Sie waren jung und abenteuerlustig, als sie ihr 60-Meter-Seil in die Inselschluchten warfen. Die naturalistas waren die ersten Mitglieder der Umweltgruppe Gob, Anfang der 80er-Jahre hatten sie eines Nachts durch Zufall im Torrent de Pareis die Geburtshelferkröte ferreret entdeckt. Nach diesem sensationellen Fund gab man ihnen den Auftrag, deren Habitate in den torrents zu erforschen. In einige Canyons war zuvor nie jemand abgestiegen, die Ausrüstung war spärlich, Neoprenanzüge waren auf der Insel noch nicht bekannt. Mit Arbeitsanzügen aus Stoff und Lampen der Minenarbeiter zog die Gruppe los.

Einer von ihnen war der heute 63-jährige Guillem Alomar. In den Schluchten begegneten ihm auch bemerkenswerte Gewächse. Er begann, zu Hause Namen und Standorte zu notieren, Pflanzenteile zu sammeln und zu pressen. Später fotografierte er die Pflanzen auch. Daraus ist ein Buch geworden, das kürzlich von Mallorcas Inselrat unter dem Titel „Flora dels canons càrstics de la Serra de Tramuntana" herausgegeben worden ist. „Unter canons versteht man im Malloquinischen enge Schluchten, in denen das Wasser wie durch Kanalrohre fließt", erklärt der Autor.

Sein Buch ist das Ergebnis jahrzehntelanger Sammelarbeit und stellt eine Bestandsaufnahme von Gewächsen dar, die in 32 torrents zwischen Valldemossa und Pollença vorkommen. Kein Zufall ist es, dass unter den 500 gesammelten Arten 50 endemisch sind, also nur auf den Balearen vorkommen. Denn in den Schluchten begünstigt ein spezielles Mikroklima das Vorkommen von Endemien. Die Arten finden dort nur unter Schwierigkeiten einen Standort, passen sich an schwierige Umstände an und können lange überleben.

Dies beweisen zum Beispiel elf Arten, die sogenannten plantas tirrenicas, die nachweislich auch auf Korsika sowie Sardinien vorkommen und schon 36 Millionen Jahre auf der Erde wachsen. „Es handelt sich um besonders schützenswerte Spezies, die aus einer Zeit stammen, in der das Mittelmeer entstanden ist und die Inseln noch nicht so weit entfernt voneinander lagen", sagt der Wissenschaftler.

Nachschlagen, in welchen Schluchten welche Pflanzen vorkommen

Alomar hat die Arten ihren Familien zugeordnet und die Schluchten durchnummeriert. Obwohl das Buch in katalanischer Sprache verfasst ist, kann der interessierte Leser, wenn er den botanischen Namen der Spezies sowie ihrer Familien kennt, in dem Buch nachschlagen, in welchen Schluchten welche Pflanzen vorkommen.

Viele von ihnen sind während der Arbeit an diesem Buch allerdings verschwunden. Beispielsweise die Europäische Eibe (teix) oder auch die Eiche (roble). „Ich fand auch einen Zweig des Haselnussstrauchs (avellana) in dem Teilstück Sa Fosca des Torrent de Gorg Blau", sagt er, „vielleicht überlebt sie weiter oben." Die Haselnuss komme eigentlich auf der Insel nicht vor.

Denn Schluchten sind nicht nur für Menschen gefährlich, auch Pflanzen sind bedroht: Winterliche Sturzbäche reißen Bäume und Sträucher mit sich, manche samen deshalb vorsorgend in höheren Felsspalten aus.

Auch vom Menschen drohte in der Vergangenheit Ungemach: Die Inselköhler verheizten gnadenlos das Holz von Eichen und Eiben. Die Fluten des Gorg Blau begruben Flora und Fauna des gleichnamigen torrents unter sich. „Arbeiter, die an dem Bau der Mauer für den Stausee Gorg Blau beschäftigt waren, erzählten mir, dass sie noch die Rufe des ferrerets gehört haben", sagt der Botaniker.

Ziegen fressen sie mit Stumpf und Stiel

ZiegenHeute ist die seltene Flora vor allem durch den zu hohen Bestand an Ziegen gefährdet, die Blüten und Blätter mit Stumpf und Stiel vertilgen. Aber auch Wanderstiefel zertreten Gewächse, die sich auf der Suche nach feuchten Standorten auf Wegen im Barranc breitmachen. Nachfolgepflanzen sind dann häufig weniger seltene Arten, die auch außerhalb der torrents vielfach vorkommen.

Laut Alomar ist außerdem noch immer nicht allen Wanderern bewusst, dass es verboten ist, wilde Pflanzen zu pflücken. Sie ignorieren darüber hinaus, dass sie mit dem Setzen der Haken für neue Klettertouren in den Felsspalten Lebensräume zerstören. „All das könnte eines Tages dazu führen, dass die Besucherzahl in den Barrancs eingeschränkt wird", sagt der Mallorquiner.

Die Schluchten seien bis zum Erscheinen seines Buches das Einzige unter den Ökosystemen der Insel gewesen, das noch nicht erforscht war. Arbeiten über die Dünen, die Eichenwälder und die Feuchtgebiete hätte es bereits gegeben. Nun könnte sein Buch eine Basis zum Schutz der Flora in den Torrents sein.

Kostenlos beim Inselrat erhältlich sowie im Internet unter bit.ly/2WP4TBG.