Über 8.391 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Hèctor Sánchez Peñas Heimat und den Weinreben bei Porreres auf Mallorca, in denen er die Saison über sein Geld verdient. Als er zum ersten Mal von der Möglichkeit erfuhr, auf Mallorca als Erntehelfer zu arbeiten, brachte er Spanien mit „dem König und Radfahren" in Verbindung - das war alles, was der Kolumbianer aus der Region Santander nördlich von Bogotá aus dem Fernsehen kannte.

Mittlerweile kommt er, vermittelt von dem mallorquinischen Bauernverband Unió de Pagesos, schon im zwölften Jahr auf die Insel, um die Reben der Bodega Mesquida Mora zu bewirtschaften. Für Bodega-Betreiberin Bàrbara Mesquida ein echter Glücksfall: „Als ich das Weingut von meinen Eltern übernahm, war es so gut wie unmöglich, ­zuverlässige Arbeiter zu finden", erinnert sich die 39-jährige Mallorquinerin, die auf biodynamischen Weinbau setzt.

Eigentlich würde sie im Sinne der Nachhaltigkeit gerne Einheimische einstellen, erklärt sie auf der Fahrt zu den Weinreben. Aber die bevorzugen eher die nur unwesentlich besser bezahlten Jobs auf dem Bau. Und mit den auf Mallorca häufig als Erntehelfer beschäftigten Marokkanern sei das so eine Sache: Oft hätten sie keine Papiere. Und wenn die dann vorhanden wären, würden sie häufig nicht mehr gesehen. Als ihr ein befreundeter Landwirt von seinen guten Erfahrungen mit kolumbianischen Hilfskräften erzählte, war sie sofort angetan: „So blöd das klingt: Mit Leuten aus einer vergleichbaren, christlichen Kultur, die deine Sprache sprechen, arbeitet es sich viel leichter."

Zwischen den Weinstöcken knipsen Héctor, Hipólito Joya Verdugo und William Amado mit ­ihren Scheren konzentriert die Trauben von den Reben. Die Männer mit den breitkrempigen Strohhüten erinnern sich gut, wie alles anfing: „Mein Bruder kam zum Arbeiten hierher und fragte mich im folgenden Jahr, ob ich nicht auch Interesse ­hätte. Ich war gerade mit dem Wehrdienst fertig, 21 Jahre jung und abenteuerlustig", sagt Héctor. Erfahrung mit der Materie hatten sie alle nicht: „Weinreben kannte ich nur aus dem Fernsehen, ich bin großer Radsportfan, und bei der Vuelta a España sah man auch Weinstöcke in Großaufnahme", erzählt der älteste der drei, Hipólito. Und ­William ergänzt: „Als wir im Frühling ankamen und die Reben sahen, dachten wir, die wären alle tot, das war ein wirklich trauriger Anblick - wir wussten ja nicht, dass sie erst austreiben müssen." Bei ihnen zu Hause, erklärt er, gebe es keine ausgeprägten Jahreszeiten wie hier.

Vor allem die Trennung von den Familien fiel den Kolumbianern am Anfang schwer. „Ich habe auch Männer gesehen, die nach wenigen Tagen so großes Heimweh hatten, dass sie wieder zurückreisten", berichtet Héctor. Auch für Hipólito ist es nicht leicht. Mit seiner Tochter und seinem Sohn kommuniziert er abends per Videoanruf. William hat zwar keine Kinder, doch die Fernbeziehung mit seiner Frau sei alles andere als einfach - „wobei sie mich immer noch nicht verlassen hat, anscheinend liebt sie mich also wirklich."

Doch ihr rund neun Monate dauernder Saisonjob auf Mallorca erlaubt es ihnen, Geld nach Hause zu schicken - das tröstet über das Heimweh hinweg. In Kolumbien lebe man von der Hand in den Mund, sparen wie hier sei nicht möglich. Bis zu 1.500 Euro pro Monat könnten die Männer ­verdienen, wenn es gut läuft, sagt Winzerin ­Mesquida. Bezahlt wird nach Stunden. Dank der Bedingungen, die der Bauernverband aushandelt, müssen die Kolumbianer keine Miete zahlen. Mesquida stellt ein Häuschen auf dem ­Bodega-Gelände, in dem jeder sein eigenes Zimmer hat. Nicht zuletzt dadurch seien die Verhältnisse fast schon „familiär", so die Mallorquinerin.

Ohnehin ist Mesquida voll des Lobes über die tüchtigen Männer, die von April bis November praktisch beim kompletten Zyklus des Weinbaus mithelfen. „Ich verlasse mich mittlerweile voll auf sie, wenn Héctor sagt, dass wir zuerst die Giró-­Trauben ernten sollten, dann ernten wir die

Giró-Trauben." Oft kämen die Kolumbianer auf pfiffige Lösungen für kleine oder größere Probleme, da sie das Improvisieren von zu Hause gewöhnt seien. Dass die Trauben zwischen den ­Rebenreihen jetzt mit kleinen Handwagen transportiert werden, statt wie früher mit dem Traktor, sei Hipólitos Idee gewesen. Vorbei die Zeit, in der sich der stinkende und laute Traktor durch die Gänge quetschte und bei Regen das Erdreich zusammenquetschte. Und vorbei auch die Zeit der Rückenschmerzen bei den Arbeitern: „Jetzt stehen die ­Kisten in bequemer Höhe auf dem Wagen, und wir müssen sie nicht mehr hochwuchten", grinst ­Hipólito verschmitzt.

Dann wischt sich der 43-Jährige mit seinem langen Hemdsärmel den Schweiß aus der Stirn. In seiner Heimatregion Boyacá herrschten das ganze Jahr über frische 15 Grad, sagt er. Dennoch fühle er sich auf Mallorca sehr wohl, am besten gefällt ihm die Landschaft. William findet vor allem die Strände der Insel und die Fiestas auf den Dörfern toll, und Hector schwärmt von der guten Küche und den alten mallorquinischen Rezepten. Nur mit der Integration sei das so eine Sache. Die Mallorquiner seien recht verschlossen, es sei nicht eben leicht, mit ihnen in Kontakt zu kommen, sagt er.

Dass es manchmal aber auch richtig gut mit den Einheimischen klappt, beweist sein Bruder William. Als er im Jahr 2006 zum ersten Mal auf die Insel kam, lernte er Maria Antònia kennen, die damals ebenfalls bei Mesquida Mora arbeitete. Die beiden verliebten sich und heirateten 2010. „Ein Abenteuer mit Happy End", sagt er. Während seine Landsleute im November zurück nach Kolumbien fliegen und erst im Frühjahr wieder auf der Insel erwartet werden, ist er nun in Porreres zu Hause. Alle drei Jahre packt aber auch ihn die Sehnsucht nach den Eltern und der ­Familie, dann fliegt er hin - 8.391 Kilometer weit.