Wussten Sie, dass die mallorquinische Ensaïmada in den 20er- und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Barcelona so begehrt war, dass es Wasserflugzeuge gab, die die Schmalzschnecken frühmorgens in Palma einluden und wenige Stunden später bereits in der katalanischen Metropole an die Großstädter verkauften? Solche Anekdoten, aber auch die Geschichte der mallorquinischen Ensaïmada, hat Tomàs Vibot in seinem neuesten Werk „L'ensaïmada. L'espiral de plaer" (Die Ensaïmada. Die Spirale der Freude) zusammengetragen. Der 45-jährige Sohn eines Mallorquiners und einer Finnin ist einer der umtriebigsten Autoren der Insel. Und weil er sich seit Jahren mit den Geheimnissen des mallorquinischen Wesens und seiner Geschichte beschäftigt, hat er nun quasi als Beiwerk seiner Forschung genügend Informationen über das Schmalzgebäck zusammen. Es ist laut Vibot das erste Buch, das nur der Ensaïmada gewidmet ist. Die MZ trifft ihn in einer Bar in Campos. Zu diesem Zeitpunkt sind die Ensaïmadas schon lange aus.

Die Ensaïmada an sich ist keine mallorquinische Erfindung, setzt Vibot an. „Die charakteristische Schnecken-Form für Gebäck gab es schon bei den Griechen und den Ägyptern in der Antike. Das Mallorquinische an der Schnecke ist das Schweineschmalz, der saïm." Erste Hinweise auf ähnliche Gebäckstücke auf Mallorca gibt es bereits im frühen Mittelalter - die muslimischen und später jüdischen bulemes. Aus religiösen Gründen wurden sie zunächst ohne den Schweineschmalz gefertigt, den die Christen später hinzugaben. Als die Juden im 15. Jahrhundert dazu gezwungen wurden, zum Christentum überzutreten, suchten manche von ihnen mit dem Genuss des Schmalzgebäcks klarzustellen, dass sie den „richtigen" Glauben angenommen hatten.

Lange war die Ensaïmada der höheren Gesellschaft vorbehalten, die sie zumeist an hohen Feiertagen genoss. Die adeligen Besitzer der Stadtpaläste in Palma bekamen das Gebäck sogar in Form eines „S" dargereicht, das für „Señor" stand. Ohnehin handelte es sich bei der Ensaïmada um ein Gebäck, das vor allem in Palma verbreitet war, weniger auf dem Land.

Erst ab dem 19. Jahrhundert begannen auch andere Bevölkerungsschichten Ensaïmada zu konsumieren. „Praktisch zeitgleich gab es auch in Madrid und Barcelona einen Ensaïmada-Boom", sagt Vibot. Der Grund: Viele Mallorquiner waren in die Metropolen ausgewandert und merkten schnell, dass auch die Großstädter auf die Schmalzschnecken abfuhren. Auch zwei katalanische Intellektuelle hatten ihren Anteil an der zunehmenden Popularität der Schnecken. Der Schriftsteller Josep Pla und der Maler und Autor Santiago Rusinyol. Sie lobten das Gebäck in höchsten Tönen. Und es blieb nicht bei der Expansion aufs spanische Festland. Poc a poc gelangte die Ensaïmada auch nach Südamerika, vor allem nach Argentinien und Uruguay sowie nach Puerto Rico. „In Argentinien feiert man sogar einen Día de la ensaïmada", sagt Vibot.

Heute aber sei die heile Ensaïmada-Welt bedroht, findet Vibot. Die Konkurrenz aus den Supermärkten und vor allem am Flughafen Son Sant Joan „pervertiere" die Essenz des Gebäcks. „Eine Ensaïmada muss man spätestens am nächsten Tag essen, sonst ist sie ungenießbar", sagt

Vibot. Die Exemplare, die etwa bei Mercadona oder im Flughafen verkauft würden, hielten sich hingegen tagelang. „Weil darin kein Schmalz enthalten ist", sagt Vibot.

Um die ursprüngliche Rezeptur zu schützen, haben sich mehrere Bäckereien auf der Insel zusammengetan und die geschützte Herkunftsbezeichnung „Ensaïmada de Mallorca" ins Leben gerufen. Nur wer seine Ensaïmada nach dieser Rezeptur herstellt, backt eine authentische ­Schnecke. Der Mehlanteil muss zwischen 45 und 55 Prozent liegen, der Wasseranteil zwischen 18 und 20 Prozent, der Zucker­anteil zwischen 16 und 20 Prozent, der Eieranteil zwischen sechs und zehn Prozent und der Sauer­teiganteil zwischen vier und sechs Prozent.

Dass die Ensaïmada im Herzen und auch im Sprachgebrauch der Mallorquiner einen prominenten Platz einnimmt, spiegelt sich an zahlreichen Sprichwörtern der Insel wider. „Has fet una cosa mes grossa que una ensaïmada" (Du hast eine größere Sache vollbracht als eine Ensaïmada) etwa ist ein Lob, das kaum zu steigern ist. Weniger euphorisch ist „dus una ensaïmada en es cap" (Du trägst eine Ensaïmada auf dem Kopf), eine etwas abfällige Bemerkung über einen Dutt im Haar. Und auch im Straßenverkehr hat die Ensaïmada ihren Platz sicher: „Als auf Mallorca die ersten Kreisverkehre gebaut wurden, haben die Leute sie Ensaïmadas genannt", sagt Vibot.

Tomàs Vibot, „L'ensaïmada. L'espiral de plaer", El Gall, 160 Seiten, 16 Euro.