Acht Monate ist es her, dass Elize Rietberg mit ihrem Mann und dem kleinen Rafael (3) aus den Niederlanden nach Colònia de Sant Pere im Nordosten von Mallorca zog. „Ich kannte niemanden hier", erinnert sie sich. Und die Vorschule für Rafael, in der sie auf gleichaltrige Mütter treffen könnte, beginnt erst im September. „Anfangs fühlt man sich etwas verloren." Doch Rietberg hatte Glück: Kurz nach ihrem Umzug startete das zuständige Rathaus von Artà ein Gartenprojekt der besonderen Art - und mittlerweile kennt die Auswanderin nicht nur Dutzende von Anwohnern, sondern auch schon eine passable Liste an spanischen Vokabeln.

Schon vormittags ist es heiß auf dem gut 330 Quadratmeter großen Gelände gleich neben der Rosa-dels-Vents-Grundschule. Immerhin weht vom Meer eine angenehme Brise herüber. Ein Holzzaun markiert die Fläche, die seit ein paar Monaten den Anwohnern des ruhigen Küstenörtchens als öffentlicher Gemüsegarten dient - auf Spanisch: huerto urbano, wie Rietberg bereits weiß. Tomaten, Auberginen, Gurken, Spinat, Kartoffeln, Mais, Paprika und Kürbisse reifen hier in der Mittelmeersonne. Es gibt zwei Gemeinschaftsbereiche, die von allen beackert werden können. Und dann sind da die mit Bändern abgetrennten Parzellen, auf denen die pachtenden Familien allein entscheiden, was sie anpflanzen möchten. „Eine Erdbeere", ruft der achtjährige Izan begeistert, als er etwas Rotes zwischen den grünen Blättern schimmern sieht, und stürzt sich gleich darauf. „Die sind die besten." Insgesamt 17 Familien beteiligen sich an dem neuen Gartenprojekt - die Mehrheit davon Zugezogene. „Wir sind vor allem Mütter und Kinder", sagt Rosana Cámara. „Die Männer halten sich da geflissentlich Hintergrund", bestätigt Maribel Castaño und streicht ihrem Sohn Izan über den Kopf. Er deutet begeistert auf eine große Zwiebel in seiner erdbeschmierten Hand. Im Ort Artà hatte das Rathaus schon im vergangenen Jahr ein solches Projekt gestartet. Das Ziel: Die Anwohner sollen sich untereinander und die Natur besser kennenlernen.

„Das wollten wir hier auch", berichtet Patricia Pons. Die 44-jährige Festlandspanierin wohnt schon seit Jahren in Colònia de Sant Pere und kennt nicht zuletzt durch ihre Söhne Teo (8) und Martín (6) eine Menge Leute hier. Trotz-dem war sie begeistert, als das Rathaus im Februar die ersten Theoriestunden über das Anlegen eines Gemüsegartens im Küstenort organisierte. Nicht, dass sie die nötig gehabt hätte. „Du bist die Expertin unter uns", sagt Maribel Castaño und zwinkert ihrer Freundin zu. Pons lächelt zurück. „In meiner Wohnung hier habe ich nur einen Innenhof mit ein paar Blumenkübeln. Aber früher in Extremadura hatte ich einen Gemüsegarten und habe das Gärtnern immer sehr genossen", bestätigt sie. „Für mich ist das Anpflanzen richtige Entspannung, fast schon meditativ. Und wenn man dann noch in guter Gesellschaft ist - umso besser." Vor allem am Anfang griffen Verantwortliche der Gemeinde den Hobbygärtnerinnen kräftig unter die Arme, zogen den Holzzaunhoch, halfen bei der ersten Saat und installierten vor Kurzem ein automatisches Gießsystem. „Vorher mussten wir mit den Gießkannen ran, dagegen ist das jetzt richtiger Luxus",schwärmt Maribel Castaño. Die Lateinamerikanerin wohnt seit rund acht Jahren in Colònia de Sant Pere und hat sogar einen eigenenGarten. „Aber da würde ich niemals etwas an-pflanzen, so ganz ohne Hilfe. Ich bin blutige Anfängerin." Mit drei anderen Familien teilt sie sich einige Parzellen im öffentlichen Gemüsegarten - die Parzellen können die Anwohner kostenlos anmieten. „Die anderen helfen mir und langsam lerne ich dazu", sagt Castaño. „Es hat etwas Magisches hier, zwischenden Bergen und dem Meer. Und wenn man geerntet hat und es zu Hause probiert, fühlt mangeradezu, dass man etwas Wirkliches isst."

„Eine große Unterstützung ist auch Miquel Berrocal", erzählt Rosana Cámara. Der Städtebaudezernent im Rathaus, der selbst aus der Landwirtschaft kommt, schaue jeden Freitagabend in seiner Freizeit vorbei, um den Nutzern bei Fragen oder Problemen zur Seite zu stehen. „Da kommen dann immer viele von uns zusammen. Aber auch an anderen Tagen trifft man meist jemanden, wenn man hiervorbei schaut", so Patricia Pons. Außerdem koordinieren sich die Hobbygärtner in einer WhatsApp-Gruppe. „Und wir haben einen kleinen Fonds, von dem wir gemeinsam Werkzeugkaufen oder kleinere Anschaffungen machen."

„Toll wäre es natürlich, wenn die Gemeinde all die ungenutzten öffentlichen Flächen in der Art bepflanzen würde. Mit Wein oder Orangenbäumen zum Beispiel", findet Rosana Cámara. „Dann könnte man in den teils herun-tergekommenen Parzellen kleine Paradiese schaffen, die allen zugute kommen." Aber das sei natürlich Zukunftsmusik und der huerto urbano immerhin ein guter Anfang. „Es ist vor allem das Gemeinschaftsgefühl,das das Projekt hier ausmacht, und diese Hilfsbereitschaft untereinander", sagt Maribel Castaño.

Das kann Frisch-Auswanderin Elize Rietberg aus den Niederlanden nur bestätigen. „Man fühlt sich direkt willkommen", sagt sie in noch etwas holprigem Spanisch, zeigt ihren neuen Freundinnen stolz einen Strohhut voll rosiger Tomaten - und erntet prompt begeisterte Reaktionen. Kollektives Gärtnern trägt eben viele Früchte.