In den ersten Monaten des Jahres hat Bel Colom besonders viel zu tun. Die 35-Jährige ist eine der wenigen - und sicherlich eine der jüngsten -, die mallorquinische Trachten nähen und verkaufen. Im Mai, wenn in Sóller beim Volksfest „Es Firó" die Schlacht der Christen gegen die Mauren nachgestellt wird, hüllt sich der ganze Ort in die einst auf ganz Mallorca getragene traditionelle Kleidung. Auch beim Weinfest in Binissalem und bei der „Beata" in Santa Margalida setzt man noch heute auf die Kleidung. Und weil Colom nur auf Maß anfertigt und ganz auf sich allein gestellt ist, kann sie in den Monaten vor der großen Sause in Sóller ganz schön ins Schwitzen kommen.

„Ich würde es nicht machen, wenn ich es nicht lieben würde", sagt sie. „Aber mich begeistert die Geschichte, und so fühle ich mich mit meinen Vorfahren verbunden." Tatsächlich besaßen ihre Ahnen einst eine der sechs Stofffabriken, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch in Sóller angesiedelt waren. Noch immer hat Colom daher originale Stoffe aus den vergangenen Jahrhunderten in ihrem Fundus - und sogar originale Kleidungsstücke. „Dieser Rock hier gehörte meiner Urgroßmutter. Originaltracht", sagt sie und hält einen robusten Baumwollrock in die Höhe.

Vestit de pagès mallorqui nennt sich die Tracht heute in der Landessprache, Bauernkleidung also. „Es schließt aber auch die Kleidung der Reichen und Adligen ein. Der Schnitt ist ohnehin derselbe, allein die Art und Qualität der Stoffe unterscheiden sich", so Colom. Sowohl die senyoras als auch die pagesas trugen eine eng anliegende, robuste Bluse, den gipó. Die Ärmel gingen bis knapp über die Ellbogen, und waren mit kariertem Innenfutter, dem farro, ausgestattet. „An der Brust und an den Ärmeln waren prächtige Knöpfe angebracht. Je nach Wohlstand der Frau konnten es echte Diamanten sein, die von Ringen oder Ketten abgetrennt und angenäht wurden", so Colom. Auf dem Kopf trugen die Frauen das rebosillo, ein Tuch, das unter dem Kinn zusammengebunden wurde, und nur ein paar Zentimeter des Haaransatzes zeigte. „Sowohl die Adligen als auch die Bäuerinnen trugen ihr Haar meist zurückgebunden, sodass es kaum zu sehen war."

Wer lange Ärmel wollte, legte sich manegots zu. „Sie wurden einfach an die Ärmel der Bluse geknotet. So konnten sie leicht zum Waschen abgenommen werden. Denn die Bäuerinnen hatten in der Regel nur ein einziges Outfit, das sie täglich trugen", sagt Colom. Das macht sich auch bei den Röcken bemerkbar, die stets auf Taillenhöhe anfingen und bis knapp über dem Boden reichten. „Die wohlhabenden Frauen hatten meist aufwendig bestickte Stoffe und wechselten die Farben je nach Anlass. Die Ärmeren dagegen behielten ihren Rock über Jahre hinweg auch sonntags an und nähten einfach Stücke dazu, wenn er ihnen zu klein wurde." Befestigt wurden die Verlängerungen durch die typisch mallorquinische Nähart copinyat. Nicht immer war das auf den ersten Blick sichtbar. „Viele Arbeiterinnen trugen zumindest tagsüber eine Schürze (devantal) über dem Rockansatz, der große Teile des Stoffes verdeckte."

„Bei der Landbevölkerung ging es nicht darum, dass die Kleidung schön aussah, sondern, dass sie praktisch war", so Colom weiter. Auch die Hygienevorstellungen unterschieden sich damals stark von den heutigen. „In den langen Pluderunterhosen, die die Frauen auf der Haut trugen, war ein Loch. So konnten sie Wasser lassen, ohne alle Schichten auszuziehen. Abgetupft haben sie sich dann mit dem Unterrock, und der wurde bei Weitem nicht jeden Tag gewaschen."

Die Herrentracht ist schnell erklärt: Ein Hemd (camisa), das der heutigen Herrenmode ähnelt, darüber die Weste (guardapits) und untenherum eine bauchige Pluderhose (calçons amb bufes), deren Bund knapp unter den Knien zusammengebunden wurde und die Waden frei ließ.

Ihr Wissen über die Kleidung ihrer Ahnen hat Colom, die eigentlich studierte Regisseurin ist, vor allem einer älteren Frau zu verdanken, die sie vor knapp acht Jahren in Sóller kennenlernte. „Sie nähte selbst und hat mir viel gezeigt." Ihre eigenen Eltern dagegen hätten kaum etwas mit den Trachten am Hut. „Ihre Generation hat sich in ihrer Jugend nicht sonderlich für diese Traditionen interessiert, wohingegen die meine und die noch Jüngeren voll auf die Trachten abfahren."

Weil Colom alles möglichst haargenau so anfertigen möchte, wie es früher ausgesehen hat, müsste sie eigentlich allein für ihre Arbeitszeit 800 Euro berechnen, wenn sie eine komplette Frauentracht anfertigt. Zusammen mit dem Stoff sei das natürlich viel Geld. „Deshalb nehme ich weniger, aber leben kann ich davon nicht", so Colom. Während der Urlaubersaison arbeitet sie an einer Hotelrezeption. „Ich verkaufe aber auch einzelne Kleidungsstücke. Jedes Mal freue ich mich, wenn jemand zu mir kommt, anstatt eine billige Verkleidung im Karnevalsshop zu kaufen. Denn die Trachten sind keine Verkleidung, sie sind unsere Geschichte."

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