Als Vadim Burwitz im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie nach Valldemossa auf Mallorca zog, wusste er bereits ganz genau, was er später einmal beruflich machen wollte. „Die Astrophysik hat mich schon immer fasziniert", sagt der 53-Jährige heute - und das, obwohl sein Vater Nils Burwitz sich nicht den Naturwissenschaften, sondern der Kunst verschrieben hatte. Am Freitag (21.6.) dürfte ein Kindheitstraum von Vadim wahr werden: Um14.17 Uhr mitteleuropäische Sommerzeit soll vom russischen Raketenstartplatz Baikonur aus das Röntgenteleskop eROSITA ins All geschickt werden. Burwitz wird live dabei sein und zusehen, wie das unbemannte Flugobjekt abhebt. Schließlich hat er die vergangenen zwölf Jahre damit verbracht, eROSITA mitzuentwickeln.

„Ich habe es sehr genossen, in einem Künstlerhaushalt aufzuwachsen, mir wurde eine tolle kreative Welt geboten", berichtet Vadim Burwitz der MZ am Montag (17.6.) am Telefon. Noch ist er in seinen Büroräumen am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München anzutreffen. Hier ist er wissenschaftlicher Leiter der institutseigenen „PANTER"-Röntgentestanlage. Am Mittwoch will er zuerst nach Moskau reisen und dann zum Kosmodrom Baikonur im Süden Kasachstans aufbrechen. „Meine Eltern gaben mir immer alle Freiheiten, mein naturwissenschaftliches Interesse zu entfalten", so Burwitz. Seine Vorfreude auf den großen Raketenstart am Freitag ist spürbar. „Früher waren die Apollo-Mondmissionen für mich ganz groß, die habe ich immer verfolgt. Jetzt selbst bei einem Start dabei zu sein, ist Wahnsinn."

Burwitz' Kindheit ist von Wechseln geprägt. Geboren in London, aufgewachsen erst in Südafrika, dann ist er auf Mallorca zur Schule gegangen und hat in Berlin studiert. Es ist schwer für ihn, sich einer Nationalität zugehörig zu fühlen. „Ich bin Europäer. Aber immer, wenn ich nach Mallorca komme, um Schulfreunde und meine Eltern zu besuchen, fühle ich mich wie zu Hause", sagt er. Schon lange hat sein einst unstetes Leben an Beständigkeit gewonnen: Burwitz ist in Deutschland verheiratet, hat einen Sohn, der ebenfalls Physiker wird, und arbeitet seit fast 22 Jahren für das Max-Planck-Institut, wo das eROSITA entwickelt wurde.

Den Himmel erkunden

„Zwölf Jahre an der Entstehung eines Röntgenteleskops zu forschen, mag vielen Leuten lange vorkommen, ist aber bei Projekten dieser Größenordnung wie dem eROSITA noch ein vergleichsweise kurzer Zeitraum", sagt Burwitz. eROSITA steht für „extended Röntgen Survey with an Imaging Telescope Array", also die erweiterte Röntgen-Vermessung mit einem Aufnahmeteleskop, und wird als Hauptinstrument der russisch-deutschen „Spektrum-Röntgen-Gamma"-Mission eingesetzt. „Es ist der Nachfolger vom ersten Röntgenteleskop, dem Rosat, das 1990 ins All gestartet ist", so Burwitz. Damals konnten erstmals eine Gesamthimmelskarte erstellt und rund 100.000 bisher unentdeckte Objekte ausfindig gemacht werden. Durch eROSITA erhofft sich die Wissenschaft nun eine bisher unerreichte vollständige Himmelsdurchmusterung mit spektraler und räumlicher Auflösung.

Revolution der Physik

„Anders als ein optisches Teleskop arbeitet das Röntgenteleskop dadurch, dass es Röntgenstrahlen, die Himmelskörper abgeben, aufnimmt", versucht Burwitz die für Laien komplizierten Sachverhalte so einfach wie möglich zu erklären. Als Teil eines rund 50-köpfigen Teams war er in den vergangenen Jahren an der Entwicklung spezieller Spiegel beteiligt, die die Basis der sieben einzelnen Beobachtungsintrumente in eROSITA bilden. „Das Teleskop hat einen Durchmesser von rund 2,5 Metern und ist etwa drei Meter hoch", so Burwitz weiter. Für den Start ins All wurde es vor zwei Monaten nach Baikonur gebracht und sicher in einer Rakete verpackt.

Wenn beim Start am Freitag alles gut geht, dann wird eROSITA zunächst sieben Jahre lang im All bleiben. „In den ersten vier Jahren wird es acht Mal eine Himmelsdurchmusterung durchführen, die restlichen drei Jahre soll es sich dann auf gezielte Beobachtungen einzelner Himmelsobjekte konzentrieren." In einer Entfernung von rund 1,5 Millionen Kilometern zur Erde soll eROSITA im gleichen Rhythmus wie unser Planet um die Sonne kreisen und dabei Einblicke über jegliche Himmelskörper, aber auch extrem heiße Gase zwischen Galaxienhaufen liefern, die nur im Röntgenbereich strahlen. Diese sogenannte „Dunkle Energie" ist bisher wenig erforscht und soll verantwortlich dafür sein, dass sich das Universum seit dem Urknall immer weiter ausdehnt. „Die Röntgenbeobachtung von Galaxienhaufen erlaubt Einblicke in die Expansionsrate des Universums und könnte eine fundamentale Revolution der Physik mit sich bringen." Zudem erhoffen sich Wissenschaftler Erkenntnisse zu grundlegenden Wechselwirkungen im All, die auf der Erde nicht simuliert oder gemessen werden können.

Kooperation statt Spionage

Aufregung bleibt bei solch hohen Erwartungen natürlich nicht aus. „Klar wird es am Freitag sehr spannend werden, ein Risiko bei solchen Starts besteht immer. Aber die Russen haben viel Erfahrung damit, Objekte ins All zu befördern", so Burwitz. Das Kosmodrom Baikonur gilt derzeit als weltweit größter Weltraumbahnhof. Schon von Anfang des Projekts an habe festgestanden, dass die eROSITA von dort aus ins All geschickt werden soll. „Die Abmachung ist, dass sowohl wir als auch die Russen je einen Teil der Daten, die eROSITA auf der Mission sammelt, auswerten dürfen." Angst vor Datenklau hat Burwitz nicht. „Spionage gibt es zwischen russischen und europäischen Wissenschaftlern schon lange nicht mehr, hier geht es allein um Kooperation."

Auch nach dem Start dürfte es spannend bleiben - zumal Burwitz parallel zum eROSITA-Projekt einige andere Themen angegangen ist. „Seit knapp vier Jahren forsche ich an einem Projekt der ESA, das bis zum Jahr 2031 angesetzt ist." Und erst neulich bestellte ihn die NASA nach Washington, damit er ein Modell des „Flagship programm" begutachtet, das 2036 in den Weltraum geschossen werden soll. Langeweile ist also ausgeschlossen.

Der Start von eROSITA ins All wird am Freitagmittag (21.6.) auch live im Internet übertragen: http://en.roscosmos.ru/317/