Hinter dem Hauptparkplatz der Balearen-Universität steht, versteckt hinter hohen Büschen, ein kleines Haus. In einem schlecht klimatisierten Nebenraum sind dort ein paar Dutzend Pappkartons aufgestapelt. Àlex Valenzuela schnappt sich hier jeden Morgen eine Kiste und geht damit in ein Büro. Er nimmt eine Plastiktüte heraus, leert sie auf einem Tisch und fängt an, die Knochen zu betrachten.

Bis Oktober hat der 35-Jährige noch Zeit, dann muss er an die 20.000 ganze Knochen und Fragmente untersucht haben, die bei verschiedenen Ausgrabungen in den vergangenen 15 Jahren in Palma de Mallorca gefunden wurden. Das schreiben die Regeln des mit 6.000 Euros dotierten Forschungspreises der Stadt Palma vor. Valenzuela hat ihn im Januar bekommen. Sein Projekt: „La gestió de recursos animals en la Palma medieval" ( Tierhaltung im mittelalterlichen Palma).

Unterschiede zwischen den Stadtteilen?

Valenzuela will herausfinden, welche Tiere man in der Stadt hielt und wozu. Was aßen die Menschen? Was war Nutzvieh? Und gab es im Mittelalter schon Haustiere? Da der Archäologe auf Funde aus verschiedenen Ausgrabungen zurückgreifen kann, will er zudem ermitteln, inwieweit sich reiche und ärmere Stadtteile bei der Tierhaltung unterschieden. So beherbergt die Sammlung, mit der Valenzuela arbeitet, unter anderem Knochen aus dem alten Herrenhaus Ca'n Oleo, dem heutigen Sitz des Kulturministeriums, sowie dem ehemaligen Handwerkerviertel Sa Gerreria.

Es ist nicht das erste Mal, dass Valenzuela die Tiergeschichte der Balearen untersucht. Bereits in seiner Doktorarbeit hatte er erforscht, wie durch die Römer eingeführte Tierarten sich auf die einheimische Fauna ausgewirkt haben. Das jetzige Projekt ist gewissermaßen die Fortsetzung davon.

Langer Weg zur Expertise

Wenn Valenzuela den Mittelfußknochen eines Schafes in der Hand hat, weiß er es. „Früher musste ich das immer nachschauen und mit bestehenden Knochenkollektionen vergleichen." Um so weit zu kommen, hat er im Rahmen seiner Promotion in England Kurse in vergleichender Anatomie und Laborarbeit belegt. „Am Anfang hielt ich es für unmöglich, einen Knochen sofort zu identifizieren."

Valenzuela nimmt das Fragment des Schulterblatts einer Ziege in die Hand und führt mit dem Finger an einer Linie entlang. „Das hier ist eindeutig ein Schnitt. Die Linie ist gerade und sauber." Nur der Einsatz eines Messers könne das erklären, sagt Valenzuela. Das Tier sei vermutlich zerlegt worden. Zum Vergleich zeigt er eine andere Stelle desselben Stücks. „Hier ist die Kante uneben, das zeigt, dass der Knochen an dieser Stelle abgebrochen ist."

Schnittspuren am Schädel

Bei der Interpretation der Einschnitte in den Knochen müsse man stets hinterfragen, welche Funktion diese Eingriffe gehabt haben könnten: „Entdecken wir etwa bei einem Katzenschädel Schnittspuren, heißt das nicht, dass Katzen gegessen wurden, sondern dass da das Fell abgezogen wurde."

Dass es schon damals viele Katzen in Palma gab, gehört zu den ersten Erkenntnisse der Studie. Weitere: Im Mittelalter hielten sich die Menschen vor allem Schafe und Ziegen. Schweine waren hingegen noch nicht so verbreitet wie heute. Dafür fand man bei den Ausgrabungen im Herrenhaus von Ca'n Oleo unter anderem Knochen von Hirschen und Falken. Àlex Valenzuela will seine Ergebnisse kommendes Jahr veröffentlichen.