Als der katalanische König Jaume I. Mallorca eroberte, brachte er der Insel nicht nur das Christentum mit, sondern schaffte die Grundlage für Sklaverei und Sklavenhandel, der Jahrhunderte auf der Insel andauern sollte. Eine Studie des mallorquinischen Historikers Antoni Mas von der Balearen-Universität und dreier katalanischer Kollegen gibt nun vertiefte Einsicht in dieses dunkle Kapitel der Inselgeschichte, das vielen immer noch unbekannt ist. „Dass es im Mittelalter Sklaven auf Mallorca gab, haben schon einige Studien vorher belegt", sagt Antoni Mas. „Was wir herausfinden wollten war: Warum ging es mit der Sklaverei auf der Insel im 16. Jahrhundert bergab, wo doch außerhalb Europas, besonders in den amerikanischen Kolonien, der Handel mit Sklaven zu florieren begann?"

Mallorca, so die Historiker, war ab dem 13. Jahrhundert das Zentrum der Sklaverei in Europa und eine Art Versuchslabor für deren verschiedenen Einsatzmöglichkeiten. Die katalanischen Eroberer hatten ab 1229 die maurische Bevölkerung auf der Insel versklavt. „Das Besondere auf Mallorca war: Während sonstwo in Europa die Sklaven hauptsächlich in Städten gehalten wurden, hat man sie hier auf den possessions, den großen Ländereien, eingesetzt", so Mas. Die christlichen Eroberer setzten in der Landwirtschaft auf ein zweigliedriges System. Zum einen auf kleinere, selbstständige Höfe, die von Familien verwaltet wurden. Zum anderen auf große Ländereien mit Sklaven.

Russen, Tataren, Muslime

Im 14. Jahrhundert gewann die Sklaverei auf der Insel weiter an Bedeutung. Durchschnittlich elf Sklaven arbeiteten in der Hochphase auf jeder possessió. Die Studie führt zwei Gründe dafür auf. Zum einen wanderten immer weniger Arbeitskräfte vom Festland auf die Insel aus. Zum anderen raffte die Pest weite Teile der Bevölkerung dahin. Manche Dörfer verloren bis zu 22 Prozent ihrer Einwohner. „Mallorca lag zudem auf den Sklavenhandelsrouten des Mittelmeers, also behielt man die Leute da", erklärt Mas. Bis zu 80 Prozent der Sklaven waren laut der Studie Russen, ­Tataren oder Muslime aus dem östlichen Mittelmeer. Sklaven aus Schwarzafrika kamen erst später hinzu.

Es sei lange Zeit nicht ungewöhnlich gewesen, dass Sklaven und Lohnarbeiter nebeneinander auf den possessions gearbeitet und auch dieselben Aufgaben ausgeführt hätten. „Es gibt zwar Hinweise darauf, dass sie teilweise untereinander befreundet waren", sagt der Historiker. „Aber das Verhältnis war vor allem von Missgunst geprägt. Die Lohnarbeiter machten die Sklaven dafür verantwortlich, dass ihre Löhne gedrückt wurden." Dass sich ältere Sklaven zudem freikaufen konnten und als freie Männer ebenfalls in den Markt der

bezahlten Arbeitskräfte vordrangen, habe den Unmut weiter erhöht.

Als Bauern „billiger" wurden

Dass es mit der Nutzung von Sklaven schließlich auf der Insel bergab ging - auch wenn es noch dauern sollte, bis sie komplett abgeschafft wurde - hatte nichts mit mangelndem Nachschub zu tun, das ist die zentrale Erkenntnis der Studie. „Ab Ende des 15. Jahrhunderts wurden immer mehr Männer in Afrika gefangen genommen und in Europa verkauft", sagt Mas. Vielmehr habe es binnenökonomische Gründe gegeben. „Im 15. Jahrhundert wurden die Steuern auf Mallorca massiv erhöht, was viele kleine und mittlere Bauern in große finanzielle Schwierigkeiten brachte." Viele Bauern waren genötigt, ihren Besitz zu verkaufen und glitten in die Armut ab. „Den als revolta forana bekannten Aufstand einiger Bauern gegen die Steuern und die Korrup­tion (1450-1454, Anm. d. Red.) schlugen die ­Adeligen nieder. Die Aufständischen wurden zu hohen Strafen ­verurteilt, was noch mehr Leute zwang, Landgüter zu verkaufen."

Frauen als Arbeitskräfte

Die Folge: Plötzlich gab es eine große Menge an verarmten Menschen, die verzweifelt auf der Suche nach Arbeit waren. Die Verhältnisse kehrten sich um. „Lohnarbeiter zu bezahlen wurde für die Großgrundbesitzer billiger, als Sklaven zu halten", so Mas. Das führte auch dazu, dass auf Mallorca besonders viele Frauen als Arbeitskräfte eingesetzt wurden, unter anderem bei der Olivenernte. 70 Prozent der Tagelöhner und 50 Prozent der Gesamtarbeitskräfte waren weiblich, so die Studie. „Frauen musste man weniger bezahlen als Männern, also waren sie für die Landeigentümer interessanter", erklärt Mas die kapitalistische Logik dahinter. Ein Gesetz von 1575 verfügte demnach: „Der Lohn einer Frau darf nie mehr als die Hälfte des Lohns eines Mannes betragen."

Das System hielt sich bis Ende des 19. Jahrhunderts. „Dann führten Gesetzesänderungen dazu, dass die Adeligen Schulden nachzahlen mussten, die sie auf ihren Landgütern angehäuft hatten", sagt der Historiker. Um das nötige Geld aufzutreiben, hätten sie Teile ihrer Ländereien in kleine Parzellen aufgeteilt und verkauft. „Dadurch entstand eine nicht unbedeutende Masse an kleinen Landgütern, die das landwirtschaftliche Wirtschaftssystem praktisch bis zum Beginn des Massentourismus prägten", so Mas.

Ein gutes Geschäft

Dass die Nutzung von Sklaven auf Mallorca rückläufig war, heißt aber nicht, dass der

Handel mit ihnen auf der Insel eingestellt worden wäre. Historiker fanden in Studien heraus, dass sich mehrere mallorquinische Familien aus dem Adel und dem gehobenen Bürgertum an dem internationalen Handel mit afrikanischen Sklaven bereicherten, bis das grausame Geschäft im Jahr 1873 in ganz Spanien verboten wurde. Der Schritt kam spät. Portugal hatte schon 1761 die Sklaverei verboten, Frankreich im Jahr 1848.

Allerdings seien viele dieser Erkenntnisse ungesichert, berichtete die MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca" im vergangenen Jahr, da die Historiker auf erheblichen Widerstand von Nachfahren stoßen, wenn es darum geht, die Familienarchive einzusehen. So lässt sich auch nicht die Frage beantworten, welchen Einfluss genau der Sklavenhandel auf den Reichtum vieler mallorquinischer Familiendynastien hatte.

Die Historiker müssen daher auf Hinweise in öffentlichen Dokumenten zurückgreifen. Als die Regierung im Jahr 1753 Sklavenhalter über eine Gesetzesänderung hinsichtlich der Kleidung informieren wollte, waren auf der

Insel 34 Halter erfasst. Die meisten von ihnen waren Handwerker und Unternehmer aus der Seefahrt. Letztere dürften am meisten von der Sklaverei profitiert haben, lagen doch die Zentren des Handels im 18. und 19. Jahrhundert in den Übersee-Kolonien Puerto Rico und Kuba.

Im Jahr 1868 kam es zu der vermutlich letzte Episode des Sklavenhandels auf der Insel: In dem Jahr legte ein gewisser Kapitän Pigat mit einem Dampfschiff in Palma an. Sein Ziel: Besatzung engagieren, um eine Sklavenfahrt nach Kuba zu machen, die er mit einem „Señor Morey" verabredet hatte. Das lässt darauf schließen, dass hier Mallorquiner am Werk waren. Morey ist ein verbreiteter Nachname auf der Insel.

Die Studie ist auf Englisch unter dem Titel „Socioecological Transition in Land and Labour Exploitation in Mallorca: From Slavery to a Low-Wage Workforce, 1229-1576" in der Open-Access-Fachzeitschrift „Sustainability" erschienen. Sie finden Sie unter bit.ly/Sklaven-Mallorca.