Vielleicht sind die fehlenden Steine schuld. Während auf dem spanischen Festland großartige Bauwerke wie die Alhambra oder die Altstadt von Córdoba an die maurische Epoche erinnern, scheint diese Zeit spurlos an Mallorca vorübergegangen zu sein. Außer dem „Banys Árabs", dem arabischen Bad in Palma, ist kaum etwas von al-Andalus erhalten geblieben, auf das Reiseführer verweisen oder was in Museen ausgestellt werden könnte.

Und dennoch liegt er gleichsam in der Luft - der arabische Einfluss auf Mallorca. Die mallorquinische Sprache, deren Worte wir täglich hören, zeugt noch heute davon. Sprachen sind über Jahrhunderte entstandene Kulturgüter, in denen sich ferne ­Zeiten, fremde Menschen und untergegangene Kulturen verewigt haben. Die einzige Konstante ist die fortwährende Veränderung. Laute verschieben sich. Neue Worte werden erfunden oder aus anderen Sprachen übernommen. Andere geraten außer Gebrauch. Am ehesten trotzen dem die ­Namen von Siedlungen, Flüssen oder Bergen. Sie können so über lange Zeiträume hinweg weitgehend unverändert bleiben. Selbst neue Herrschaftsverhältnisse und sogar Völkerwanderungen können sie mit kleinen Schrammen überdauern.

Östliche Inseln von Al-Andalus

Sprachwissenschaftler studieren die Entwicklungsphasen einer Sprache, wie die Archäologen die Geschichte von Siedlungen Schicht um Schicht erforschen. Die „verwitterungsbeständigen" Ortsbezeichnungen erlauben, Jahrhunderte zurückliegende Einflüsse anderer Sprachen und Völker zu erkennen. Auf der Insel tragen viele Orte noch heute arabische Namen, die sie vermutlich zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert erhielten, als die Balearen unter maurisch­-andalusischer Herrschaft standen. Damals wurden sie als „die östlichen Inseln von

al-Andalus" bezeichnet. Die Hauptstadt ­Palma findet sich als „die Stadt Mayurqa" in arabischen Quellen aus dieser Zeit.

Im Norden Mallorcas liegt das Feuchtgebiet Albufera, dessen Name aus dem arabischen Wort „albuhera" abgeleitet ist, was als „der See" übersetzt werden kann. Aus dem „h" ist dabei ein „f" geworden. Bei der Übernahme oder Entlehnung von Worten aus einer anderen Sprache werden häufig einzelne Laute verändert, weil sie im Laut­inventar der aufnehmenden Sprache nicht zur Verfügung stehen. Es gilt dann, einen möglichst ähnlichen Laut zu finden. In unserem Fall resultiert der Wechsel von „h" zu „f" aus den Besonderheiten der abgebenden arabischen Sprache ebenso wie aus der aufnehmenden mallorquinischen.

Kehlige Laute

Das Arabische zeichnet sich unter anderem durch seine kehligen Laute aus, die weit hinten im Mund- und Rachenraum artikuliert werden und die in vielen anderen Sprachen kein Pendant haben. So gibt es neben dem uns bekannten „h" zwei ähnliche, aber gepresste, kratzigere Laute. Einer davon findet sich auch in „albuhera". Das Mallorquinische hingegen hat überhaupt kein gehauchtes „h" zur Verfügung, um die arabischen „h"-Varianten abzubilden. In dieser Situation bot sich am ehesten das „f" an, um das gepresste arabische „h" zu ersetzen. Bei der Übernahme desselben Wortes ins Deutsche wäre vermutlich das dort vorhandene „h" zum Einsatz gekommen.

Nicht weit von der Al­bufera findet sich mit Albufereta ein weiteres Lagunengebiet. Diese Bezeichnung ist die Verkleinerungsform von Albufera. Hier bestätigt sich eine wichtige Regel, der Fremdworte in allen Sprachen im Allgemeinen gehorchen. Ist ein fremdes Wort erst einmal in einer anderen Sprache angekommen, wird es nach den grammatikalischen Regeln der aufnehmenden Sprache behandelt. Im Deutschen machen wir das natürlich genauso, wenn wir dem (englischen) Computer ein (deutsches) Genitiv-s anhängen oder mit ihm (auf typische deutsche Art) neue Worte zusammensetzen wie das Computerbetriebssystem.

Nach dem Hügel benannt

Zwischen den beiden Feuchtgebieten Albufera und Albufereta liegt Alcúdia, was sich vom berberisch-arabischen Wort „kudya" für „Erhebung, Hügel" ableitet. Das vorgestellte „al" ist der bestimmte Artikel im Arabischen. In Marokko gibt es in der Nähe von Agadir einen Ort „al-kudya al-baida", was „der weiße Hügel" bedeutet. Seinen Namen hat Alcúdia vielleicht wegen des benachbarten und weithin sichtbaren Hügels erhalten. Wie auch an anderen Orten Mallorcas, die einen guten Ausblick auf das Umland oder die Küste gestatten, trifft man dort auf Reste von Wachtürmen, die talaia heißen: Talaia d'Alcúdia, sa Talaia Vella, Talaia d'Albercutx oder Talaia de Cals Reis. Die Grundform dieses Wortes bedeutet „vorderste Reihe" oder „Vorhut".

In den Bergen im Westen Mallorcas liegt der ehemalige Landsitz Alfàbia, dessen Name aus dem Arabischen übernommen wurde und dort „verbergen, ver­decken" ­bedeutet. Das „f" ist wie bei Albufera aus ­einem arabischen „h" entstanden.

In der Nachbarschaft Alfàbias liegt S'Alqueria d'Avall. Alqueria entspricht dem arabischen „qarya" für „Dorf" und war nicht nur auf Mallorca zur Benennung landwirtschaftlicher Güter gebräuchlich. Überhaupt ist die Serra de Tramuntana eine Schatzkiste für Ortsnamen arabischen Ursprungs. Leicht findet man sich in einem Ort wieder, dessen Name mit „Bini" beginnt: Binissalem, Binimorat, Biniali, ­Binifaldó und so weiter. „Bini" stammt vom arabischen „bani" für „Stamm, die ­Leute von" ab. Danach folgt ein Personenname. „Binissalem" ist also der Ort der ­Leute von „Salem". Indes kommt „faldó" vom arabischen „haldun". Die letzte Silbe wurde zwar etwas gestutzt, behielt aber den Wortakzent.

Leider sind nicht alle Fälle so eindeutig. Mischformen aus arabischem „Bini" und einem nicht arabischen Personennamen wie in Binicaubell oder Binicomprat kommen ebenso vor wie gänzlich „falsche Freunde". In der Bezeichnung Biniparratx gilt der erste Teil als eine arabisierte Form des spanischen peña für „Fels".

Unterschiedliche Auffassungen

Und wenn zweifelsfreie Quellen fehlen, dann gibt es in Fachkreisen bis heute auch unterschiedliche Auffassungen zu einzelnen Ortsnamen. Besonders aufschluss­reiche Quellen, um die arabische Herkunft belegen zu können, sind Handschriften und Dokumente, die zur Hochzeit maurischen Einflusses oder kurz danach verfasst wurden. Eine herausragende Rolle kommt dabei dem „Llibre del Repartiment de Mallorca" aus dem Jahre 1229 zu, das im Arxiu del Regne de Mallorca verwahrt wird. Es beschreibt ähnlich einem Kataster die Verteilung von Grundbesitz nach der Eroberung Mallorcas durch Jaume I. von Aragón und ­Katalonien und stellt eine Quelle ersten ­Ranges dar, weil es nicht nur in arabischer, sondern auch in lateinischer und katalanischer Sprache vorliegt und unmittelbar am Übergang von maurischer zu katalanischer Herrschaft über Mallorca entstand.

Einzelne Worte sind vielleicht Schall und Rauch. Die Sprache als Ganzes bewahrt für uns aber selbst dann Erinnerungsstücke an längst vergangene Phasen der Geschichte auf, wenn die steinernen Zeugnisse aus jenen Tagen abgetragen und vergangen sind. Sie erinnert uns jeden Tag an ver­gessene oder verdrängte Geschehnisse. In den Namen von Dörfern und Städten leben noch Reste davon fort.

Der Autor (Stuttgart, 1971) betreibt den Blog „Modernes Hocharabisch" (hoch arabisch.wordpress. com und schreibt zudem Fachbücher zu diesem Thema.