gestaltet sie zusammen mit ihren 27 Vereinskollegen Jahr für Jahr Landschaften, die an verschiedenen Orten der Insel besichtigt werden können. Dieses Jahr sind es 18 Krippen. Die Hälfte von ihnen ist oder wird noch an bekannten Orten in Palma wie dem Kulturzentrum La Misericòrdia, dem Rathaus, dem Markt in Santa Catalina oder dem Palau del Consell aufgebaut, andere stehen in kleineren Orten wie Cala Ratjada oder Sóller. Schon lange vor Weihnachten treffen sich die Betlemistes, zeigen sich neue Techniken zum Figuren- und Landschaftsbau oder nehmen an nationalen oder internationalen Kongressen von Krippenbauern teil, um die dortigen Traditionen kennenzulernen. „Im Juni entscheiden wir, wer sich im aktuellen Jahr mit welcher Krippe beschäftigen wird, ob und wie wir einen der aufwendigen Entwürfe aus dem Vorjahr ein zweites Mal verwenden können. Ende Oktober beginnen wir dann schon mit dem Aufbauen", erzählt Bover.

Das größte Projekt der Krippenfans ist auch in diesem Jahr die 40 Quadratmeter große Miniatur-Landschaft im Kulturzentrum La Misericòrdia in Palma, in der seit Montag (3.12.) über 500 Figuren ausgestellt sind. Zehn Tage lang haben Bover und vier Kolleginnen den überdimensionalen belén aufgebaut. Bis 2003 stand die Riesen-Krippe sieben Jahre lang bei Bover und ihrer Familie zu Hause. „Von Jahr zu Jahr sind immer mehr Leute zu uns nach Hause gekommen, um sie anzuschauen, bis der Inselrat uns vorgeschlagen hat, sie im Kulturzentrum aufzubauen", so die ehemalige Beamtin der Balearenregierung, die ihre Begeisterung für Krippen von ihrem Vater geerbt hat. „Ich identifiziere mich eher mit den volkstümlichen Krippen, da ich von Mallorca stamme. Aber auch die hebräischen finde ich sehr ansprechend, vor allem wenn deren Figuren von bekannten Künstlern wie Ángela Trippe oder Montserrat Ridef stammen." Die Figuren kosten allerdings 30 Euro pro Stück. Zu teuer für die Krippe im Kulturzentrum Misericòrdia.

Bover weiß nur von zwei Ständen auf den Weihnachtsmärkten der Insel, an denen neben den hebräischen Figuren auch welche mit mallorquinischer traditioneller Kleidung verkauft werden. Daher stellt sie seit einigen Jahren selbst welche aus Ton her. So kann sie auch auf individuelle Wünsche der Besucher der Riesen-Krippe im Kulturzentrum La Misericòrdia eingehen. In einem Briefkasten können sie Zettel mit Anregungen zu den Figuren, die sie sich für das kommende Jahr wünschen, hinterlassen. In diesem Jahr sind auf Wunsch einige Kinder dabei, die traditionelle Spiele wie Sackhüpfen spielen.

Das Scheißerchen

Auch den Caganer, ein „Scheißerchen", das irgendwo in der Landschaft seine Notdurft verrichtet, haben sich Besucher für dieses Jahr gewünscht. Er ist auf Mallorca im Vergleich zu anderen Regionen Spaniens aber keine traditionelle Figur. In der Misericòrdia-Krippe kann man in diesem Jahr einen Landwirt finden, der auf einer Toilette sitzt. Wie jedes Jahr ist auch der für Mallorca traditionelle Fraile dabei, eine Mönchsfigur, die sich unter die anderen Figuren mischt.

Besucht werden können aktuell (Stand: 6.12.) schon folgende Krippen des Vereins: Rathaus (Plaça del Cort, Palma), Palau del Consell (Carrer de Palau Reial, 1, Palma), Kulturzentrum La Misericòrdia (Plaça de l'hospital, 4, Palma), Biel Crespi (Sala d'actes de l'Ajuntament, Consell), Plaça de ses Verdures (Plaça de la Constitució, Manacor). Die Krippe im Mercat de Santa Catalina (Plaça Navegació, Palma) befindet sich noch im Aufbau.