Eigentlich hatte Rafel Perelló ein Kinderbuch im Kopf, um darin zu erklären, wie die Bauern früher auf der Insel noch echte Landwirtschaft betrieben. Er begann damit, ältere Mallorquiner, einige von ihnen über hundert Jahre alt, zu dem Thema zu interviewen. „Ich habe schnell gemerkt, dass da noch viel mehr drin steckt als ein Kinderbuch", sagt der Hobbyforscher. Mehr als 400 Interviews hat er seither geführt - jetzt will er nach und nach seine Erkenntnisse veröffentlichen. Ein Buch über den Bürgerkrieg („Els rojos ja són aquí", Purpurina Editorial, 20,80 Euro) veröffentlichte er im April. „Der große Knaller wird aber das nächste", sagt der 56-Jährige, der beim Grundbuchamt von LandwirtschaftManacor

Herr Perelló, welche Rolle spielte das Übersinnliche in der mallorquinischen Gesellschaft?

Ich bin hier auf einen Schatz gestoßen. Es gibt kaum Dokumente zu diesem Thema, dabei war es für viele Menschen ein ständiger Teil ihres Lebens.

Mehr noch als die Religion?

Kurioserweise haben die Religion und der Aberglaube, die Heilerei und die Hexerei nebeneinander existiert, ohne sich in die Quere zu kommen. Ein Beispiel: Wenn die Bauern wollten, dass es regnet, machte man eine Prozession zum Friedhof und betete für Niederschläge. Das war der religiöse Teil. Viele Bauern nutzten die Gelegenheit aber auch für ein Ritual: Sie bissen einer lebenden Heuschrecke den Kopf ab und steckten den Körper halb

in die Erde.

Das klingt ja fast wie das Ritual eines Naturvolks.

Absolut. Und wir reden hier von Anfang, Mitte des 20. Jahrhunderts. Fischer schnitten den Wind mit Messern, wenn sie Windhosen oder Stürme befürchteten. Wenn es besonders heiß war im Sommer, warf man Steine in Richtung Sonne, damit sie schneller untergeht. Eine Schwangere durfte keinen hässlichen Menschen anschauen, weil sonst ihr Baby hässlich würde. Dann gab es Mittel, um jemanden zu verhexen oder zu manipulieren. Wenn eine Frau wollte, dass ein Mann sich in sie verliebt, kippte sie ihm ihr Menstruationsblut in den Wein. Wenn man jemandem mit Hexerei Schmerzen zufügen wollte, wickelte man ein Haar dieser Person um eine Schlange und legte einen Stein auf das Tier, ohne es zu töten. So lange die Schlange sich nicht bewegen konnte, so lange litt die Person.

Woher wusste man, ob man verhext war?

Mir wurde es so erklärt: „Du machst einen Stapel mit Orangen. Wenn eine von ihnen besonders schnell verfault, dann stehst du unter einem Zauber."

Vor einiger Zeit war Perelló bei einem älteren Ehepaar zu Gast. Als er ins Haus trat, entdeckte er hinter der Tür einen Besen, der mit den Borsten nach oben an die Wand gelehnt war. Er erkannte den Brauch: Wenn man einen Gast schnell loswerden will, kann der so aufgestellte Besen helfen. Er wandte sich an seine Interviewpartner: „Sagt mal: Habt ihr den Besen wegen mir aufgestellt?" Er grinst bei der Erinnerung. „Sie riefen: ,Woher weißt du das?' Es war ihnen hochpeinlich."

Wer hatte mehr zu sagen, die Wunderheiler oder die Ärzte?

Da habe ich eine lustige Anekdote. Eine Frau aus Sa Pobla erzählte, ein Familienmitglied sei plötzlich erkrankt. Es war nachts, und sie weckten den Dorfarzt auf und sagten: „Wir wollen nur wissen, ob es etwas Ernstes ist. Weil wir in dem Fall zum Wunderheiler gehen." Die Wunderheiler waren sehr wichtig. Natürlich gab es welche, die sich sehr gut mit Heilpflanzen auskannten. Andere heilten mit Magie. Bauchschmerzen wurden mit einem verschwitzten Hemd geheilt. Rheuma mit einer gekochten Fledermaus.

Wie wurde man Wunderheiler?

Es gab Leute, die prädestiniert waren. Müttern von Zwillingen wurden hohe heilerische Fähigkeiten zugeschrieben. Menschen, die am Tag des heiligen Paulus geboren waren, hatten einen Speichel, der Wunden heilte.

Warum gibt es keine schriftlichen Hinweise auf diese Praktiken?

Weil die meisten Leute, die damals über das Leben und die Kultur schrieben, Priester waren. Die hatten kein Interesse, diesen Aberglauben zu dokumentieren.

Woher wissen Sie, dass Ihnen die Leute ­keinen Bären aufbinden?

Ich versuche, alles nachzuprüfen. Wenn ich von einem Ritual höre, frage ich immer weiter. Vielleicht finde ich noch jemanden, der von diesem Ritual gehört hat. Bis irgendjemand mir sagt: Ja, das habe ich auch gemacht. Das ist für mich der Jackpot.

Welche Rolle spielt der Aberglaube heute auf der Insel?

Heute gibt es kaum noch etwas davon. Mit dem Einzug des Tourismus ist dieser Teil der Kultur verloren gegangen. Genau deshalb schreibe ich jetzt das Buch. Die Zeit läuft, das ist das Problem. Die Menschen, die etwas beitragen könnten, werden nicht jünger. Es gibt sehr viele Bücher über die ersten Urlauber oder die ersten Autos auf der Insel. Aber über mein Thema gibt es noch nichts. Wenn ich ­alles schreibe, was ich weiß, wird das ein ziemlich dickes Buch.

Was reizt Sie persönlich an dem Thema?

Für mich ist spannend, was hinter den Ritualen steckt. Wenn jemand starb, deckte man alle Spiegel im Haus ab. Wenn ich frage ­„Warum habt ihr das gemacht?", ist die Antwort immer dieselbe: „Ich weiß es nicht. Mein Vater hat das schon so gemacht und sein Vater vor ihm auch." Die Erklärung ist: Weil die Seele des Toten, die den Körper verlässt, sich selbst erblicken und sich auf dem Weg zum Himmel verlieren könnte. Dieser anthropologische ­Aspekt ist für mich faszinierend.

Wie geht es mit Ihrer Recherche weiter?

Ich hätte gern Assistenten. Bislang habe ich ­alles allein gemacht, auf eigene Kosten. Das ist häufig frustrierend.

Haben Sie eigentlich mal die Methoden der Wunderheiler ausprobiert?

Nein. Mir wurde es häufig nahegelegt. Vielleicht sollte ich es mal machen.