Kennen Sie die Simpsons? Dann ist Ihnen bestimmt schon einmal der Kwik-E Mart ins Auge gefallen, dieser kleine Laden, in dem Homer Simpson bevorzugt seine Donuts kauft. Betrieben wird der Mini-Supermarkt vom Inder Apu Nahasapeemapetilon. Das ist klischeehaft, und bereits seit Jahren wird in den USA darüber debattiert, ob es rassistisch ist, dass ein ulkiger Inder einen solchen Laden in der Zeichentrickserie betreibt. Doch ein Funken Wahrheit steckt eben dahinter. Auch auf Mallorca stehen bei den Gemischtwarenläden oft Inder oder Pakistaner hinter der Kasse.

Lange suchen muss man in Palma nach den Läden nicht. Es werden immer mehr. Sie stoßen in die Lücke der schon lange vor ihnen aufgegebenen Krämerläden - den traditionellen colmados -, sie gedeihen im Schatten der großen Supermarktketten, sie sind nah dran an den Anwohnern. Mit bunten Schildern und Leuchtreklame werben sie um ihre Kunden. Lange Öffnungszeiten - manche schließen nie - und ein großes Angebot von Lebensmitteln, Getränken, Snacks und Dingen des täg­lichen Bedarfs sollen die Leute in den Laden locken. Fragenden Journalisten gegenüber ­geben sich die Verkäufer oft erst einmal zu­geknöpft. „Die meisten von uns reisen illegal mit gefälschten Pässen ein. In Spanien haben einige weder Papiere noch eine Aufenthalts­erlaubnis", sagt einer von ihnen. Die Angst vor der Arbeits­inspektion ist ein ständiger Begleiter. Ein Verkäufer reißt vor Schreck die Augen weit auf, als sich die MZ im Interview Notizen über seinen Alltag macht.

Bis tief in die Nacht

Für viele Residenten und Urlauber sind die Läden ein Rettungsanker, wenn der große Supermarkt geschlossen hat und etwas fehlt. „Spätis", Abkürzung von Spätverkauf, würde man in Berlin und Ostdeutschland dazu sagen. Viele Leute nutzen sie, um abends noch ein Bier zu bekommen. „In der Nacht sind es zu 90 Prozent Betrunkene, die Alkohol wollen", sagt eine Verkäuferin am Paseo Marítimo in Palma. Nachts heißt in diesem Fall bis 0 Uhr. Denn danach ist der Alkoholverkauf verboten. Dennoch ist das Geschäft vor Feiertagen und am Wochenende bis 6 Uhr geöffnet.

Nur ein paar Meter weiter lächelt Imtiaz Ahmad hinter der Kasse hervor. Er spricht nur spärlich Spanisch, ist aber dennoch sehr auskunftsfreudig. „Das Geschäft gehört einem Marokkaner", erzählt er. Gemeinsam mit dem Eigentümer teilt er sich die Schichten ein.

Imtiaz Ahmad hat in Pakistan Landwirtschaft studiert. „Meine Eltern haben eine Orangenplantage. Ich habe drei Brüder, die kümmern sich darum. Für mich war keine Arbeit mehr da. Das ist komisch: Dort habe ich Angestellte, hier bin ich selbst angestellt."

So zog es den Pakistaner nach Amsterdam, wo er einen Englischsprachkurs besuchte. 2008 ging es weiter nach Barcelona, wo bereits ein Cousin von ihm wohnte. Es sind die Wege der Einwanderer - man zieht dorthin, wo schon Verwandte oder Freunde wohnen. „Ich habe überall nach Arbeit gesucht. Durch die Wirtschaftskrise gab es in Barcelona aber kaum Jobs. In Palma hingegen schon", sagt ­Imtiaz Ahmad. Ein Freund von ihm betreibt in Can Picafort Bekleidungsgeschäfte. Eine Zeit lang kam er dort unter, dann fand er in dem Gemischtwarenladen in Palma Arbeit. Für ihn ist es ein Saisonjob, dem er aber seine ganze Aufmerksamkeit widmet. „Außerhalb der Arbeit mache ich nicht viel. Höchstens mal einen Tag zu meinem Freund in Can Picafort fahren." ­Einen Teil seines Gehalts schickt er seiner Frau in die Heimat. Im Winter werde er dann ein paar Monate nach Hause reisen. In Palma wohnt er in einem WG-Zimmer. „Die Mieten sind hoch. Deswegen kann auch meine Frau nicht herkommen. Ich könnte mir eine große Wohnung nicht leisten. Ich habe schon beim Sozialamt angefragt, ob sie mir helfen können."

Besser als auf dem Bau

Für die Warenlieferungen sind oft Firmen verantwortlich, die auch von Asiaten geführt werden. „Die kommen einmal die Woche, und wir füllen die Bestelllisten aus", sagt Gorika Tuli vom Ganesha Mini Market am Paseo Marítimo. Als Frau ist sie in der männlich dominierten Welt des indisch-pakistanischen Kleinhandels eher die Ausnahme. „Die Familie meines Mannes lebt seit 15 Jahren hier. Ich bin vor drei Jahren hergezogen", sagt sie.

Das war in etwa die Zeit, als der Boom der kleinen Läden begann. Muhammad Asif arbeitet seit 2015 im Mini Market Marítimo nebenan. „Damals gab es nur zwei Gemischtwarenläden hier. Heute ist alle paar Meter ein Geschäft und die Konkurrenz viel größer." Der Pakistaner ist wie Imtiaz Ahmad und viele andere auch über Barcelona nach Mallorca gekommen. „Im Vergleich zu Barcelona gibt es hier noch nicht so viele meiner Landsleute", sagt er. Wobei es ein Trugschluss sei, dass die Pakistaner nur in den Mini-Supermärkten arbeiten würden. „Viele arbeiten in Bekleidungsgeschäften oder auf dem Bau. Ich sehe, wie die sich dort abrackern und dreckig machen. Das wäre nichts für mich."

Muhammad Asif lebt seit vier Jahren in Spanien, wartet auf seine Papiere. „Das ist in Arbeit", sagt er bloß. Der Laden gehört einem Freund. Dass er viele Stunden hinter der Kasse stehen muss, mache ihm nichts aus. Zehn Stunden lang arbeitet er pro Tag, sieben Tage die Woche. „Im Winter habe ich drei Monate lang gar nichts gemacht. Da halte ich das jetzt schon aus", sagt er.

Gemischtwarenladen 2.0

Irfan Ulhaq Noon ist sein eigener Herr. Der ­Pakistaner aus dem Punjab an der Grenze zu ­Indien hat sich gerade als Franchise-Nehmer der Supermarktkette Co Aliment der katalanischen Covalco-Gruppe angeschlossen. Mit Öffnungszeiten rund um die Uhr und günstigeren Preisen als die großen Supermärkte will er nun im Stadtviertel Pere Garau durchstarten.

Aus seiner Heimat ist Irfan Ulhaq Noon vor acht Jahren ausgewandert. „Seit 20 Jahren lebt unser Land im Kriegszustand. Die Wirtschafts­krise ist heftig, es wird nur langsam besser. Dennoch wollen viele Leute auswandern. Dubai und Europa sind beliebte Ziele", sagt er. Er selbst habe sich zu Fuß aufgemacht. „Mal bin ich gelaufen, mal mit Bus oder Taxi gefahren." Von Mallorca hatte er damals noch nie etwas gehört. Über die Türkei gelangte er nach Griechenland. Dort nahm er ein Flugzeug nach Barcelona , wo sein Bruder bereits lebte.

„Die ersten Jahre waren sehr schwierig", sagt er. „Ich habe vier Jahre lang ohne Papiere gelebt und hatte keine Arbeit." 2015 kam er nach Palma. Ein Freund bot ihm eine Stelle an. „Wir Pakistaner sind Händler. Wir wissen, wie man Geschäfte macht", erklärt er, warum so viele seiner Landsleute diesem Beruf nachgehen. Zwei Jahre später übernahm Irfan Ulhaq Noon von dem Freund den „Supermercado Anticrisis" in der Nähe der Markthalle von Pere Garau. Um die Übernahme zu finanzieren, hatte er in der Heimat ein Grundstück verkauft. Irfan Ulhaq Noon versorgte sich am Anfang selbst und kaufte in den großen Supermärkten ein. Das schlug auf den Preis. „Früher waren meine Produkte doppelt so teuer. Dafür waren aber meine Einnahmen höher."

Für 60.000 Euro - „da ich den Laden bereits hatte, habe ich nur den halben Preis bezahlt" - hat er sich nun der Franchise-Kette angeschlossen. Masse statt Klasse, lautet nun sein Motto. „Ich habe mehr Kunden, dafür ist die Marge gesunken. Früher habe ich 30 Prozent Gewinn gemacht, heute sind es nur noch 18 Prozent." Die Ware wird von dem katalanischen Unternehmen geliefert, die Preise festgelegt. „Jetzt ist die Flasche Coca-Cola bei mir günstiger als im Mercadona. Die Leute sind glücklich und kommen öfter."

Er selbst wirkt weniger zufrieden. „Ich bin immer müde, immer geschafft. Aber was soll ich machen?" Mit dem Ende vom Ramadan am Dienstag (4.6.) will er 365 Tage im Jahr 24 Stunden öffnen. Dabei geht er jetzt schon an seine Grenzen. „Vom vielen Stehen sind meine Füße kaputt und müssten operiert werden." Er teilt sich die Schichten mit seiner Frau ein, die ihm im vergangenen Jahr auf die Insel gefolgt ist. Womöglich kommt auch der Bruder aus ­Barcelona bald nach. „Einen Angestellten könnte ich mir nicht leisten", sagt ­Irfan ­Ulhaq Noon. Der Laden ist zum Leben des Verkäufers geworden. Oder wie es der Pakistaner trauriger ausdrückt: „Ich habe kein Leben."