Eine gepflasterte Straße führt ins Nichts. Unkraut überwuchert von den Seiten die Ränder, an denen eigentlich Auffahrten zu hübschen Fincas liegen könnten. Schlaglöcher prägen die Gegend von Son Gual, eine teils geisterhafte Urbanisation nur 18 Kilometer von Palmas Stadtzentrum entfernt. Läuft man an den verrosteten und zerbrochenen Straßenlaternen entlang, beschleicht einen ein ungutes Gefühl. „Lost Places", also verlorene Orte, nennt man solche Plätze im Englischen. Sie verfügen über eine seltsame Anziehungskraft. Und sie alle haben eine spannende Geschichte, die erzählt werden will.

Son Gual liegt rund um den blau-weiß angemalten Wasserturm auf dem Weg von Palma nach Manacor, auch Lollipop genannt. Motorradfahrer kennen die Gegend, da hier beim Restaurant „Los Ultimos Mohicanos" an der Schnellstraße ein beliebter Treffpunkt ist. 1979 zogen die ersten Bewohner in die Siedlung. Heute leben hier etwa 500 Residenten. Nach der Jahrtausendwende wurde die Urbanisation erweitert, und Son Gual II entstand. Son Gual II ist wiederum unterteilt in ein Wohngebiet, die Zona Urbana, und die Zona Rustica, wo vereinzelte Fincas mit riesigen Grundstücken liegen. Die drei Gebiete bilden zwar eine Urbanisation, sind aber komplett unabhängig voneinander und gehören alle zur Stadt Palma. Alle drei Zonen zeichnet aus, dass sie nur aus Wohnungen bestehen. Einen Supermarkt oder eine Bar sucht man vergeblich. Öffentliche Einrichtungen, wie einen Sportplatz oder andere Freizeitmöglichkeiten, gibt es nicht. Der öffentliche Nahverkehr ist auf einen Bus begrenzt, der jedoch nur nach Terminabsprache hält.

Son Gual I

Rosemary Hamon ist die Pionierin von Son Gual. „Im Dezember 1979 bin ich mit meinem Mann als Erste überhaupt hergezogen", sagt die Engländerin von der Kanalinsel Guernsey vor der französischen Küste stolz. Bereits 50 Jahre lebt die heute 72-jährige Rentnerin auf Mallorca. Früher hat sie beim TUI-Vorgänger Thomson in einem Büro an der Playa de Palma gearbeitet. Das Angebot der neuen Siedlung schien ihr verlockend. Das Immobilienunternehmen Drac hatte eine Lizenz für 200 Wohnhäuser. „Es war eine Erleichterung, von dem Lärm im Urlaubergebiet wegzukommen", sagt sie. „Hören Sie doch mal." Es ist ruhig, die Vögel zwitschern. „Lediglich ein paar Flugzeuge sind hin und wieder in der Ferne zu hören. Doch das ist kein Vergleich zu meiner vorherigen Wohnung in Can Pastilla." Neben Rosemary Hamon haben sich damals 32 weitere Menschen Grundstücke von Drac gekauft. Eine Nachbarschaft entstand.

Die Situation änderte sich 1989. „Die Bauträger hatten Urbanisationen wie Son Gual meist in mehreren Phasen gebaut. Nicht selten ging in der Mitte des Projekts das Geld aus, und es blieb eine halb fertige Siedlung übrig. Die Balearen-Regierung hatte daher ein Gesetz erlassen, dass die Infrastruktur für das komplette Projekt zuerst gebaut werden muss", erklärt Rosemary Hamon. So war es auch im Fall von Son Gual. Drac musste zuerst alles geplante fertig bauen, ehe weitere Häuser verkauft werden konnten. Dafür fehlte jedoch das Geld, das Unternehmen erlebte einen Bankrott.

Son Gual ging zuerst in die Hände der Bank Caja Mediterráneo und 2006 an die Abwicklungsbank Sareb („Bad Bank"). „In den ersten Jahren hatten wir noch einen Verwalter, der sich um die Straßen und Gärten kümmerte. Seit 1996 verfällt alles. Jetzt müssen wir alles selber machen und bezahlen", sagt Hamon. Son Gual I wirkt heute wie ein heruntergekommenes Luxusviertel. Die Villen sehen schick aus, die Straßen verfallen aber. „Wir leben in einer rechtlichen Grauzone", sagt Hamon. „Wir sind weder legal noch illegal." Denn die Häuser wurden 1979 mit einer gültigen Lizenz gebaut. Da das komplette Projekt jedoch nie abgeschlossen wurde, hat das Rathaus von Palma Son Gual I noch nicht als Wohngebiet anerkannt.

Zuständig für Renovierungsarbeiten ist daher die Bank Sareb, die 70 Prozent der Fläche von Son Gual I besitzt. Doch die Abwicklungsbank stellt sich stur. „Das Ayuntamiento hat angeboten, dass weitere 55 Häuser gebaut werden dürfen. Oder alternativ 3.000 Wohnungen in einem anderen Stadtviertel in Palma. Doch Sareb pocht auf die 200 Häuser in Son Gual, die damals Drac versprochen bekam", sagt Hamon. Da sich Sareb kaum der Gegenseite nähert und mit Klage droht, wurde die Engländerin mehrmals bei der Bank vorstellig. „Ich bin nicht ihr Liebling", sagt sie und lacht. „Die Anwohner sind gegen eine Klage, denn das Rathaus ist immer fair mit uns umgegangen." Die Nachbarn der 72-Jährigen sind hauptsächlich Spanier. „Es sind Leute aus der oberen Arbeiterklasse. Aber es wohnen hier auch viele Piloten."

Ein großes Problem ist der öffentliche Nahverkehr. Es gibt nur eine Bushaltestelle am Ortseingang, und das Busunternehmen muss Stunden vorher angerufen werden, damit der Bus überhaupt kommt. „Zum Glück kann ich noch selbst Auto fahren", sagt Hamon. Die Lage im Niemandsland stört sie nicht. „Es sind doch nur zehn Minuten

bis nach Son Ferriol." Ihr Viertel will sie nicht missen. „Meine Kinder sind hier in einer tollen Gemeinschaft aufgewachsen."

Son Gual II - Zona Urbana

Vier Kilometer entfernt liegt Son Gual II., „Wir haben mit Son Gual I nichts zu tun und haben völlig andere Probleme", sagt Antonio Vázquez, Präsident des dortigen Anwohnerverbandes. „Unser Viertel ist komplett legal, aber das Rathaus vernachlässigt uns", klagt er. 2007 wurde Son Gual II von Palma als Siedlung anerkannt. Vázquez hat eine 14-seitige Liste mit Mängeln erstellt und dem Rathaus übergeben. Ganz oben auf der Agenda: Es fehlt die regelmäßige Busanbindung in die Stadt. Weiter bemängelt er, dass die Straße an einigen Stellen extrem steil und kurvig sei. Einen Fußweg gibt es nicht. Auch die Fahrbahnmarkierungen sind kaum noch zu sehen. „Alte und Behinderte Menschen kommen die Straße kaum hoch. Zudem ist es sehr gefährlich, da entlangzulaufen, da die Autofahrer hier ziemlich rasen."

In vielen Versammlungen hat Antonio Vázquez sein Leid beim Bürgermeister beklagt. José Hila, damals wie heute Bürgermeister, soll gesagt haben: „Wer kam denn auf eine so blöde Idee, so weit außerhalb von Palma ein Stadtviertel zu errichten?" Als Lösung für das Bus-Problem sollte ein Taxi-Service herhalten. „Zwei Stunden vorher muss das bestellt werden. Dann bringt es einen zum EMT-Tarif von 80 Cent aber auch nur zum Son Llatzer, zum Arzt nach Sant Jordi oder zur Schule von Son Ferriol. Wer ins Zentrum von Palma will, hat keine Chance." Vázquez hätte lieber einen Bus, der stündlich fährt.

203 der 390 geplanten Wohneinheiten in Son Gual II sind gebaut. Diese sind in zwei Wohnblocks zusammengefasst, die zum Teil über einen Gemeinschaftspool und einen Tennisplatz verfügen. Viele Querstraßen verlaufen aber ins Nichts. Brache, unbebaute Flächen gibt es allerhand. „240.000 Euro kostet ein Grundstück mit etwa 2.000 Quadratmetern", sagt Vázquez - zu teuer für seinen Geschmack. „In Son Gual II wohnen hauptsächlich Arbeiter vom Flughafen. „Die meisten sind Spanier."

Im Gegensatz zu Son Gual I gibt es ein voll erschlossenes Stromnetz und einen Wasseranschluss - Son Gual I wird durch den Lollipop-Wasserturm versorgt. Doch die mangelnde Instandhaltung ist an allen Ecken und Enden zu sehen. „Wir müssen nachts zum Müllrausbringen mit der Taschenlampe losmarschieren."

In einem so abgelegenen Viertel lässt sich auch die Polizei nicht blicken. „Ich habe mit der Policía Local darüber gesprochen. Sie haben gesagt, dass sie es in ihre Tour aufnehmen. Aber es ist noch nichts passiert", sagt Vázquez. Mehrere MZ-Anfragen bei der zuständigen Stelle beim Rathaus bezüglich der Probleme in Son Gual und geplanter Projekte bleiben unbeantwortet.

Son Gual II - Zona Rustica

Geht man einen Abhang hinunter, beginnt die Zona Rustica von Son Gual II. Ein Bauträger hat hier Grundstücke erworben und verwaltet die Zone. 16 Fincas stehen mitten in der Natur. Eine davon gehört Maria Dolores Galvez. Die Spanierin betreibt mit ihrem Mann Juan Pedro Hernandez im Sommer Ferienvermietung, im Winter wohnen sie selbst in Son Gual. Als Geisterviertel oder Niemandsland sieht sie es aber nicht. „Algaida und Sant Jordi sind doch ganz in der Nähe. Da ist man mit dem Auto schnell beim Supermarkt."

Im Gegensatz zu Son Gual I und der Zona Urbana leben hier Leute der oberen Klasse. „Die kleinste Finca hat 7.500 Quadratmeter", sagt Galvez. „Es gibt noch viele freie Flächen. Aber unter 1,2 Millionen Euro bekommt man hier kein Haus." Sie schätzt an ihrem Zuhause die Ruhe. „Wenn ich auf den Balkon gehe, habe ich keinen direkten Nachbarn. Und die Aussicht ist spektakulär." Die meisten Finca-Besitzer seien Ausländer. „Es gibt viele Pendler und Spekulanten", sagt Juan Pedro Hernandez. „Eines Tages wird die ganze Zone deutsch sein."

„90 Prozent unserer Feriengäste kommen aus Deutschland. Einige Urlauber stören sich daran, dass es keine Läden gibt. Aber dann decken sie sich mit vielen Bierkästen ein und verlassen die Finca nicht mehr", sagt Hernandez und lacht. Auch das Müllwegbringen ist gewöhnungsbedürftig. „Die Deutschen wundern sich, dass sie den Müll in die Zona Urbana fahren müssen und es keinen Container in der Zona Rustica gibt."

Son Gual verfügt nicht nur über eine seltsame Anziehungskraft. Es lässt seine Bewohner auch nicht mehr los. Trotz der teils widrigen Umstände haben will hier keiner wegziehen. „Wir bleiben hier", sagen die Siedler.