Eigentlich kann Laura Miró stolz auf das sein, was sie mit ihren 26 Jahren erreicht hat. Nicht nur, dass sie ihr Geschichtsstudium mit guten Noten abschloss und sich einen Doktoranden-Platz an der Balearen-Uni auf Mallorca sicherte - auch ein Buch mit ihren Forschungsergebnissen ist bereits erschienen. Trotzdem ist es ihrer Großmutter eher unangenehm, wenn die Enkelin von ihren neuesten Projekten oder Erfolgen erzählt. „Lass das doch mal", oder „willst du dich nicht endlich einem anderen Thema widmen", bekommt Laura Miró dann zu hören - und das auch von anderen Seiten. Die Mallorquinerin forscht über die Geschichte der xuetes auf Mallorca (ausgesprochen: chuetes). Jener Nachfahren von Juden, die in Zeiten der Inquisition gezwungen wurden, zum Katholizismus zu konvertieren, und die bis heute anhand ihrer Nachnamen identifizierbar sind. Nicht alle begrüßen es, dass Miró sich damit beschäftigt.

Bonnín, Aguiló, Cortès, Fuster, Forteza, Martí, Miró, Picó, Pomar, Pinya, Segura, Tarongí, Valls, Valentí und Valleriola - wer diese Nachnamen trägt, war einst als xueta gebrandmarkt. Laura Miró Bonnín trägt gleich zwei davon. Anders als ihre Großmutter macht sie kein Aufhebens darum. „Anders als sie habe ich deshalb aber auch nie Nachteile erfahren und bin auch nicht diskriminiert worden", so die Historikerin. Dass es zwei Generationen zuvor in der mallorquinischen Gesellschaft noch gang und gäbe war, die xuetes zu verspotten oder zu meiden, wird in dem Büchlein deutlich, das sie nun mithilfe ihres Doktorvaters David Ginard i Ferón herausgebracht hat. Auf knapp 60 Seiten beschreibt sie in „La contemporaneïtat xueta", wie es noch in den 1970er- und 80er-Jahren zu rassistischen Vorfällen kam - etwa Hakenkreuz-Graffitis auf Gedenktafeln von wichtigen Persönlichkeiten im Stadtbild Palmas, die ebenfalls von konvertierten Juden abstammen.

In jahrelanger Arbeit hat Miró die Archive durchforstet und mit Zeitzeugen gesprochen. „Es ist nicht nötig, bis ins Mittelalter zurückzugehen, um die Intoleranz gegenüber den xuetes aufzudecken. Noch bis vor Kurzem litten die Menschen darunter", sagt sie und verweist auf eine Umfrage der Balearen-Uni aus dem Jahr 2001. „Selbst damals gaben noch 30 Prozent der befragten Mallorquiner an, lieber keine engere Freundschaften mit einem xueta eingehen zu wollen."

Die Diskriminierung hat auch im Sprachgebrauch Spuren hinterlassen. „Ältere Menschen benutzen das Wort xueta immer noch eher negativ - für jemanden, der geizig ist und nur arbeitet, statt zu leben. Einige junge Leute plappern es einfach nach, dabei können viele gar nichts mehr mit dem Begriff anfangen, sie haben keine Ahnung."

Gut so, finden Menschen wie Mirós Großmutter. „Nicht gut", findet Miró selbst. „Natürlich ist es positiv, dass heutzutage keiner mehr ausgegrenzt wird, weil er einen dieser 15 Nachnamen trägt." Auch dass die über Jahrhunderte weitergegebenen Vorurteile gegenüber den xuetes kaum noch bis zur heutigen Jugend durchdringen, sei lobenswert. „Aber heute werden dafür andere diskriminiert, Südamerikaner oder Muslime. Deshalb ist es wichtig, vor der Geschichte nicht die Augen zu verschließen, sondern aus ihr zu lernen." Miró geht regelmäßig an Schulen, um jungen Mallorquinern von der einstigen Diskriminierung der xuetes zu erzählen. „Meist sind die Schüler entsetzt, und vielleicht macht sie das letztlich auch anderen Menschen gegenüber toleranter und schützt vor Rassismus oder Mobbing", hofft Miró.

Dass der Begriff xuetes auf Mallorca kaum noch von Bedeutung ist, mag auch daran liegen, dass es keine Ballungszentren der jüdischen Nachfahren mehr gibt. „Noch vor 30 bis 40 Jahren war der Carrer Platería (heute: Carrer Argenteria) im Zentrum von Palma bekannt für die dort angesiedelten Schmuckläden und Goldschmieden, die überwiegend von xuetes betrieben wurden", so Miró. Auch ihr Vater hatte dort bis vor 15 Jahren ein Juweliergeschäft. „Aber wie die meisten musste er es aufgeben, weil einfach keine Nachfrage mehr bestand."

Eine spezielle Kultur hätten die xuetes ohnehin nicht gepflegt - schließlich verbrachten sie Jahrhunderte damit, im einst erzkatholischen Mallorca bloß als pflichtschuldiger Katholik dazustehen und dem Verdacht, heimlich noch immer die jüdische Religion zu praktizieren, entgegenzuwirken. „Daher übrigens auch der Begriff xueta", so Miró. Es erinnert an das mallorquinische Wort „xulla" („Speck"), da viele der Zwangskonvertierten im Mittelalter demonstrativ Schweinefleisch aßen, um möglichen Hinrichtungen zu entgehen. Dass sie trotzdem meist untereinander heirateten, habe an der Ausgrenzung durch die Bevölkerung gelegen.

Laura Miró hat heute xuetes und Nicht-xuetes in ihrem Freundeskreis. „Eine richtige xuetes-Gemeinschaft gibt es auf Mallorca nicht mehr", berichtet sie mit ein wenig Bedauern. Dabei fände sie es gut, wenn es mehr Einheit unter den jüdischen Nachfahren gäbe. Nicht, um sich abzugrenzen. Sondern als weiterer Schritt gegen das Vergessen.