Auf einer Superyacht wochenlang über die Weltmeere segeln, in luxuriösem Ambiente Partys mitfeiern und für die Arbeit dort, wo andere Urlaub machen, fürstlich bezahlt werden. Klingt glamourös und besonders für viele junge Menschen nach einem Traumjob. Wer einmal an Bord einer Yacht gearbeitet hat, weiß, dass der Alltag dort häufig ganz anders aussieht: lange Arbeitszeiten, kaum Pausen, viel Verantwortung, Spannungen im Team, Heimweh, kaum Rückzugsmöglichkeiten. Nicht selten entwickeln Crewmitglieder durch die besonderen Bedingungen an Bord Angstzustände oder Depressionen. Laut einer Umfrage vom Mai 2018 der Plattform Yachting Pages unter Besatzungsmitgliedern von Superyachten und anderen Mitarbeitern der Branche kämpfen 72 Prozent der Befragten mit psychischen Problemen oder kannten jemanden, der daran leidet. In manchen Fällen sehen die Erkrankten keinen anderen Ausweg als den Suizid.

„Allein um Palma de Mallorca herum nahmen sich kürzlich innerhalb von nur einem Jahr drei Yachtmitarbeiter das Leben. Und das sind nur die Fälle, von denen wir erfahren haben", sagt Shereen Soliman. Die 34-Jährige erkrankte vor vier Jahren selbst an Bord, nachdem ein Einheimischer in der Karibik versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Auf dem Schiff konnte sie keine professionelle psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, sie entwickelte eine posttraumatische Belastungsstörung. Dank vieler Stunden Gesprächs-und Verhaltenstherapie an Land sowie Meditation habe sie das Trauma mittlerweile überwunden. Nun setzt sich die aus der Nähe von Manchester stammende Frau dafür ein, dass Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist, schneller geholfen wird. Dafür organisiert sie Events und berät auf der Facebook-Seite „Yacht Crew - that's not okay" hilfsbedürftige Yachtmitarbeiter.

Soliman arbeitet eng mit Ken Wiseman von der Wohltätigkeitsorganisation „The Mission to Seafarers" zusammen. Die 1865 ­gegründete Missionsgesellschaft gehört zur anglikanischen Kirche. Durch ein Netzwerk an Seelsorgern und Freiwilligen hilft sie weltweit von über 200 Häfen aus Seefahrern bei emotionalen, aber auch juristischen Belangen. Bei einem dreimonatigen Aufenthalt in Palma bot Wiseman jetzt erstmals auch auf Mallorca Schiffs- und Krankenhausbesuche, Gespräche per Telefon oder Video sowie spirituelle Unterstützung an.

Schnell ersetzt

Nach zehn Jahren Arbeit bei der Organisation weiß der gelernte Ingenieur, dass viele Yachtmitarbeiter aus Angst, ihren Job zu verlieren, lange warten, bevor sie ihn kontaktieren. „An Bord der Boote herrscht meist wenig Verständnis für psychische Probleme von Crewmitgliedern", sagt der 68-Jährige. „Oft werden kranke oder nicht mehr leistungsfähige Mitarbeiter einfach bei der nächsten Gelegenheit ersetzt", bestätigt auch Soliman. Die nächsten fünf Bewerber warten schließlich schon. Also schweigen die Opfer und versuchen, ihre Probleme allein zu bewältigen. „Mit Koffeintabletten, aber auch Alkohol und Kokain. Dass auch harte Drogen im Spiel sind, wissen wir zumindest aus Erzählungen", sagt Wiseman.

Die Yacht-Branche sei in den vergangenen Jahren rasant gewachsen. Nicht nur die Mitarbeiter seien daher oft unvorbereitet auf die besonderen Umstände bei der Arbeit an Bord. Auch einige Crewchefs wüssten nicht, wie sie die Mitarbeiter etwa im Falle eines Unglücks sinnvoll unterstützen können. „Vor einigen Jahren starb auf einem Boot ein Crewmitglied nach einem Unfall. Leider kontaktierte der Schiffsführer keinen Seelsorger. Stattdessen blieb die ganze Mannschaft weiterhin auf dem Boot", sagt Soliman. „Wenn das die Reaktion beim Tod eines Kollegen ist, kann man sich vorstellen, wie sich die Verantwortlichen zum Beispiel im Falle von Mobbing verhalten", so die 34-Jährige. Soliman wünscht sich, dass Kapitäne in Kursen besser auf derartige Situationen vorbereitet würden. Zudem sollte das Crew-Management alle Mitarbeiter auf einen objektiven und externen Ansprechpartner wie Wiseman aufmerksam machen.

Schlechte Verbindung auf See

„Von mir sind sie wirtschaftlich nicht abhängig. Ich werde sie nicht feuern", sagt Wiseman. Manchmal reiche Betroffenen schon der Kontakt zu ihm per E-Mail, um sich die Probleme von der Seele zu schreiben, ohne dass jemand davon etwas mitbekommt.

Noch lieber telefoniert Wiseman mit den Seefahrern per Video, bis er sie persönlich treffen kann. Doch da hapert es oft an der Verbindung. „Ich bin gerade etwa mit einer jungen Frau in Kontakt, die versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Sie macht eine sehr schwere Zeit durch. Am liebsten würde ich in ein Flugzeug steigen, sie treffen, um aus unmittelbarer Nähe für sie da zu sein. Leider dauert die Charter-Ausfahrt noch vier Wochen. Bis sie wieder an Land ist, nutzen wir zumindest jede Möglichkeit, um miteinander zu sprechen", sagt Wiseman. Sobald sie zurück ist, will er sich intensiver um sie kümmern. „Ich bin nicht Superman, aber ich habe das Hilfe bietende Netzwerk", so der Seelsorger.

Auch Angehörige profitieren

Das hilft ihm auch, wenn mal Angehörige von Crewmitgliedern Hilfe oder Betreuung brauchen. Nach einer Explosion an Bord eines Schiffs mussten zwei indische Männer mit schweren Verbrennungen in ein Krankenhaus auf die Intensivstation gebracht werden. Wiseman besuchte sie dort und kontaktierte ihre Familien. „Der Frau des einen ermöglichten wir, zu ihm zu fliegen, und kamen auch für ihre Unterbringung auf. Der andere Mann verstarb leider. Zu seiner Familie haben wir Seelsorger vor Ort geschickt, die auch mit den Versicherungen verhandelt haben", so Wiseman. „Wenn der Schicksalsschlag sie mal wieder einholen sollte, müssen sie nur zum Hörer greifen. Mein Kollege setzt sich dann ins Auto und fährt vier Stunden, um bei ihnen zu sein."

Hilfe für Seefahrer auf Mallorca