Andreas Wiehl war acht Jahre alt, als die Orange ihn zum ersten Mal nachhaltig beeindruckte. Damals, im Familienauto mit fünf Geschwistern und den Eltern auf dem Weg vom hessischen Marburg in Richtung Mallorca. „Wir sind zu der Zeit immer mit dem Auto gefahren, bei uns war nichts mit Fliegen", erinnert sich Wiehl. Es muss irgendwo auf dem spanischen Festland gewesen sein - wo genau, das kann er heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, natürlich nicht mehr so genau sagen. „Auf jeden Fall tat sich da dieser Orangenhain vor den Autofenstern auf. Wie ein Urbild der Orange. Oder zumindest ist das in meiner kindlichen Erinnerung so hängen geblieben", sagt er. Wenn er sein verschmitztes Lächeln aufsetzt, kann man ihn sich leicht als den kleinen Jungen von damals vorstellen. Und tatsächlich: Noch immer bestimmt die Orange das Leben des Künstlers mit. Jetzt hat sie ihm sogar den Weg in die Herzen der Urmallorquiner geebnet.

Andreas Wiehl war in seinem Leben schon zu oft auf Mallorca, um es noch beziffern zu können. Seine Mutter hatte bereits in seiner Kindheit ein Ferienhaus in Cala Ratjada. Und auch er selbst ist seit Jahren Besitzer eines netten Stadthäuschens in Capdepera. Immer, wenn er kann, ist er mit Frau und Sohn dort, nimmt sich eine Auszeit vom trubeligen München, wo er seit seiner Studienzeit wohnt.

Auch die Zahl der Orangen, die er in seinem Leben bereits geschält hat, kann er nicht nennen. Hunderte, das ist sicher. Tausende ist wahrscheinlicher. Schon im Jahr 2005, damals in München, setzte Wiehl die Zitrusfrüchte in einer Ausstellung beeindruckend in Szene: hängend, aufgespießt oder liegend ergaben Aberhunderte Orangenschalen ein raumfüllendes plastisches Gesamtbild . „Das war toll, der Raum hat die Farbe Orange gelebt", sagt Wiehl und zeigt die Fotos auf seinem Tablet-Computer.

Jetzt will er auch in Capdepera eine Rauminstallation schaffen. Verbündete dafür hat er in den Gemeinde-Archivaren Gori Rexach und Maria Massanet gefunden, die ihn nicht nur bereitwillig in den Räumlichkeiten des Centre Melis Cursach ausstellen lassen, sondern ihn auch in der Vorbereitung unterstützen. Denn wer sich zum Ziel setzt, 2.000 Orangen zu schälen, der tut gut daran, helfende Hände an seiner Seite zu haben.

Ende Oktober luden Wiehl und Rexach die Einwohner Capdeperas zum Orangenschälen ins Archiv. „Das ist eine ungeheuer gesellige Tätigkeit", versichert Wiehl. Und tatsächlich kamen sie, die Dorfbewohner, die sonst mit Auswärtigen eher wenig am Hut haben. Mit kleinen Schaubildchen, die er auf Mallorquinisch hatte übersetzen lassen, zeigte er den freiwilligen Helfern, worauf sie beim Schälen achten müssen („am besten sternförmig, und auf jeden Fall an einem Stück"). Seine Frau unterstützte ihn, sein Sohn presste den Saft aus, und er selbst machte sich an die Feinarbeiten. Nach drei Stunden Schälen hatte der enthusias­tische Deutsche nicht nur 300 Orangenschalen mehr für seine Installation, sondern auch einen Platz im Herzen der Einheimischen.

Auch als er der MZ einige der Präparate präsentiert, ist die Begeisterung zu spüren, mit der er seine bereits getrockneten Schalen vorführt. „Man kann mich für verrückt halten, aber ich finde, dass die Farbe Orange fasziniert und eine Heiterkeit ausstrahlt, wie es keine andere Farbe vermag", sagt Wiehl. Zum Pressetermin ist er mit orangefarbenem Hemd und einer Fliege aus dem ortstypischen Palmgeflecht espart erschienen.

Ganz fremd ist Wiehl, der in München als Künstler und Kunstlehrer arbeitet, in der Kunstszene im Inselosten nicht. 2014 machte er bereits mit seiner Ausstellung „100 Köpfe" im Centre Melis Cursach auf sich aufmerksam. Zudem pflegt er den Kontakt zu hiesigen Künstlern. Eigentlich sei es nur ein logischer Schritt, sich auch auf Mallorca eine Orangen-Ausstellung zu erschälen. Immerhin haben die verschiedenen Sorten hier zusammengenommen fast ganzjährig Saison. „Orangen sind sehr mallorquinisch, es passt perfekt", sagt Andreas Wiehl. „Und letztlich werden die Leute, die mir beim Schälen geholfen haben, durch ihre Unterstützung zu einem Teil des Kunstwerks sein."

Wer Andreas Wiehl bei seinem Projekt unterstützen möchte, kann selbst Orangenschalen (wahlweise auch die von Mandarinen, Clementinen oder Pomelos) sternförmig und an einem Stück ablösen und dem Künstler zukommen lassen. Kontakt: awiehl@web.de , Betreff: Orange. Die Ausstellungseröffnung ist für den 7. Juni 2019 geplant.