Sie sind unscheinbar, wirken dazu oft etwas vernachlässigt. Dabei sind es Orte, hinter ­denen jede Menge interessanter Lebensgeschichten aus und Erinnerungen an die muslimische Vergangenheit von Palma de Mallorca stecken: atzucacs, Sackgassen, die den Insulanern als cul-de-sac oder calle que no pasa (Straße, die nicht weiterführt) bekannt sind.

Kaum jemand kennt sie so gut wie Iván Cerdà. Dem Politikwissenschaftler und Gründer der Stadtführungs-Initiative Mallorca Insólita fiel der aus dem Arabischen stammende Name atzucac auf, als er ein Buch über die Stadtplanung von Palma de Mallorca las. Daraufhin recherchierte er intensiv zu den früheren Namen und längst in Vergessenheit geratenen Verwendungs­zwecken der kleinen Sackgassen. Mittlerweile hat der 39-Jährige Stoff für zwei jeweils zwei Stunden dauernde Führungen entlang der insgesamt 22 Gassen: Eine geht durch das östlichere, als Canamunt bekannte Innenstadtviertel, die andere mit ebenfalls elf atzucacs verläuft durch das westlich vom Borne gelegene Canavall-Viertel.

„Die ältesten Sackgassen stammen aus der Zeit der auf der Insel lebenden Muslime. Die damals dort wohnenden Familien nutzten sie entweder als Gemeinschafts-Innenhof, oder es handelte sich um einen privaten Bereich, der von einem Familienoberhaupt beherrscht wurde", erklärt Cerdà. „Wieder andere haben sich aus städtebaubedingten Umbauarbeiten ergeben, etwa weil ein Gebäude errichtet wurde und so der Ausgang der Straße zugebaut wurde", sagt der Baske.

Der Zugang zu vielen der Sackgassen sei heute mit einem Gitter versperrt. „Damit Fremde keinen Müll dort abstellen oder aus Sicherheitsgründen, weil es sich meist um dunkle Gassen handelt", so Cerdà. Für das Tor des atzucacs, das laut Cerdàs Recherchen seit dem 18. Jahrhundert Carrer d'Alaró heißt, etwa hätten nur die Anwohner die Schlüssel. Klimaanlagenabzüge und Drahtgestelle zum Trocknen der Wäsche sind heute in der engen Gasse angebracht. Ein paar Schritte weiter führt der Politikwissenschaftler die MZ-Redakteurin zu der wohl unbekanntesten Sackgasse, die neben dem Geschäft „Sun & Sun" vom Carrer Sindicat aus wegführt. „Sie hat nicht einmal einen Namen", so Cerdà. Im hinteren, privaten Teil der Straße legt eine Kubanerin Passanten Tarot-Karten.

Ebenfalls vom Carrer Sindicat aus geht der Carrer d'en Móra ab, eine verhältnismäßig breite Gasse, an deren Ende sich ein Tattoo-Studio befindet. „Wenn der Laden abends die Tore schließt, sieht man die Buchstaben ,CM' auf dem Tor", sagt Iván Cerdà. Hier war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Tageszeitung „Correo de Mallorca" ansässig, aus der nach dem Zweiten Weltkrieg die Schwesterzeitung der MZ, das „Diario de Mallorca", hervorging. Auch die Industriellenvereinigung Asima, die das Gewerbegebiet Son Castelló betreibt, wurde hier gegründet.

Der in der Nähe liegende Carrer de Can ­Poquet, erzählt Cerdà, hieß 1863 noch „Carrer de la Galera qui no passa". Dort befand sich zum einen einst ein Gefängnis für „unanständige" Frauen. Zum anderen bildete die Straße den Hintereingang zum früher als Can Armadans bekannten Haus. Darin sollen Mitglieder der Familie Spanyol im Jahr 1489 Jaume Armadans, den Anführer der Rivalen-Familie ­Armadans, getötet haben. Heute hängen hier ­Straßenlaternen, das Tor ist geöffnet und die Gasse wird unter anderem von Kellnern des angrenzenden Restaurants genutzt.

Eine eher ungewöhnliche Sackgasse ist die kurze Straße an der Kreuzung zwischen Carrer Jaume II und Carrer de Sant Bartomeu in der Fußgängerzone. Sie heißt Carrer de la Reixa, verläuft in der Form eines „L" und geht direkt in die Terrasse der angrenzenden Pizzeria über. Unsere Route schließt mit dem, wie Cerdà findet, schönsten atzucac namens Can Vallespir neben dem Kloster Santa Clara ab. Hier war ­­früher der Eingang zu den Arabischen Bädern.

Führungen zu den Atzucacs im Sommer nur auf Anfrage. Reservierung unter Tel. 650-78 76 36 oder per E-Mail (mallorcainsolita@gmail.com). Kosten: 8 Euro. www.mallorcainsolita.com