Noch heute braucht es Kletterausrüstung, wasserfeste Kleidung und etwas Geschick, um in die Höhle Cova de Na Barxa hinabzusteigen. Immerhin - eine befestigte Straße führt vom Ort Font de Sa Cala bei Capdepera fast bis zu dem Loch im Fels, das es für Höhlenabenteurer hinabzusteigen gilt. Dorothea Bate konnte auf solch bequeme Infrastruktur nicht zählen, als sie im Jahr 1909 von Großbritannien in den Nordosten Mallorcas reiste, zielstrebig und auf der Suche nach Fossilien. Und sie wäre wohl die Letzte gewesen, die erwartet hätte, dass ihr mehr als 100 Jahre später eine Büste in Capdepera und ein Ehrenjahr des Inselrats gewidmet werden würden. Denn zu Lebzeiten waren es nicht nur die Steine und das Gestrüpp, die ihren Weg erschwerten, sondern auch das damals herrschende Rollenbild. Bate war anders als andere Frauen ihrer Zeit. Statt zu heiraten und Kinder zu kriegen, widmete sie sich den Naturwissenschaften. Unter anderem auf Mallorca.

Wertgeschätzt wird das erst jetzt. Entscheidend dazu beigetragen hat Karolyn Shindler. Die britische Autorin stieß 1998 im Londoner Natural History Museum auf Funde von Dorothea Bate und stellte überrascht fest, dass sie trotz ihrer vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Entdeckungen in keiner Enzyklopädie Erwähnung fand. 2005 veröffentlichte Shindler die Biografie „Discovering Dorothea" und legte so den Grundstein dafür, dass auch Mallorca von der Paläontologin erfuhr.

Bate kam 1878 als Tochter eines Polizeioffiziers in Wales zur Welt. Ihre ältere Schwester war klug, angepasst, adrett. Dorotheas jüngerer Bruder entpuppte sich als gradliniger Mustersohn. Dorothea dagegen sei wohl still und introvertiert gewesen, vermutet Karolyn Shindler. Ihre in jahrelangen Recherchen entstandene Biografie ist gespickt mit Wörtern wie „möglicherweise" und „wahrscheinlich". Denn viel ist über Dorothea Bates Privatleben nicht bekannt. Zwar existiert noch ein Tagebuch, das sie mit Mitte 20 führte. Viele andere persönliche Dokumente aber fielen einem Wohnungsbrand zum Opfer. Bate scheint sich jedenfalls schon als Kind für Natur und Tiere interessiert und erste Streifzüge durch Waliser Höhlen unternommen zu haben. Ihre naturwissenschaftliche Bildung sei „nur kurz durch die Schule unterbrochen" worden, soll die Autodidaktin später einmal gesagt haben.

Trotzdem muss es für ihre Eltern nicht leicht gewesen sein, als sie mit 19 Jahren statt auf Bräutigamschau auf Jobsuche im Natural History Museum ging - und als erste Frau überhaupt einen Vertrag als freie Mitarbeiterin aushandeln konnte. Ein Festgehalt wollte man ihr nicht zahlen. Eine im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen geringe Entlohnung sollte es nur geben, wenn Bate tatsächlich lieferte. Sprich: Fossilien aufspürte und andere relevante Entdeckungen machte.

Auf eigene Kosten reiste Bate daraufhin zunächst nach Zypern, wo Bekannte der Familie wohnten. Ihr 18-monatiger Aufenthalt zahlte sich aus: Sie fand zahlreiche Fossilien, darunter auch große und gut erhaltene Exemplare, wie etwa das versteinerte Skelett eines Zwergnilpferds. Angespornt von ihrem Erfolg folgten weitere teils durch Stipendien finanzierte Expeditionen.

Als Bate 1909 auf Mallorca ankam, hatte man sie bereits vorgewarnt: Die Insel sei ein wenig einladender Ort und ungeeignet für alleinreisende Damen. Mittlerweile unterstützten die Eltern ihren Forschergeist, bestanden aber darauf, dass Bate eine weibliche Begleitung mit auf Reisen nahm. „Sie war zu Fuß oder mit dem Maultier unterwegs, schlief in Hütten und Baracken voller Flöhe, hangelte sich an abgelegenen Klippen entlang, schlammbespritzt, aber nie ohne ihre Sammeltaschen, ihre Netze, Insektenboxen, Hammer und später auch Dynamit", schildert Shindler in ihrem Buch. Zwei Kapitel sind darin den Mallorca-Reisen von Bates gewidmet.

Hinweise von Insulanern führten Bate schließlich zur Na-Barxa-Höhle bei Font de Sa Cala. Dort machte sie eine außerordentliche Entdeckung: Bate legte ein Skelett der Ur-Ziege Myotragus balearicus frei, einer seit rund 5.000 Jahren ausgestorbenen und auf Mallorca und Menorca heimischen Spezies. Bis dato wusste niemand von ihrer Existenz, erst nach Bates Entdeckung wurde sie zum Gegenstand zahlreicher Forschungen über die Fauna vor der großen Eiszeit.

Doch nicht immer lief alles wie geplant. Vermutlich während eines zweiten Mallorca-Besuchs wenige Jahre später traf Bate auf einen britischen Vize-Konsul, der auf der Insel stationiert war. Er konfrontierte sie einmal mehr damit, dass ihre Weiblichkeit ihr zum Nachteil reichte: Statt ihr auf Augenhöhe zu begegnen, belästigte der Staatsdiener die junge Frau sexuell. Einschüchtern ließ sich Bate dadurch nicht. Sie erteilte ihm eine klare Absage. „Ich hasse alte Männer, die versuchen, mit einem zu schlafen, obwohl es ihnen ihr offizieller Posten verbittet", soll sie gesagt haben.

Im Laufe ihrer gut 50-jährigen Forscher-karriere zog es Bate auch nach Kreta, Korsika, Sardinien und Malta - Inseln waren ihr Stecken­pferd. Als eine der Ersten stellte sie die Theorie zu den heute bekannten evolutionsbiologischen Phänomenen der „Verzwergung" und des „Gigantismus" auf: Während große Tiere auf Inseln ohne menschliches Eingreifen im Laufe der Jahrtausende kleiner werden, werden kleine Beutetiere größer als ihre Artgenossen auf dem Festland.

Rund 60 wissenschaftliche Texte veröffentlichte Bate im Laufe ihres Lebens, reiste unter anderem auch nach China, Ägypten, Palästina, Syrien und in den Sudan. Trotzdem sollte es bis 1948 dauern, dass sie, fast 70-jährig, erstmals einen Festvertrag bekam, diesmal in einer Außenstelle des National Natural History Museum. Drei Jahre später starb Bate an einem Herzinfarkt. Ihre Asche liegt auf einem Londoner Friedhof.

2005, kurz nach dem Erscheinen der Biografie, sorgten die Verantwortlichen des Natural History Museum in London dafür, dass ein Bild von Bate in die Galerie bedeutender Forscher der Einrichtung aufgenommen wurde. Auf Bildschirmen im Museum können sich die Besucher heute über die Paläontologin informieren. Und auch im Oxford Dictionary of National Biography ist nun ein Eintrag über Bate zu finden. Verfasst - wie könnte es anders sein - von Karolyn Shindler.