Ein Eleonorenfalke (Falco eleonorae) wedelt mit seiner Beute, einem Rotkehlchen (Erithacus rubecula), im Flug wild hin und her. Er möchte sie seinem vor drei Wochen geborenen, auf einem Felsen wartenden Nachwuchs schmackhaft machen. Der junge Raubvogel piepst nur unbeholfen. So einfach wird er sein Fressen heute nicht bekommen. Da er aber bald 10.000 Kilometer nach Madagaskar fliegen muss, ist es höchste Zeit, fliegen zu lernen. Daher landet sein Vater mit der Beute auf einem einige Meter entfernten Felsen und wartet. Nach ein paar zunächst unkoordinierten Flügelschlägen und einem kleinen Hops schafft es das Jungtier, abzuheben und zu dem Rotkehlchen zu fliegen.

Es ist nur eine von vielen eindrucksvollen Szenen des knapp 90-minütigen Dokumentarfilms „El archipiélago indómito" (Die unbezwingbare Inselgruppe) von Rubén Casas Oché über die auf den Balearen heimische Tierwelt. Am Dienstag (7.5.) feierte der Film des katalanischen Regisseurs, der auf Mallorca aufgewachsen ist, im Kino Sala Augusta in Palma de Mallorca Premiere. Tags zuvor hatte ein UN-Bericht davor gewarnt, dass eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind - weil wir Menschen missbräuchlich mit den Ressourcen der Erde umgehen. „Das erzähle ich schon seit Jahrzehnten. Auch weil ich etwa Schildkröten, die sich in Netzen verfangen oder Plastik verschluckt hatten, bei meinen Aufnahmen selbst gesehen habe. Jetzt plötzlich fangen die Menschen hierzulande an, an den Stränden Plastik zu sammeln", sagt der Filmemacher.

Viel Aufwand, wenig Budget

Mit seinem Film, dem ersten in Spielfilmlänge, der nur von der Tierwelt auf den Balearen handelt, möchte er mit Beispielen vor unserer Haustür darauf aufmerksam machen, wie wichtig die Artenvielfalt ist und dass jede ­Spezies eine wichtige Rolle spielt, damit ein Ökosystem funktioniert. Zweieinhalb Jahre dauerten die Dreharbeiten, weitere acht ­Monate hat Casas in die Postproduktion des Films investiert. Über ein großes Budget verfügte er nicht.

Eine weitere Herausforderung: Rubén Casas war stets alleine unterwegs. „Manchmal bin ich zwei bis drei Stunden mit meiner bis zu 45 Kilogramm schweren Kameraausrüstung durch die Tramuntana gelaufen", erinnert er sich. Dafür kam er einigen bedrohten Arten, die er über die verschiedenen Jahreszeiten hinweg begleitet hat, so nah wie noch niemand zuvor. „Ich bin der Erste, der die Kleinfleck-Ginsterkatze gefilmt hat. Es ist eine endemische Art, die auf Ibiza lebt und die man normalerweise nicht einmal zu Gesicht bekommt", sagt Casas. Tagelang habe er dafür im Gebüsch gelauert und das scheue Tier mit Beutestücken und Duftstoffen angelockt.

In der Luft

Stolz erzählt der 48-Jährige auch, wie er die auf Mallorca lebenden Mönchsgeier, die letzte Inselbevölkerung dieser Art in der Welt, an 500 Meter in die Tiefe abfallenden Abhängen vor einer Meereskulisse filmte. „Leider ist es mir bisher aber noch nicht gelungen, den ganzen Schlüpfprozess eines Jungtiers einzufangen", sagt Casas. Immer wieder hätten unter anderem Kletterer die Geier verschreckt.

Auch den vom Aussterben bedrohten Balearensturmtaucher (Puffinus mauretanicus), der nur auf der Inselgruppe brütet, hat Casas vor die Linse bekommen. Beeindruckende Aufnahmen aus scheinbar nächster Nähe sind ihm auch von kleinen Singvögeln wie den Grauschnäppern (Muscicapa striata) und dem Zwergadler (Hieraaetus pennatus) gelungen. „Eigentlich sind Zwergadler Zugvögel. Doch die auf den Balearen ansässigen fliegen im Herbst nicht weg", sagt er.

Am Meeresgrund

Während der Dreharbeiten konnte sich der Filmemacher, der schon auf Kuba, in Ägypten, Australien und Namibia gelebt hat, auch einen Kindheitstraum erfüllen. Schon als kleiner Junge wollte er den ungewöhnlich aussehenden Fisch Zu cristatus live sehen. „Er steht im Verzeichnis seltener Fische und kommt im Mittelmeer kaum vor. Durch Glück habe ich ihn eines Tages tief unten im Meer angetroffen", sagt Casas. In 80 bis 90 Meter Tiefe filmte der Profitaucher, der schon verschiedene Tauchschulen in aller Welt geleitet hat, Rote Korallen (Corallium rubrum), in einer Poseidongraswiese gelang es ihm, ein Seepferdchen-Paar auszumachen, im offenen Meer bekam er einen Schwarm Roten Thuns vor die Linse.

Nominierung in Deutschland

Eine Stimme aus dem Off kommentiert die Aufnahmen, erzählt von der geologischen Entstehungsgeschichte der Insel vor fünf Millionen Jahren und davon, wie reichhaltig diese Ökosysteme sind. Casas Mühen wurden schon belohnt: Nicht nur bei der Premiere auf Katalanisch am Dienstag (7.5.) hat er viel Lob erhalten. Beim NaturVision Filmfestival, das im Juli 2019 in Ludwigsburg stattfindet, ist „El archipiélago indómito" als bester Dokumentarfilm in den Kategorien Fotografie und Filmmusik nominiert. Nach der Auswertung im Kino werden an einem noch nicht festgelegten Datum vier Folgen mit jeweils einer Stunde Länge auf den spanischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern TVE und IB3 zu sehen sein. Zu den teils dramatischen Szenen aus der Tierwelt gibt es dann auch wieder dramatische Musik. „Klar. Es ist schließlich Batman und kein Film zum Einschlafen", sagt Casas.

Sala Augusta, in Spanisch, ab Fr. (10.5.) täglich 20.30 Uhr, 4 Euro